Jeff Koons hat gerade Ärger, weil er bereits bezahlte Werke nicht liefert. Ein Sammler verklagte ihn und seinen Galeristen Larry Gagosian. Es soll um drei Stahlskulpturen im Wert von 13 Millionen Dollar gehen. Offenbar kommt er mit der Produktion nicht hinterher. In Berlin lebende Künstler derweil kommen mit der Produktion von Kunst hinterher, den allerwenigsten von ihnen wollen Sammler allerdings Geld geben. Laut einer Studie liegt die durchschnittliche Höhe der Einkünfte aus künstlerischer Arbeit bei 9.600 Euro pro Jahr, die Hälfte aller Künstler verdient mit ihrem Beruf weniger als 5.000 Euro. Männer verdienen im Jahr 11.662 Euro, Frauen nur 8.390 Euro.
Das ist nicht viel. In Berlin bekommt man dafür mittlerweile nicht einmal mehr eine Wohnung. Vielleicht ein Zimmer, ein sehr kleines, in einer sehr großen WG weit draußen. Aber vielleicht stimmt einen dieses Wissen etwas milder, wenn man sich ansieht, was auf den Accounts junger Künstler in den sozialen Medien los ist.
Man muss wissen, dass die ein wenig besser verdienenden Influencer 10.000 bis 15.000 Euro in zwei Tagen verdienen. Das ist ganz einfach. Eine Agentur fragt beispielsweise an, ob der Influencer wohl das Auto XY des Kunden vor drei verschiedenen Hintergründen in seiner Stadt fotografieren und die Bilder im Abstand von ein paar Tagen auf Instagram posten könnte. Da sagen die wenigsten Influencer nein. Wenn man bedenkt, wie lange Jeff Koons für die Lieferung einer Skulptur braucht, die gut 6 Millionen Dollar konntest, sind seine Tagessätze nicht höher.
Kürzlich fragte mich der Künstler Andy Kassier, ob ich schon Andy Picci auf Instagram begegnet sei. Ich verneinte und tippte den Namen hastig in das Suchfeld auf Instagram. Andy Picci sieht aus wie der jüngere Bruder von Andy Kassier, die beiden könnten ein Zwillingspaar sein, wie Bill und Tom Kaulitz. Der eine arbeitet beständig an seiner Karriere, der andere denkt sich, ach, Toy Boy, auch nicht verkehrt. Während Andy Kassier also den erfolgreichen Selfmademan auf Instagram gibt, ist Andy Picci der Womanizer, der nicht genug Zeit vor dem Spiegel verbringen kann. "I am a living work of art", das steht in seiner Profilbeschreibung. Ein Künstler also. Noch ein Post-Social-Media Künstler, der in eine Rolle schlüpft, um wie Amalia Ulman vorzuführen, dass online alle Lügner sind.
Andy Picci lügt gut, dass muss man zugeben. Wie ein erfolgreicher Fashion-Blogger kooperiert er täglich mit anderen Marken. Adidas, er macht irgendwas mit goldenen Schuhen, Yves Saint Laurent, er macht irgendwas auf einem Werbeplakat, Jean Paul Gaultier, er macht irgendwas mit Parfum. Um also herauszufinden, was bei ihm echt und was fake ist und ob überhaupt etwas echt ist, kontaktiere ich ihn via Instagram-Direktnachricht.
Hi, bist du da?
Ja, bin ich.
Was hat es mit deinem Instagram auf sich? Du bist Künstler?
Ja, das ist mein Kunstprojekt. Statt Instagram wie eine Galerie zu nutzen, in der ich meine Arbeiten zeige, verwende ich es wie ein künstlerisches Medium.
Was hat es mit den Kooperationen auf sich?
75% von meinen Postings sind fake. Mein richtiger Name lautet übrigens Andrea.
Hast du Kunst studiert?
Ja, ich habe meinen MA in Fine Arts an der Central Saint Martins in London gemacht.
Was ist mit Andy?
Andy übertreibt meine geheimsten Wünsche.
Verkaufst du Arbeiten?
Das ist ein Problem. Bisher habe ich mehr Geld als Influencer verdient. Andy ist aktuell so etwas wie ein Testimonial für Jean-Paul Gaultier.
Was hast du dafür bekommen?
Eine Einladung zum Abendessen und Parfum.
Was hast du für Pläne mit Andy? Soll Andy Influencer werden?
Ich möchte absolut kein Influencer werden. Ich möchte, dass Andy eine Berühmtheit wird. Ich möchte, dass Andy in Magazinen, im Kino und in der Werbung zu sehen ist.
Warum?
Ich frage mich, ob man berühmt werden kann, indem man vorgibt, es zu sein.
Kontaktierst du Unternehmen und bietest Kooperationen an?
Ja, wenn ich ein Projekt habe, das passen könnte, mache ich das.
Wenn der Weg zum Künstler nur über den Influencer führt, wird eben dieser Weg gegangen. Vor ein paar Tagen twitterte die amerikanische Künstlerin Signe Pierce:
In etwa: Bist du noch Content Creator oder machst du schon Kunst? Einige ihrer jungen Kollegen würden wahrscheinlich wie Andy Picci antworten, dass sie Kunst machen und mit Unternehmen kooperieren. Die kanadische Fotografin Petra Collins arbeitet weiter mit Gucci, die schwedische Künstlerin Arvida Byström inzwischen auch, die amerikanische Künstlerin Petra Cortright hat gerade Handyhüllen für Google gestaltet. Das ist ungefähr so attraktiv wie Plastiktüten für einen Discounter zu entwerfen.
