Umfrage

Wem noch auf Instagram folgen?

Instagram ist in die Jahre gekommen. Außer Influencern und Celebrities mit Hang zum Narzissmus hat dort niemand mehr Spaß. Oder doch? Monopol-Bloggerin Anika Meier hat Kritiker, Künstler und Instagrammer gefragt, wem sie folgen. Und sie erklärt, warum Ugly Instagram so hip wie Ugly Fashion ist

Manchmal, eigentlich täglich, frage ich mich, warum ich Instagram nach all den Jahren immer noch irgendwie gut finde. Manchmal wünsche ich mir, dass es nicht so ist, denn in der Zeit, in der ich auf Instagram herumtippe, schreiben andere Leute zehn bis zwölf Bücher.

Die vielen namhaften Fotografen und Künstler, die besonders in den letzten zwei Jahren aktiv wurden, haben die Plattform nicht unbedingt interessanter gemacht. Dafür haben sie das Medieninteresse auf Instagram als Ort für Kunst gezogen. Jetzt gibt es dort also nicht mehr nur Narzissten, die den ganzen Tag Selfies machen. Jetzt gibt es dort auch Künstler, die den ganzen Tag Selfies machen. Das Feuilleton freut sich und schreibt plötzlich deep kunstkritisch von New York über London, Frankfurt und München über Instagram und die Selfies von Cindy Sherman, die, so vermutet man, ihr neues Werk sind. Cindy Sherman sagt, ihre Selfies entstehen aus Spaß und zur Ablenkung, sie seien so etwas wie alberne Skizzen.

Und weil es auf Instagram so viele Menschen gibt, die den ganzen Tag Selfies machen und dabei gelegentlich als Influencer auch noch furchtbar viel Geld verdienen, indem sie sich und ihren Alltag überinszenieren, gibt es dort mittlerweile ein Pendant zur Ugly Fashion. Klobige Dad-Sneakers, Klamotten wie frisch aus den 90ern in Übergröße mit fetten Markenlogos und alles, was man eigentlich im Schrank von Papa oder Onkel findet, wird mit einer Selbstverständlichkeit getragen, die zeigen soll, dass man sich aus Mode überhaupt nichts macht. Dass man sich keine Mühe gibt beim Stylen. Dabei wissen alle: Der unförmige Triple S von Balenciaga kostet eine mittelteure Monatsmiete. Noch dazu muss man es schaffen, ein Paar zu ergattern.

Ein Ugly Instagram hinzubekommen, das ist nicht ganz so kompliziert und kostspielig. Man muss nur ein Auge für die banalsten Banalitäten und Verschrobenheiten haben und diese wiederum fotografieren wie so ein unbeholfener Instagram-Nutzer. Der Schauspieler Lars Eidinger ist vielleicht aus Gründen der Unermüdlichkeit der King of Verschrobenheit auf Instagram. Er klebt sich beim Auflegen haufenweise Sticker ins Gesicht, fotografiert Straßenbelag und dokumentiert in seinen nicht enden wollenden Stories uneitel sein Leben als dauerreisender und #nevernotworking Schauspieler.

Ugly Instagram ist also ein Grund, warum ich noch immer gerne in die App schaue. Während ich selbst über die Frage nachdachte, warum mir die Plattform auch im achten Jahr noch nicht zu langweilig ist, habe ich mit mir on- und offline bekannte Menschen gefragt, was sie sich eigentlich gern ansehen.

Der Boyfriend, neben mir sitzend, nannte aus Höflichkeit meinen Instagram-Account. Ich lächelte, fühlte mich kurz geschmeichelt und bat um eine zitierfähige Antwort, die außerdem als Ausweis seines guten Geschmacks dienen könnte. Seine Antwort, kurz und bündig: "Der Fotograf David Foster Nass hält sich meistens in der Provinz auf und ringt dieser bemerkenswerte Motive ab." Suburbane Tristesse aus Deutschland. Er selbst schreibt in seinem Profil: "new topographics & social landscapes. a unique perspective on rural & urban existance."

