Ihr erstes Video zum Song "Frigido" ist seit ein paar Wochen im Netz. Wer oder was ist ein Frigido?
Frigidos sind Leute, vornehmlich Männer, die gegen das Gesamtklo sind. Wir fordern die Aufhebung der Geschlechtertrennung auf der Toilette.
Wollen Sie eine öffentliche Toilette für Männer, Frauen und eine dritte, geschlechterneutrale Toilette für alle?
Wir wollen eine Toilette für alle und eine für Frigidos. Wir wollen die Frigidos nicht zwingen, mit allen zu Pissen und zu Kacken. Doch unser langfristiges Ziel ist ein Gesamtklo, eine Latrine wie im alten Rom.
Es soll also keine Kabinen mehr geben?
Wer in Privatsphäre pinkeln will, der muss aufs Frigido-Klo.
Was soll ein Unisexklo bringen?
Frigidos betreiben bodyshaming gegenüber bestimmten Körperfunktionen- und Ausscheidungen von Frauen. Sie sollen nicht furzen und nicht kacken. Viele Frauen unterdrücken für Stunden, mitunter Tage ihren Stuhlgang, wenn Männer und auch andere Frauen in der Nähe sind. Das ist ungesund. Es gibt aber auch viele weibliche Frigidos, Frauen, die ernsthaft denken, dass Männerausscheidungen ekliger und stinkiger sind als ihre eigenen. Wir wollen ein anderes Angebot machen zu der Art, wie wir mit unseren Körpern umgehen. Wir wollen die Stereotypen der Frigido-Fraktion abwandeln und sagen, dass nichts Schlimmes passiert, wenn man zum Beispiel einen Furz lässt. Wir alle sind aus einem Uterus gekommen.
Die Gesamttoilettenkontroverse ist inzwischen in Verruf geraten: Der Vorwurf lautet, dass Politik und Medien mit Minderheitendebatten die breite Bevölkerung, besonders die Arbeiterklasse, aus den Blick verloren hätten. Die "Arbeiter" fühlen sich im Stich gelassen und würden nicht wie gewohnt links, sondern aus Protest rechts wählen. Ist die weltweite Geschlechterdebatte und das Gesamtklo schuld am Trump-Sieg und dem Aufstieg der Rechtskonservativen?
Für unsere Texte braucht man keine Gymnasialbildung. Ein Slogan wie "Wir scheißen das Gleiche, werden am Ende alle zur Leiche" ist nicht schwer zu verstehen und kann jemanden mit der Debatte vertraut machen, der die elitären Mediendiskurse ablehnt. Wir arbeiten gerade an einem Song über Immigranten. Bei solchen Themen versuchen wir klare Worte und Bilder zu entwickeln. Gerade im deutschen Hip-Hop gibt es noch Spielraum, sich mit diesen Themen auf eine andere Art als mit testosterongeladenen Rap zu beschäftigen.
Giulia Becker hat kürzlich bei Jan Böhmermann im ZDFneo den Song "Verdammte Scheide" präsentiert. Die neueste Single der Frankfurter Rapperin Schwesta Ewa heißt "Fotze" und das Berliner Hip-Hop-Duo SXTN erreichte 2016 mit "Ftzen im Clb" Millionen Klicks auf YouTube. Emanzipiert sich das weibliche Geschlechtsteil durch den Deutschen Frauenrap?
Männer haben Votzenneid. Deshalb soll das weibliche Geschlechtsteil rasiert und retuschiert werden, soll möglichst klein und harmlos sein. Meistens ist eine Votze aber groß, labberig und respekteinflößend - immerhin können wir nicht nur länger und öfter, es hängt auch noch der ganze Gebärapparat dran. Durch diese Songs wird die Votze entmystifiziert. Frauen unserer Generation sind stolz drauf und sagen das auch öffentlich in aller Deutlichkeit. Das kann man schon als emanzipatorisch bezeichnen. Was die Rapperinnen angeht, sollte man differenzieren. Obwohl wir ihren Track "60 Punchbars" gefeiert haben, ist Schwesta Ewa bei uns unten durch, seit bekannt ist, dass sie weibliche Fans abhängig gemacht und in die Prostitution gedrängt hat. SXTN haben ein progressives Frauenbild, im Gegensatz zu Schwesta Ewa. Wir finden, dass das männliche Geschlechtsteil bereits zu Genüge respektiert, sogar glorifiziert wird. Votze gilt noch immer als eine Beleidigung. Das kann durch das wiederholte Hören im Mainstream eine ganz andere Wendung bekommen.
