Herr Tillmans, in Ihrem Berliner Ausstellungsraum gibt es seit einiger Zeit den „playback room“. Um was geht es dabei?
Mir ist aufgefallen, dass es nirgendwo Räume gibt, die aufgenommener Musik gewidmet sind. Wenn man wissen will, wie ein Werk Sigmar Polkes aussieht, geht man in ein Museum und wird in den meisten großen Städten auch fündig. Wenn man allerdings die Musikaufnahme einer Band, wie beispielsweise der englischen New-Wave-Größe New Order hören möchte, kann man nirgendwo hingehen. Weil es keinen Ort gibt, der die Musik in der Qualität wiedergibt, wie sie die Künstler im Studio aufgenommen haben. Dieser Mangel hat mich immer schon fasziniert. Wie für viele andere Künstler spielt Musik auch in meinem Leben eine ganz wichtige Rolle. Sie begleitet mich in meinem Alltag, in meinem Schaffen. Auch in den Galerien läuft während der Ausstellungen Musik, aber es gibt keine Museen für Musik, keine Räume in Bibliotheken, in denen Musik im optimalen Klang anzuhören ist. Dass das noch nie thematisiert wurde, ist doch eine verrückte Sache. Und passt deswegen so gut zur Idee der Galerie Between Bridges: das zu repräsentieren, was irgendwie durch die Maschen gefallen ist.
Ist es denn schon so weit gekommen, dass man in die Galerie gehen muss, um Musik zu hören?
Nein, natürlich nicht. Musik hört man schließlich überall. Es darf auch nicht falsch verstanden werden: Diese Ausstellung ist keinesfalls als kritischer Kommentar zur Musikbenutzung in der Welt gemeint, sie ist kein "iPod-Verriss". Sie macht einfach nur ein Angebot. Etwas zu hören, was auf diesem Niveau sonst nirgendwo gehört werden kann. Normalerweise hat man keine Anlage für 30.000 Euro zu Hause stehen, aber es gibt solche Klangräume auch nicht in Museen oder anderen öffentlichen Räumen. Seit jeher wird viel Geld in aufwendige Museumsbauten gesteckt, da sind 30.000 Euro für eine High-End-Anlage nirgends vorgesehen …
… also Musikanlagen, die die Musik möglichst natürlich und originalgetreu wiedergeben …
Genau. Letzte Woche unterhielt ich mich mit einem Musiker, der erzählte, dass er sein Album zuletzt im Studio während der Endproduktion in idealem Zustand gehört habe. Das ist doch absurd. Die Musiker arbeiten monatelang im Studio, das Endprodukt der Arbeit bekommt allerdings keiner zu hören.
Warum lassen Sie in Ihrer Ausstellung keine Live-Musik spielen?
Im Vergleich zur Studioaufnahme hat Live-Musik ihren festen Schutzraum. Weil sie schließlich auch ihre ganz eigene, essentielle Ökonomie hat. Vor allem in Zeiten wie diesen, in denen Musiker ihr Geld nicht mehr mit dem Plattenverkauf verdienen. Bei Live-Musik geht es auch um einen anderen Klang als den, der aus einer Studio-Aufnahme resultiert. Das, was eben nur im Studio aufgenommen werden kann, also zum Beispiel eine 48-Spur-Michael-Jackson-Aufnahme oder eben die Aufnahmen der Colourbox, die nie live spielten, fielen komplett durchs Raster. Weil das Dinge sind, die man in ihrer Komplexität live gar nicht aufführen kann. Das finde ich so irre.
Der „playback room“ gleicht eher einem gemütlichen Entspannungsraum als einem klinischen Ausstellungssaal. Braucht denn die Musik diese gemütliche Atmosphäre?
Die Musik kann zumindest keinen klinischen Ausstellungssaal gebrauchen. Rein akustisch betrachtet würden Betonboden und kahle Wände nicht funktionieren. Dass der „playback room“ anders als ein konventioneller Galerieraum daherkommt, ist im Grunde also eine technische Notwendigkeit. Ich rechne ja nicht mit hohen Besucherzahlen. Letztendlich ist das ein nichtkommerzieller Ort, eine kleine Galerie in der Seitenstraße, in denen ein paar Möbel aus meinen Studios in London und Berlin stehen. Und mit Stoff an den Wänden, damit man sich da gut aufhalten kann, ohne dass es stilistisch zu sehr in eine Richtung geht. Natürlich hätte man den Raum in vielerlei Hinsicht anders gestalten können. Innerhalb dieser sehr hohen Klangqualität sollte die Umgebung allerdings relativ einfach gehalten sein.
Was sind Ihrer Meinung nach die Gemeinsamkeiten von bildender Kunst- und Musikrezeption?
