Kryptounternehmer und Sammler

Wer ist Justin Sun, der Käufer des Bananen-Kunstwerks?

Die künstlerischen Strategien, mit denen Maurizio Cattelan sein Bananen-Werk zum Millionen-Seller gemacht hat, ähneln den Methoden der Krypto-Bros. Kein Wunder also, dass der Käufer einer ist

Der Käufer, der bei einer Versteigerung bei Sothebys die Arbeit "Comedian" (Komiker) von Maurizio Cattelan – eine mit Klebeband an der Wand befestigten Banane – für 6,24 Millionen Dollar erworben hat, hat das dafür notwendige Geld mit der Spekulation mit Kryptowährungen verdient. So viel über den Kauf auch schon berichtet wurde, manchmal mit Amüsement und Sympathie, oft mit dem Brustton der Empörung, diese Tatsache hat bisher nur wenig Aufmerksamkeit erhalten.

Dabei sind sich die künstlerischen Strategien, mit denen Maurizio Cattelan die Arbeit zum Millionen-Seller gemacht hat, und die Methoden, mit denen bei Kryptowährungen Wert entsteht, verblüffend ähnlich – und leider lassen diese Gemeinsamkeiten weder den Kunstmarkt der Gegenwart noch die Welt der Kryptowährungen in einem besonders guten Licht erscheinen. 

Nach dem Kauf schrieb Sun, der schon Werke von Picasso und Giacometti sowie NFTs gekauft hat, auf X: "Dieses Werk ist mehr als nur ein Kunstwerk; es steht für ein kulturelles Phänomen, das die Welten der Kunst, Memes und Kryptowährungen vereint. Ich bin überzeugt, dass es auch in Zukunft für Diskussionen und Reflexionen sorgen und Teil der Geschichte werden wird."

Kein intrinsischer Eigenwert

"Comedian" ist für seinen Käufer also nicht in erster Linie ein gelungenes Kunstwerk, sondern ein "kulturelles Phänomen". Das kann schon sein: Die provokative Arbeit, die nach dem Willen des Künstlers ursprünglich 2019 das Publikum auf der Art Basel in Miami Beach nerven sollte, war seit seiner Entstehung ein Dauerthema in den Medien. Die Arbeit ging sozusagen "viral", und alles, was mit ihr seit ihrer ersten Präsentation geschah, spielte ihrem Status als "kulturellem Phänomen" in die Karten: die ursprüngliche kritische oder aufmerksamkeitsheischende Berichterstattung, der Performancekünstler David Datuna, der die Banane kurzerhand verspeiste, die Klage des Künstlers Joe Monford, der die Arbeit als eine Kopie seines Werkes "Banana & Orange" betrachtete, jetzt als Resultat all dieser Geschehnisse der astronomische Preis, den ein Krypto-Bro für die Arbeit zu zahlen bereit ist.

Mit genau solchen Methoden müssen auch Kryptowährungen ununterbrochen in der Diskussion gehalten werden, damit ihre Käufer akzeptieren, dass eigentlich vollkommen wertfreien Datenpakete plötzlich zu atemberaubenden Kursen verkauft werden. Kryptowährungen haben keinen intrinsischen Eigenwert; ihr Wert entsteht daher vor allem dadurch, dass man ununterbrochen so lautstark wie möglich auf ihre Existenz aufmerksam macht und sie in eine "große Erzählung" einbindet: Geschichten wie die von dem rätselhaften, anonymen Satoshi Nakamoto, der angeblich Bitcoin erfunden hat, dem russischen Computerwunderkind Vitalik Buterin, der mit 19 das Ethereum-Protokoll ersann, oder eben das Narrativ des chinesische Krypto-Visionärs Justin Sun, der seinen TRX-Token wenige Tage, bevor die chinesische Regierung Kryptowährungen verbot, auf den Markt brachte.

Für den internationalen Markt, auf dem seine Kryptowährung weiterhin gehandelt wird, inszeniert sich Sun als Dauerposter auf X (früher Twitter) und als Kryptoguru. Die Stunts, mit denen er seine Kryptobörse Tron und seinen eigenen Kryptowährungen im Gespräch hielt, brachte ihm 2023 eine Klage der US-Börsenaufsichtsbehörde SEC ein: Im Auftrag des Unternehmers hatten Prominente wie die Schauspielerin Lindsay Lohan oder die Sänger Austin Mahone und Akon in den sozialen Medien für die Kryptowährung geworben, ohne offenzulegen, dass sie dafür bezahlt wurden. Auch gegen Justin Sun ergingen mehrere Klagen wegen dieser Schleichwerbung, sowie wegen des Vorwurfs der Kursmanipulation seiner Kryptowährung Tron.