Feminismus wird zurzeit als Pose erfolgreich vermarktet mit Akteuren wie Petra Collins, Chloë Sevigny oder auch Beyonce. Achselhaar, Dildo und Stiletto sind ihre Kampfsymbole. Was halten Sie vom Feminismus-Hype in der Pop- und Unterhaltungsindustrie?
Feministische Debatten im Mainstream sind gut. Man kann das von zwei Seiten sehen. Einerseits ist zu begrüßen, wenn Popstars wie Beyonce mit solchen Begriffen Millionen Menschen erreichen. Andererseits lenkt der schöne Schein, der sich um den Begriff und Diskurs gelegt hat und vom Markt vereinnahmt wird, von zentralen Forderungen ab. Gleiches Geld, für gleiche Arbeit – in diesem Sinne sind wir Feministinnen. Unser Projekt mit den Römischen Votzen ist allerdings ein sexistisches Projekt. Wir sind männer- und frauenfeindlich. Wir sind insgesamt nicht sehr menschenfreundlich und sind politisch unkorrekt, weil wir unseren Frust so rauskotzen.
Ist das Projekt als Reaktion entstanden, haben Sie beispielsweise Sexismus am eigenen Körper erlebt?
Sobald einer Frau in der Pubertät Busen und Arsch wachsen, erlebt man eine Form von Sexismus. Das war aber kein Grund. Wir haben das Projekt erstmal nur für uns gemacht, vielleicht als eine Art existenzialistische Arbeit, um etwas in uns selbst zu verändern. Eine Art Selbstermächtigung, wie zum Beispiel als wir den Buchstaben in unserem Namen von "F" zu "V" tauschten. Wir haben uns das Wort angeeignet, für uns selbst einen Sinn draus gemacht: Das "V" hat mehr Eleganz. Fotze mit "F" ist vulgär, Fotze gleich Loch, Votze gleich Vagina oder Victory.
Wie war die Rückmeldung bei Ihren ersten Auftritten?
Vier Tage vor unserem ersten Auftritt in Frankfurt waren wir in Venedig bei der Biennale. Dort sind viele Ideen entstanden. Wir kauften uns venezianische Masken, dazu Baseball Caps und fingen an in den Gassen zu Rappen: Rialto – Klo; Gondeletto – Rosetto, Kanal – Anal. Gleich von Beginn des ersten Auftritts fühlten sich unglaublich viele Leute angesprochen. Sie wollten, dass wir weitermachen. Fremde haben uns eingeladen zu performen und sagten, wo sind eure neuen Songs, wo ist das Video? Andere meinten auch, ey, was babbelt ihr, ihr seid doch keine Rapper, ihr habt keinen Flow, habt keinen Style. Ihr müsst mehr reimen. Das hat uns nicht interessiert. Es ging uns eher um die Haltung. Nach unserem ersten Konzert kam ein richtiger Rapper zu uns, Abdi Süd heißt er. Der meinte, ihr seid so asozial, ich würde mich niemals trauen, solche Songs zu machen. Das hat uns angespornt. Er fand es mutig, auch wenn es total anders war als das, was er macht.
Wurden Sie musikalisch ernst genommen? Ist Ihnen das überhaupt wichtig?