Beides, sowohl ein visuelles Kunstwerk als auch ein musikalisches Stück, sind in der Lage, in einem Moment, in wenigen Minuten, ganz komplexe Dinge zu reflektieren. Ohne Worte. Oder mit Worten, die oftmals nicht erklärend sind. Gleichzeitig können wir mithilfe dieser Formen auf einmalige Weise die Dinge in der Welt beschreiben. Und uns berühren lassen.
Ihre Ausstellung beschäftigt sich mit der ehemaligen britischen Elektroband Colourbox. Was verbindet Sie mit dieser Musik?
1985 bin ich zufällig auf sie gestoßen. In den darauffolgenden zwei Jahren kaufte ich dann alles von ihnen. Einerseits gefiel mir diese Musik als Musik gut. Sie hat mich berührt. Andererseits empfand ich sie auch konzeptuell als interessant, als intellektuell sehr komplex, durch diese Aufschichtung von Spaghetti-Western-Soundtracks zu Dub-und Industrial-Referenzen. Das ist ein Stilmix, der nur in England zu der Zeit möglich war. Vielleicht ist es auch eine Urform Londoner Musik. Jedenfalls fasziniert mich immer wieder dieses Aufeinanderprallen von Dingen, die nichts miteinander zu tun haben, und dennoch miteinander funktionieren. Dieser Mix könnte mit dem großen Begriff "Postmoderne" beschrieben werden. Schließlich war das Aufeinanderprallen von konträren Dingen ein Hauptstilelement der 80er und etwas, das gerade in seiner Polarität die Widersprüchlichkeit der Welt widerspiegelte. Im schlechtesten Fall nennen wir das Promo. Und im besten Fall enthält das eine enorme Qualität, die den Blick für eine Weltbeschreibung öffnet, die für mich auch 36 Jahre danach noch höchst relevant klingt.
Und wie hören Sie am liebsten Musik?
Beim Aufbau meiner Ausstellungen nachts in Museen oder Galerien hatte ich meistens eine Anlage oder einen Ghettoblaster dabei, die natürlich wie verrückt durch die Galerien hallten. Alles andere als ein High-End-Klang. Auch im Studio hörte ich eigentlich nie aus guten Lautsprechern, was mich zu der Frage brachte, warum ich so dürftige Klangquellen benutze, wenn ich in meiner Arbeit doch so extrem genau bin. Es geht mir um die Qualität der Kunst. Deswegen gebe ich hier der Musik in ihrer optimalen Studioqualität einen physischen Raum und die entsprechende Zeit.
"Colourbox. Music of the group (1982 - 1987)", Between Bridges, Berlin, bis 25.Oktober 2014
Mir ist aufgefallen, dass es nirgendwo Räume gibt, die aufgenommener Musik gewidmet sind. Wenn man wissen will, wie ein Werk Sigmar Polkes aussieht, geht man in ein Museum und wird in den meisten großen Städten auch fündig. Wenn man allerdings die Musikaufnahme einer Band, wie beispielsweise der englischen New-Wave-Größe New Order hören möchte, kann man nirgendwo hingehen. Weil es keinen Ort gibt, der die Musik in der Qualität wiedergibt, wie sie die Künstler im Studio aufgenommen haben. Dieser Mangel hat mich immer schon fasziniert. Wie für viele andere Künstler spielt Musik auch in meinem Leben eine ganz wichtige Rolle. Sie begleitet mich in meinem Alltag, in meinem Schaffen. Auch in den Galerien läuft während der Ausstellungen Musik, aber es gibt keine Museen für Musik, keine Räume in Bibliotheken, in denen Musik im optimalen Klang anzuhören ist. Dass das noch nie thematisiert wurde, ist doch eine verrückte Sache. Und passt deswegen so gut zur Idee der Galerie Between Bridges: das zu repräsentieren, was irgendwie durch die Maschen gefallen ist.
Ist es denn schon so weit gekommen, dass man in die Galerie gehen muss, um Musik zu hören?
Nein, natürlich nicht. Musik hört man schließlich überall. Es darf auch nicht falsch verstanden werden: Diese Ausstellung ist keinesfalls als kritischer Kommentar zur Musikbenutzung in der Welt gemeint, sie ist kein "iPod-Verriss". Sie macht einfach nur ein Angebot. Etwas zu hören, was auf diesem Niveau sonst nirgendwo gehört werden kann. Normalerweise hat man keine Anlage für 30.000 Euro zu Hause stehen, aber es gibt solche Klangräume auch nicht in Museen oder anderen öffentlichen Räumen. Seit jeher wird viel Geld in aufwendige Museumsbauten gesteckt, da sind 30.000 Euro für eine High-End-Anlage nirgends vorgesehen …
… also Musikanlagen, die die Musik möglichst natürlich und originalgetreu wiedergeben …
Genau. Letzte Woche unterhielt ich mich mit einem Musiker, der erzählte, dass er sein Album zuletzt im Studio während der Endproduktion in idealem Zustand gehört habe. Das ist doch absurd. Die Musiker arbeiten monatelang im Studio, das Endprodukt der Arbeit bekommt allerdings keiner zu hören.