Der wahrscheinlich reichste Mensch Chinas

Unübersehbar hatte Sun sich Prominente als Werber für seine Kryptowährung ausgesucht, die nicht für ihre Wirtschaftskompetenz bekannt sind, sondern für ihre Skandale – so wie den für seine grenzwertigen YouTube-Streiche gefürchteten Influencer und Boxer Jake Paul, den wegen Waffenbesitz vorbestraften Rapper Soulja Boy oder die Pornodarstellerin Kendra Lust. Auch so kann man eine Kryptowährung zum "kulturellen Phänomen" machen.  

Justin Sun hat sich durch solche Stunts ein Vermögen erwirtschaftet, das auf 1,4 Milliarden Dollar geschätzt wird, was ihn zum reichsten Menschen in China machen würde. Aus dem aktiven Wirtschaftsleben hat er sich inzwischen weitgehend zurückgezogen und widmet sich seinen Passionen – neben dem Kunstsammeln unter anderem als "Premierminister" dem Phantasiestaat Liberland, der sich auf einer Donauinsel an der Grenze von Serbien und Kroatien befindet. Sein Status als Krypto-Unternehmer und -Vordenker ist gesichert.

Einen vergleichbaren Rang muss auch der Künstler erreichen, der mit Readymades wie einer an die Wand geklebten Banane Geld verdienen möchte. Denn das Readymade ist nicht nur eine Umwertung eines Gebrauchsgegenstandes zum Kunstwerk, der den traditionellen Kunstbegriff hinterfragt und bei dem das Talent zur Gestaltung des Künstlers durch den Akt der Auswahl ersetzt wird, wie man nun seit über 100 Jahren gebetsmühlenhaft darlegt bekommt. 

Zum Readymade gehört auch ein bestimmter Status

Was bei solchen Erklärungen regelmäßig unterschlagen wird, ist die Tatsache, dass der Künstler über einen bestimmten Status verfügen muss, um diesen quasi-magischen Akt der Transsubstantiation überhaupt durchführen zu können. Zum Readymade gehört auch, dass man damit in der Kunstwelt durchkommen muss. Sei es Marcel Duchamp mit seinen endlosen Anekdoten, Rätselhaftigkeiten und Idiosynkrasien, sei es Joseph Beuys mit seinem guruhaften Auftreten und seiner Privatmythologie – um Flaschenhalter oder Urinale, rostige Badewannen oder DDR-Bohnerwachs zum Kunstwerk befördern zu können, muss man einen Nimbus haben, den man sich durch hartnäckiges, langjähriges aufmerksamkeitsstarkes öffentliches Auftreten erwirbt. 

"Komiker" sind sie also in gewissem Sinne alle: Künstler, deren Arbeiten mit einem Materialwert von 80 US-Cents nach sechseinhalb Minuten Auktion plötzlich über sechs Millionen Dollar wert sind. Und die Krypto-Bros, die die Gesetze der Aufmerksamkeitsökonomie der Gegenwart so gut verstanden haben, dass sie wertlose Datenpakte zur Hausse führen und aus dem Nichts märchenhaften Reichtum schöpfen können. 

Möglicherweise ist das eine gute Gelegenheit, sich über den subversiven, den traditionellen Kunstbegriff infrage stellenden Charakter des Readymades einmal grundsätzliche Gedanken zu machen. "Comedian" sollte ursprünglich eine Kunstmesse aufmischen. Aber seit das Werk von einer Provokation zu einem millionenschweren Anlageobjekt eines fragwürdigen Kryptounternehmers wurde, hat es jeglichen Anflug von Ironie verloren, den es ursprünglich einmal besessen haben mag. Dass Typen wie Justin Sun inzwischen den langfristige Wert eines Kunstwerks mit denselben Methoden hochjazzen können wie zuvor ihre dubiosen Digital-Währungen, ist schon ein bisschen traurig.