In kaum einer Branche waren in der jüngeren Vergangenheit Jobs so begehrt wie in der Tech-Branche. Die Versprechen lauteten unendliches Wachstum, beste Gehälter und Arbeitsplätze, die vor Spaß und Kreativität nur so strotzten. Wer einmal bei Google, Apple, Facebook oder Microsoft gearbeitet hat, gehörte einem elitären Kreis an und man brauchte sich um die Zukunft vermeintlich keine Sorgen zu machen. Außerdem wurde diese Arbeit zum Role Model für alle anderen Branchen. Autohersteller und Dutzende andere Branchen guckten sich Vokabeln wie Agilität, Scrum, flexible Workspaces und All-Hands-Meetings ab. Alle wollten auf einmal wie ein Start-up sein. Einige mehr und andere weniger erfolgreich.
Dieses Jahr kippt die Stimmung in der Tech-Branche. Das Branchenmedium "Crunchbase" berichtet, dass 2022 alleine in den USA bereits 42.000 Stellen gestrichen wurden. Ein Abschwung dieses Negativtrends ist nicht in Sicht, zumal Big Player wie Google, Meta und Apple ebenfalls verlautbaren ließen, von Neuanstellungen abzusehen beziehungsweise das Personalwachstum erheblich zu drosseln.
Das ist auch für die bereits angestellten Mitarbeitenden ein schlechtes Signal. Die Arbeitsplätze sind alles andere als sicher. Das gilt vor allem für all jene Bereiche, die nicht im profitablem Kernsegment der Unternehmen liegen. Alphabet (Google) beispielsweise stampfte kürzlich seine Gaming-Plattform Stadia ein. Klar, gibt es in dem Bereich Konkurrenz, aber viele Millionen an Investitionen in einem Milliardenmarkt wurden von heute auf morgen abgesägt. Selbst sogenannte Pandemie-Gewinner wie Netflix, Microsoft und Shopify haben viele Hundert Stellen abgebaut. Ist es, wie der "Guardian" schreibt, "Das Ende der goldenen Ära im Silicon Valley?".
Die öffentliche Meinung kippt
Kritikerinnen und Kritiker der Tech-Welt sehen sich derzeit in der Meinung bestätigt, dass das Wachstum der vergangenen zehn Jahre unverhältnismäßig aufgeblasen wurde. Aber auch gesellschaftlich hat sich die Meinung gegenüber den Tech-Giganten gewandelt. Es gab Jahre, da wurde jedes neue Produkt als disruptiv und revolutionär gefeiert – das sieht heute anders aus. Was nicht nur daran liegt, dass vor allem die großen Innovationen immer seltener werden. Denn auch das ist ein Problem von Wachstum: Es scheint einfacher zu sein, von unten gegen eine alte Machtelite zu sticheln, als oben zu stehen und den ökonomischen Erfolg zu verwalten.
Amazon wird seit Jahren vorgeworfen, Mitarbeitende auszubeuten. Als soziale Medien getarnte Werbeplattformen wie Instagram, Twitter, Facebook und YouTube werden heute nicht mehr unreflektiert als die Revolution gefeiert, die sie mal waren. Toxische Communitys, Burn-out und psychologische Probleme bei Influencer:innen, Zensur und absurde Policies seitens der Plattformbetreiber haben Unmut und Frust wachsen lassen.
Dazu kommt eine junge Generation, die sich immer mehr von Devices wie Smartphones abwendet. Auch weil die peinlichen Eltern ständig vor dem Handy hocken, um Twitter und Instagram zu checken, und alles wichtiger zu sein scheint, als echte Facetime mit der Familie zu verbringen. Meta-Boss Mark Zuckerberg soll seinen Angestellten mitgeteilt haben, dass Umstrukturierungen und "Downsizing" von nun an auf der Agenda stünden. Ebenso müsse man für die kommende Zeit "konservativer handeln und planen" – ein bisschen ironisch, oder nicht?
