Yael Bartana an der Volksbühne Berlin

"Ich spüre die Dringlichkeit einer nicht von Männern dominierten Welt"

An der Berliner Volksbühne fragt die Künstlerin und Regisseurin Yael Bartana mit einer Theater-Performance, was wäre, wenn Frauen die Welt regieren würden. Ein Gespräch vorab

Die Atomkriegsuhr steht auf zwei Minuten vor Mitternacht, vor der globalen Katastrophe. Im Kabinett eines fiktiven Landes sucht eine ausschließlich aus Frauen bestehende Regierung nach Lösungen, um den Klimawandel und einen globalen Atomkrieg zu verhindern. "What if Women Ruled the World?" (Was wäre, wenn Frauen die Welt regieren würden?) von Yael Bartana ist eine semi-fiktionale Theater-Performance, die dieses Szenario an drei aufeinanderfolgenden Tagen an der Berliner Volksbühne aufführt. Monopol sprach mit der israelischen Künstlerin über das Stück, über Sexismus und Feminismus

Yael Bartana, in Ihrem Stück sitzen fünf reale Expertinnen und fünf Schauspielerinnen an einem runden Tisch und überlegen gemeinsam, wie sie eine globale Katastrophe verhindern können. Bei jeder Aufführung nehmen jeweils fünf andere Expertinnen teil. Welche Kriterien waren für ihre Teilnahme entscheidend?
Yael Bartana: Es gibt einen fiktiven Rahmen: Die Expertinnen beraten das weiblich besetzte Kabinett einer pazifistischen "Supermacht-Nation" hinsichtlich ihrer Abrüstungsstrategie, um die Atomkriegsuhr davon abzuhalten, Mitternacht – die nukleare Katastrophe – zu erreichen. Die Situation ist alarmierend, weil ein anderes Land das internationale Abrüstungsabkommen bricht und das Kabinett vor ein Dilemma stellt. Die teilnehmenden Expertinnen haben verschiedene Hintergründe. Sie sind alle sehr aktiv und manche üben Machtpositionen aus. Mir geht es um die humanitären Aspekte des Kriegs, um die Opfer und der Praktikabilität von Sicherheit. Manche der Frauen treffen politische Entscheidungen, haben selbst Erfahrungen im Militärdienst oder in der Sozialarbeit gemacht oder führen nukleare Recherchen durch. Ich bin daran interessiert, eine Vielfalt an Stimmen und Erfahrungen an einen Tisch zu bringen.

Was wäre anders, wenn ausschließlich Frauen die Welt regieren würden?
Es wäre sicherlich anders, aber ich kann nicht sagen, ob es besser oder schlechter wäre. Das Performance-Stück ist als Experiment und nicht als definitives Statement gedacht. Es ist eine Methode, um eine Situation herzustellen, die das Nachdenken über Veränderungen ermöglicht.

Lässt sich in der Fiktion über reale Veränderungen produktiv nachdenken?
Es ist ein Werkzeug, das einen Moment herstellen kann, den es in der Realität nicht gibt. Es gibt keine Supermacht-Nation, die ausschließlich von Frauen regiert wird – deshalb habe ich eine erfunden. Die Frauen auf der Bühne teilen ihr Wissen und ihre Lebenserfahrungen in dieser Fiktion miteinander. Es ist wie ein soziologisches Experiment, bei dem wir etwas über Humanität lernen können.

"What if Women Ruled the World?" wurde 2017 in Manchester uraufgeführt und dort kritisiert wegen der rigorosen Unterbrechungen der Reden der Expertinnen durch die Darstellerinnen. Sollen die fiktiven Interventionen der Schauspielerinnen so dominant sein?
Nein. In Manchester war das Skript noch ganz anders – der theatrale Anteil war viel größer. In der neuen Version versuchen wir Drehbuchszenen und nicht-fiktionale Szenen weniger brutal ineinander übergehen zu lassen. Wir definieren die Trennung zwischen den echten Expertinnen und den Darstellerinnen dieses Mal nicht so sehr, sodass ihr Hintergrund oft unklar bleibt. Die Schauspielerinnen halten den fiktionalen Rahmen und die Dringlichkeit aufrecht. Sie stellen die dramatische Form her.