Ich frage bei einem anderen jungen Künstler nach, der wie Andy Picci und Kassier in die Kategorie Post-Social-Media Künstler fällt. Er macht Kunst, die es gibt, weil es die sozialen Medien gibt, sie sind die Plattform und der Inhalt seiner Arbeit. Sebastian Späth kann eines besonders gut, nämlich nerven. Das ist natürlich volle Absicht, gibt er zu, nur nervt er deshalb nicht weniger. Das macht ihn natürlich wiederum sehr sympathisch, nur nervt er deshalb immer noch nicht weniger. Späth hat gerade sein Studium an der Kunstakademie Karlsruhe abgeschlossen, jetzt möchte er Journalismus studieren, um ein besserer Künstler werden zu können. Ein Buch hat er geschrieben, "Wir können euch nicht helfen. Ein Künstler über die Grenzen der Kunst", heißt es, habe sich über 230.000 Mal verkauft, sei die Nummer Eins auf der Buchmesse gewesen und habe ihn zu Markus Lanz ins Studio gebracht. Das weiß, wer ihm auf Facebook folgt. Dort teilte er jeden Tag neue Erfolgsgeschichten seines Buches, von denen keine stimmt. Freunde gratulierten ihm zu seinem Erfolg, "Lanz, Wahnsinn!", schrieben sie ihm, ein Radiosender wollte über seinen Bestseller berichten, den es gar nicht gibt. Das Buch gibt es natürlich schon, nur eben auf Amazon, im Selbstverlag, citca 150 Exemplare hat er bisher verkauft. Sein größtes Defizit sagt er, seien seine 613 Follower auf Instagram.
Eine Zeit lang war auf Instagram zu sehen, wie er an seinem Sixpack arbeitet wie ein Fitness-Victim mit Drang zur Selbstoptimierung. Als das Sixpack da war, ging es inkonsistent weiter auf seinem Account, dann kam die Buchpromo, jetzt weiß er nicht so recht, wie es mit der Figur weitergehen soll, gibt er zu. Auch Influencer sein möchte er nicht, obwohl ich ihm versichere, dass er nur täglich sein Sixpack zeigen müsste, um 613.000 Follower zu haben. Das interessiert ihn nicht, er möchte nur weiter sein Buch verkaufen, Markus Lüpertz schließlich könnte auch ein erfolgreicher Fashion-Blogger sein und macht es nicht, sagt er.
Den Hang zum Influencer haben also nicht alle jungen Künstler, die in ihrer Arbeit die sozialen Medien reflektieren. Auf Instagram gibt es weitere Verkaufsoptionen. Die Offensichtlichste: die Kunst verkaufen. Kunstbloggerin und Monopol-Kolumnistin Annika Taube schrieb jüngst: "Ganz Instagram muss diese Collagen kaufen." Es geht um die Collagen von Emanuel Mooner, der täglich eine Collage auf Instagram anbietet. Für 25 Euro plus 6 Euro Versand. Wer zuerst "I Want" kommentiert, bekommt die Arbeit.
Ob jetzt tatsächlich ganz Instagram diese Collagen kaufen muss, ist eine andere Frage. Die Nachfrage jedenfalls lässt nicht zu wünschen übrig. Das Projekt sollte 365 Tage laufen, nach 459 Tagen läuft es immer noch.
Der Künstler Darren Bader verkauft gleich seinen ganzen Instagram-Account, wie er in einem Posting am 2. April mitteilte:
Seitdem bieten seine Follower in den Kommentaren, das höchste Angebot liegt bei nur 220 Euro. Das wird nicht ganz dem Preis entsprechen, den sich Bader vorstellt. Im Interview mit "Artnet News" erklärte er, dass seine Galerie und er den Preis festlegen und dabei Parameter wie Arbeitsaufwand und Produktionskosten einfließen lassen würden. Bader befüllte den Account ein halbes Jahr lang, knapp über 300 Postings finden sich dort. Vielleicht hätte er es einfach wie Mooner machen sollen und jedes Posting gedruckt als einzelne Arbeit verkaufen. Ein Account in den sozialen Medien scheint keine gute Geldanlage zu sein, schließlich könnte die Plattform Instagram bald nicht mehr sein, und angeben lässt sich damit auch nicht gut. Was soll man den Freunden vorzeigen? Smartphone rausholen, Instagram öffnen, in den Account klicken und dann sagen: meiner? Da füllt man doch lieber selbst einen Account und gibt mit dem schönen Leben an, das man so nicht hat, aber prinzipiell haben könnte.
Wolfgang Tillmans erinnerte kürzlich unfreiwillig daran, dass Künstler schon immer Influencer sind. Er war mit einer Playlist Teil des Berliner Programms bei einem Event von Sonos, dem Lautsprecher-Hersteller. Auf Instagram wies er auf die Veranstaltung hin. Bei einem jungen Künstler hätte man sich gedacht: "Ah, paid content, wo ist der Hinweis #ad? Wieder so ein Künstler, der nicht einfach bei der Kunst bleiben kann." Bei Wolfgang Tillmans denkt man sich: "Ach, toll, eine Playlist von Wolfgang Tillmans."