Fans und auch andere Musikerinnen vergleichen uns mit Rappern wie Prinz Porno, King Orgasmus und Taktloss. Ob das bedeutet, dass wir ernst genommen werden? Hoffentlich. Denn obwohl wir unsere Tracks und Bühnenshows mit viel Spaß konzipieren, arbeiten wir doch akkurat und ausdauernd daran, dass am Ende alles perfekt ist. Wir experimentieren und sind für Einflüsse aus unterschiedlichsten Ecken offen, deshalb sind wir musikalisch den anderen Rappern, die sich meist sklavisch an unnötige Regeln halten, ein ganzes Stück voraus. Wir werden oft gefragt, wer die Beats bei uns macht? Das macht unsere Producerin. Sie hat früher in der Punkband "Herpes" gespielt und hat dadurch eine furchtlosere Herangehensweise als andere. Sie setzt eigene Regeln, wie Beats entstehen, so bekommen die Tracks eine Note, bei der der Hörer ahnt, dass es sich hier nicht bloß um einen gewöhnlichen Beat handelt. Genau durch solche Brüche entsteht dann ein Sound, der ein Nachdenken darüber ermöglicht was zum Beispiele ein Hip-Hop-Beat sein kann. Bei den Vocals steht die Erzählung im Mittelpunkt. Vieles davon ist utopisch. Im Song "Pimmelgeburt" geht es darum, wie das männliche Geschlecht die Rolle des Gebärdenden übernimmt. Insgesamt ist "Trash" für uns ein wichtiger Faktor. Warum gelten manche Stile, Formen, Techniken als hochwertig, andere als minderwertig. Warum ist etwas cool und anderes verpönt?
Wie gehen Sie mit Scham um, wenn Sie solche provokativen Inhalte performen?
Im Alltag trauen wir uns viele Sachen nicht, zum Beispiel eine Job-Bewerbung. Bei der Kunst denken wir uns, da muss ich mich jetzt zu durchringen, als Frau einen anderen Vorschlag bieten als das, was es ohne hin schon gibt und durchgekaut ist. Es gibt viele weibliche Solomusikerinnen. Doch es gibt kaum weibliche Bands und Gruppen, die gemeinsam Musik machen. Rappende Künstlerinnen gibt es so in Deutschland überhaupt nicht. Was uns drei verbindet, ist eine exhibitionistische Lust daran, Leute zu verstören.
Wie geht man mit Unverständnis oder Abneigung um?
Wir hatten schon in der Schulzeit und später dann an der Kunstakademie Düsseldorf persönliche Probleme wegen rebellischem Verhalten. Aber wir wollten nie eine abgeschwächte Version von dem sein, was wir von uns gewohnt sind, besonders dann nicht, wenn wir öffentlich auftreten. Der Druck steigt, und bevor man hinten abfällt, setzt man lieber noch mal eine Provokation bei den Texten und Performances drauf. Wenn wir jetzt zum Beispiel einem Song über Saunas machen, dann muss schon was mit "Arschfick" drin sein. Wenn man nicht weitergehen will, dann ist so ein Projekt auch vorbei. Wie Elvis schon sagte: "It is hard to live up to an image."
Mit Ihrem "Lovesong" wiederum zeigen Sie eine softe Seite ...
Ja, als harte Votze kann man sich dann auch so was wie den "Lovesong" rausnehmen: weicher und melodiöser mit Gesang. Es geht um Liebe und Partnerschaft. Wir beschwören schon fast konservative Rollenbilder, wenn wir sagen- "Oh baby, ich bin so verliebt in dich, ich wünsch mir, dass du zu Hause bleibst, damit dich keine andere anfassen kann."
Sie nehmen denn Mann an die Hand und bietet ihm an, über Gefühle zu sprechen, sich schön anzuziehen und auch mal die Beine breit zu machen. Sie sagen ihm, hab keine Angst, ich nehme mir Zeit, es wird nicht weh tun. Sie entjungfern den Mann beim Analverkehr. Provozieren Sie damit, um über die gewohnten Rollenverhalten nachzudenken?
Ja und nein. Wir denken, dass die meisten Dinge, die man einem Mann oder einer Frau zuschreiben würde, auf beiden Seiten existent sind. Wenn du als Frau einen süßen Typen kennenlernst und du merkst, der will schon, aber er ist schüchtern, der hat vielleicht Angst, dass man ihn verletzten könnte, solche Gefühle seitens des Mannes erlebt man als Frau auch, nur werden diese Geschichten nicht erzählt. Die Klischees bleiben komischerweise erhalten, obwohl die Realität heute anders aussieht: Väter bleiben zu Hause und chillen mit den Kindern, Frauen machen Karriere. Wir verdrehen eigentlich nicht die Verhältnisse, sondern wir berichten aus unserer weiblichen Perspektive Geschichten, die es immer schon gab, die aber selten erzählt wurden.