 

Ich frage weiter und bitte den Fotografie-Kritiker Jörg Colberg um eine Empfehlung. Er antwortet mir, dass er sich so spontan nicht festlegen könne und wolle, ich lasse ihm keine Wahl und bekomme einen Link zu Andrzej Tobis samt einem Link zu einem erklärenden Text mit den Worten: "Super, weil super!" Wenige Minuten später liefert Colberg selbst einen Essay nach, aus dem hier die Quintessenz folgt:

"Fotografie ist irgendwie wie Rock'n'Roll: dominiert von alten Männern, die sich viel zu ernst nehmen. Das stört mich. Obwohl ich in nicht so weiter Zukunft auch ein alter Mann sein werde." Das Wort "Altherrenkalauer" fiel auch. Er meint wohl Fotografen wie Stephen Shore, die in den Medien seit Jahren den Diskurs über Instagram und Fotografie bestimmen, weil sie eben weltbekannt sind, die Geschichte der Fotografie des 20. Jahrhunderts mitgeschrieben haben, sich auf Instagram kurz neu erfinden, aber eigentlich auf der Stelle treten.

 

Der Kunstwissenschaftler Wolfgang Ullrich hat in der letzten Zeit von sich Reden gemacht, weil er die Instagram- und Twitter-Accounts von Politikern kritisch analysiert. Von ihm bekomme ich folglich einen Verweis auf ein Profil mit einem Bezug zur Politik:

"Einer der witzigsten Politik-Accounts ist für michdem Dietmar sein Fahrer, betrieben vom Fahrer von Dietmar Bartsch von den Linken. Hier gibt es auf oft unorthodoxe Weise Einblicke in das Leben eines Politikers und in Abläufe der Politik –  delectare und prodesse vom Feinsten, ein Remedium gegen Politikverdrossenheit."

Karl-Marx-Stadt, kurzzeitig Chemnitz 200. Geburtstag von Carlos #linksfraktion

A post shared by Thorsten Z. (@dem_dietmar_sein_fahrer) on

 

Das erinnert mich kurz an den Bodyguard des Musikers Ed Sheeran, der mit seinem Bae, wie er den zu Bewachenden nennt, schnell zum Instagram-Traumpaar wurde.

 

Ungefragt sollen auch die jungen Künstler auf Instagram nicht bleiben. Also nehme ich einmal mehr Kontakt zu Andy Kassier und Sebastian Späth auf, zu zwei Künstlern, die sich in ihrer Arbeit mit Stereotypen in der Selbstdarstellung von Männern online befassen. Sebastian Späth weist mich darauf hin, dass wir uns einmal über die Verleihung des Pulitzer-Preises an den amerikanischen Kunstkritiker Jerry Saltz unterhalten müssen. Dessen Instagram nennt er folglich nicht. Er mag lieber die Accounts von alternden Dandys, schließlich braucht man Frisurvorbilder. Am liebsten folgt er allerdings Rodrigo Alves, weil er den Wunsch nachvollziehen kann, jemand anderes sein zu wollen. In dessen Bio steht: "I am a ShowMan. multilingual. worldwide. fashionista. jetsetter. plastic-surgery lover."

 

Das Sixpack hat Späth selbst schon. Die Londonerin Anwältin und Instagrammerin Dolly Brown, die sich für Kunst und Tanz interessiert, folgt derweil Jerry Saltz mit Vergnügen: "Weil er viele Fragen aufwirft und viele Antworten bekommt", so Brown. Andy Kassier, der in seiner künstlerischen Arbeit eher auf Distanz zum Betrachter geht, folgt gern dem Galeristen André Schlechtriem, weil er eine Nähe vermittelt, die man zu Galerien sonst nicht hat, erklärt er. Der junge Hamburger Kunststudent Danny Hane verspürt die größte Nähe zu sich selbst und kann deshalb seinen eigenen Account uneingeschränkt empfehlen:

"Ich find meinen eigenen eigentlich am besten – weil der cool ist." Zweiter Anlauf: "Ich finde ja persönlich @dannyhane ganz toll und ich finde ihn auch ein bisschen süß."

please internet forget me :(((((((((( #pleaseinternetforgetme

A post shared by Danny Hane (@dannyhane) on

 

Nähe ist übrigens der Grund, der am häufigsten genannt wurde, warum einem Account gefolgt wird. Die Chefredakteurin von "Photonews", Anna Gripp, mag die Mischung aus Privatem und Beruflichen bei Stephan Erfurt, dem Direktor von C/O Berlin. Man könnte den Instagram-Account von Stephan Erfurt auch wegen seines Dog-Contents sympathisch finden.