Warum lassen Sie in Ihrer Ausstellung keine Live-Musik spielen?
Im Vergleich zur Studioaufnahme hat Live-Musik ihren festen Schutzraum. Weil sie schließlich auch ihre ganz eigene, essentielle Ökonomie hat. Vor allem in Zeiten wie diesen, in denen Musiker ihr Geld nicht mehr mit dem Plattenverkauf verdienen. Bei Live-Musik geht es auch um einen anderen Klang als den, der aus einer Studio-Aufnahme resultiert. Das, was eben nur im Studio aufgenommen werden kann, also zum Beispiel eine 48-Spur-Michael-Jackson-Aufnahme oder eben die Aufnahmen der Colourbox, die nie live spielten, fielen komplett durchs Raster. Weil das Dinge sind, die man in ihrer Komplexität live gar nicht aufführen kann. Das finde ich so irre.
Der „playback room“ gleicht eher einem gemütlichen Entspannungsraum als einem klinischen Ausstellungssaal. Braucht denn die Musik diese gemütliche Atmosphäre?
Die Musik kann zumindest keinen klinischen Ausstellungssaal gebrauchen. Rein akustisch betrachtet würden Betonboden und kahle Wände nicht funktionieren. Dass der „playback room“ anders als ein konventioneller Galerieraum daherkommt, ist im Grunde also eine technische Notwendigkeit. Ich rechne ja nicht mit hohen Besucherzahlen. Letztendlich ist das ein nichtkommerzieller Ort, eine kleine Galerie in der Seitenstraße, in denen ein paar Möbel aus meinen Studios in London und Berlin stehen. Und mit Stoff an den Wänden, damit man sich da gut aufhalten kann, ohne dass es stilistisch zu sehr in eine Richtung geht. Natürlich hätte man den Raum in vielerlei Hinsicht anders gestalten können. Innerhalb dieser sehr hohen Klangqualität sollte die Umgebung allerdings relativ einfach gehalten sein.
Was sind Ihrer Meinung nach die Gemeinsamkeiten von bildender Kunst- und Musikrezeption?
Beides, sowohl ein visuelles Kunstwerk als auch ein musikalisches Stück, sind in der Lage, in einem Moment, in wenigen Minuten, ganz komplexe Dinge zu reflektieren. Ohne Worte. Oder mit Worten, die oftmals nicht erklärend sind. Gleichzeitig können wir mithilfe dieser Formen auf einmalige Weise die Dinge in der Welt beschreiben. Und uns berühren lassen.
Ihre Ausstellung beschäftigt sich mit der ehemaligen britischen Elektroband Colourbox. Was verbindet Sie mit dieser Musik?
1985 bin ich zufällig auf sie gestoßen. In den darauffolgenden zwei Jahren kaufte ich dann alles von ihnen. Einerseits gefiel mir diese Musik als Musik gut. Sie hat mich berührt. Andererseits empfand ich sie auch konzeptuell als interessant, als intellektuell sehr komplex, durch diese Aufschichtung von Spaghetti-Western-Soundtracks zu Dub-und Industrial-Referenzen. Das ist ein Stilmix, der nur in England zu der Zeit möglich war. Vielleicht ist es auch eine Urform Londoner Musik. Jedenfalls fasziniert mich immer wieder dieses Aufeinanderprallen von Dingen, die nichts miteinander zu tun haben, und dennoch miteinander funktionieren. Dieser Mix könnte mit dem großen Begriff "Postmoderne" beschrieben werden. Schließlich war das Aufeinanderprallen von konträren Dingen ein Hauptstilelement der 80er und etwas, das gerade in seiner Polarität die Widersprüchlichkeit der Welt widerspiegelte. Im schlechtesten Fall nennen wir das Promo. Und im besten Fall enthält das eine enorme Qualität, die den Blick für eine Weltbeschreibung öffnet, die für mich auch 36 Jahre danach noch höchst relevant klingt.
Und wie hören Sie am liebsten Musik?
Beim Aufbau meiner Ausstellungen nachts in Museen oder Galerien hatte ich meistens eine Anlage oder einen Ghettoblaster dabei, die natürlich wie verrückt durch die Galerien hallten. Alles andere als ein High-End-Klang. Auch im Studio hörte ich eigentlich nie aus guten Lautsprechern, was mich zu der Frage brachte, warum ich so dürftige Klangquellen benutze, wenn ich in meiner Arbeit doch so extrem genau bin. Es geht mir um die Qualität der Kunst. Deswegen gebe ich hier der Musik in ihrer optimalen Studioqualität einen physischen Raum und die entsprechende Zeit.
"Colourbox. Music of the group (1982 - 1987)", Between Bridges, Berlin, bis 25.Oktober 2014