Die Kulturwelt hat sich digitalen Verwertungslogiken unterworfen
Zu den Einschnitten, die bereits stattgefunden haben, gehören unter anderem das Wegfallen der kostenlosen Wäschereinigung für die Teams, aber auch das kostenlose Essen in der Kantine im Menlo Park wurde auf ein Zeitfenster von wenigen Stunden limitiert. Googles CEO Sundar Pichai teilte diesen Sommer mit, dass die Produktivität des Unternehmens nicht der Mitarbeiterzahl entspräche, und in einem internen Dokument soll die Rede davon sein, dass es "Blut auf den Straßen geben wird", sollten die kommenden Quartalszahlen nicht den Erwartungen entsprechen. Der vormals post-hippieske Ton im nordkalifornischen Valley wird zunehmend kälter und barscher.
Angenommen, die goldene Ära des Silicon Valley ist wirklich vorbei, so bedeutet das zwar nicht, dass all die Unternehmen von heute auf morgen ihre Rollläden zumachen. Allerdings sollte man sich genauer angucken, was das für Implikationen für die Kunst- und Kulturwelt haben könnte, wenn das zuvor bedingungslose Vertrauen, dass den Giganten entgegengebracht wurde – weil ja unendlich viel Geld da war – neu geprüft werden sollte. Den Einfluss, den beispielsweise Instagram auf die Kunstwelt genommen hat, muss man hier gar nicht detailliert ausführen. Nicht nur, dass Ausstellungen heute so kuratiert werden, dass sie fast ausschließlich Insta- und TikTok-tauglich sind, auch fußen die allermeisten Karrieren in Kunst, Musik und Grafikdesign darauf, wie viele Follower junge Kreative haben.
Die Kulturwelt hat sich völlig den quantisierbaren Verwertungsmechanismen und Performance-Indizes der digitalen Plattformen unterworfen. Google beispielsweise betreibt seit 2011 das Projekt "Google Arts and Culture" (vormals "Google Art Project"). Mittlerweile arbeitet das Projekt weltweit mit über 150 Museen und Kulturinstitutionen zusammen. Darunter MoMA, Tate Britain, Alte Nationalgalerie, Rijksmuseum, den Uffizien und Museo Reina Sofia. Bestandteil der Kooperationen sind nicht nur virtuelle Besuche in den großen Kunsthäusern, auch überließ man Google die Digitalisierung zahlreicher Kunstwerke und man hat so ein digitales Archiv von enormer Größe und Bedeutung einem Werbeunternehmen "überlassen".
Es wird daher Zeit, sich neu auszurichten
Man muss kein Wirtschaftsanalyst sein, um zu erkennen, dass solche Projekte ganz bestimmt nicht zu den profitabelsten des Unternehmens gehören. Wenn schon Wachstumssektoren wie Gaming wie heiße Kartoffeln fallen gelassen werden, dürfte die Zukunft solcher mittlerweile globalen Projekte, auf die man ob der finanziellen Potenz der Partner vertraut hat, mehr als ungewiss sein. Das gleiche gilt für Bibliotheken und andere Archive von Weltrang, die Google ihr Vermächtnis für die digitale Nachwelt anvertraut haben.
Es wird daher Zeit, sich neu auszutarieren. Digitale Plattformen können praktische Werkzeuge sein, waren sie und das gilt bestimmt auch für die Zukunft. Aber es sind Werkzeuge und nicht mehr. Gute Kunst ist ohnehin die, die universell funktioniert und sich von großkapitalistischen Verwertungslogiken und Algorithmen weitestgehend emanzipiert. Und was die Zukunft der Plattformen anbetrifft, wirklich vertrauen kann man immer nur denen, die man selber geschaffen hat. Vielleicht wird es mehr Zeit denn je, eigene digitale und wirklich unabhängige Infrastrukturen aufzubauen. Wie? Darüber müssen wir reden.