Die Kunstbloggerin Angelika Schoder derweil fühlt sich von hot medieval guys angesprochen und weist mich auf den dazugehörigen Blogbeitrag hin:

"Bei @a.hot.medieval.guy.a.day sammelt Medävistin Annick Bilder von 'scharfen Typen' in Kalenderform. Mit dabei sind etwa 'süße Boys' wie Jakob Fugger, der 1519 von Albrecht Dürer gemalt wurde, oder der Vollbart-Hipster Alfonso VIII von Kastilien (1155-1214). Und wer sich schon immer gefragt hat, wie der 'Justin Bieber des Mittelalters' aussah – er ziert das Kalenderblatt des 30. Juni 2017."

 

Stil ist auch für den Journalisten Benjamin Lauterbach wichtig, er empfiehlt:

"@lundochlund – Style is the answer to everything. Viele folgen Influencern und Stilikonen, ich folge dem unaufgeregten Auftritt vom Herrenausstatter Lund & Lund aus Stockholm. Keine Gesichter, keine Geschichten, einfach nur klassische Herrenoutfits, die mir zeigen, wie einfach guter Stil ist."

Nähe, Unterhaltung und Lifestyle sind nach ein paar Stunden die meist genannten Gründe. Auf Instagram gibt es aber auch eine Community, die sich für Fotografie und damit gute Bilder interessiert. Das scheint ein wenig antizyklisch zu sein, denn gute Bilder kann ja heute vermeintlich jeder machen, der ein Smartphone zur Hand hat. Ich frage bei drei Instagram-Ikonen nach, die sich international mit ihrer fotografischen Arbeit einen Namen gemacht haben. Tekla Evelina Severin aus Stockholm, von der zuletzt das Foto eines pinken Waschbeckens die Runde online in internationalen Blogs und Magazinen machte (ja, kein Scherz!), empfiehlt die amerikanische Fotografin Hayley Eichenbaum, für die die Fotografie entlang der Route 66 zu einem Heilmittel gegen ihre Angststörung wurde. Im Auto fand sie Ruhe auf der Suche nach Surrealem.

space cadet plinko on sunset blvd

A post shared by Hayley Eichenbaum (@inter_disciplinary) on

 

Der Berliner Michael Schulz, bekannt als @berlinstagram mit knapp 500.000 Followern, mag es ebenfalls surreal mit Anklängen zum Film. Er folgt aktuell am liebsten @accidentallywesanderson, ein Account, der Instagram nach Fotos durchsucht, die zu Filmen von Wes Anderson passen. Der Berliner Konrad Langer derweil sucht in Großstädten nach Brutalismus und Plattenbauten. Er selbst wurde bei seinen Anfängen auf Instagram von @nunoassis mit seiner Architekturfotografie geprägt. "Trotz seiner respektablen Reichweite schlachtet er seinen Account nicht mit Werbung aus, sondern behält sich das Fotografieren als Hobby bei", sagt Langer.

Emptiness

A post shared by Nuno Assis (@nunoassis) on

 

Zuletzt fragte ich noch einmal mich selbst. Ich bin offenbar der Typ: Verschroben soll es sein, nicht ugly, dafür instagrammig, gern unterhaltsam. Über Wolf Klein weiß ich nach all den Jahren, in denen ich mir seine Fotos auf Instagram ansehe nichts, außer dass er wahnsinnig gern Dinge auf seinem Kopf balanciert und davon ein Foto macht.

 

Da ich nicht so direkt der Typ Superfood und super healthy stuff bin, schätze ich die farblich und grafisch stimmige und vermutlich verdammt ungesunde Food Photography von Kelsey McClellan überaus. Mittlerweile fotografiert sie auch für die "New York Times" Essen.

matcha! photo by me, styled by @pandahandler #wardrobesnacks

A post shared by kelsey mcclellan (@kelseyemc) on

 

Der französische Fotograf Laurent Kronental hat sich dem Brutalismus in Paris verschrieben. Das kann ich sehr gut nachvollziehen. Aktuell teilt er eine Serie auf seinem Instagram, die in den Tours Nuage in Nanterre, nur wenige Meter von Paris entfernt, entstanden ist. Wie der Name Wolkentürme sagt, erinnert ihr Äußeres an Wolken. Kronental hat aus den Wohnungen hinaus fotografiert, zum Teil reicht die Sicht bis hinüber nach Paris.

 

Wenn Sie jetzt Instagram noch boring finden, deintallieren Sie die App!