"What if Women Ruled the World?" spielt auf Stanley Kubricks Film "Dr. Seltsam oder: Wie ich lernte die Bombe zu lieben" an. Die rein männliche Besetzung des Films ist in Ihrem Stück komplett durch Frauen ersetzt ...
Wir kehren alles um. In "Dr. Seltsam" zerstören Männer die Welt. Jetzt versuchen Frauen sie zu retten. Der Kriegsraum voller Männer ist ein Friedensraum voller Frauen. "Dr. Seltsam" ist eine ästhetische und eine narrative Inspiration, besonders in Bezug auf die Angst vor dem Ende der Welt.

"Dr. Seltsam" ist eine Komödie. Haben Sie auch das Genre umgekehrt?
Das Stück ist ganz bewusst keine Komödie. Es gibt lustige Momente, aber es ist keine Satire. Ich will, dass es die Leute inspiriert zur Veränderung.

Im Film schlägt die Figur Dr. Seltsam ein post-apokalyptisches Lebensmodell vor, bei dem jeweils zehn Frauen einem Mann zugeteilt werden. Ist Ihr Stück als Umkehrung dieses Modells entstanden?
Ganz am Anfang war es so. Ich habe mit der Nummer gespielt und danach entschieden, wie viele Leute am Tisch sitzen sollen. Zehn Frauen sitzen dort, und in der Volksbühne gibt es zusätzlich noch zwei männliche Darsteller, die Sekretäre spielen. Und einen "Tea-Boy".

Kehren Sie auch Sexismus um?
Nicht unbedingt, aber ich benutze die visuelle Macht der Umkehrung auf der Bühne, um gewissen Phänomene sichtbar zu machen. Ich habe nichts gegen Männer. Ich überdenke nur das System, das Männer geschaffen haben. Ich spüre die Dringlichkeit für eine neue Welt, die nicht von Männern dominiert ist.

Was bedeutet Feminismus für Sie?
Im Kern ist Feminismus für mich eine Kritik der männlichen Vormachtstellung und ein Weg, um das Patriarchat, den Kapitalismus und den Kolonialismus zu untergraben. Das Ziel, gleiche Rechte für beide Geschlechter zu erreichen. Und natürlich nicht von der männlichen Perspektive auf Frauen abhängig zu sein.

Ist "What if" ein feministisches Stück?
Ja, ich denke schon. Es ist ein klarer Aufruf, die Geschichte zu korrigieren, ohne dabei auf gut und schlecht hinzudeuten. Das versuche ich mit all meinen Arbeiten – ich glaube wir müssen das tun. Für mich ist es so offensichtlich, dass so ein Stück schon vor vielen Jahren hätte stattfinden müssen. Nach all den Jahren der Diskriminierung. Ich weiß nicht, warum wir immer noch so laut schreien müssen. Ich möchte wirklich, dass auch Männer bei dem Stück spüren, dass etwas falsch läuft ...

... wie eine Aufklärung für Männer, um den Sexismus zu verstehen?
Das Problem des Sexismus, ja.

Hatte die #MeToo-Debatte Einfluss auf den Termin des Stücks?
Die ersten Ideen zum Stück kamen mir schon vor fünf Jahren. Ich war über die Lage zwischen Israel und Palästina so verzweifelt, dass ich mich fragte, ob die Situation wohl anders wäre, wenn Frauen beide Länder regieren würden. Wären sie friedvoller? Könnten sie die Besetzung und die Korruption beenden? Das brachte mich zur der Frage: Was wäre, wenn Frauen die Welt regieren würden? Ich denke, wir müssen das große Potenzial dieses Experiments verstehen. Wir sollten eine politische Bewegung werden.

Werden Sie von aktivistischen Gedanken angetrieben?
Ja, es war immer mein starker Wille, dem System nicht zu gehorchen oder es zu verändern. Ich bin eine Aktivistin, die Bilder herstellt – vielleicht eine Bildaktivistin. Ich suche nach Vorbildern, anspruchsvollen Führungsstilen und möchte, dass kluge Leute meine Welt regieren. Ich glaube, dass eine Veränderung wirklich notwendig ist.