Wo ist die digitale Aufbruchstimmung hin, die Museen im ersten Lockdown ergriffen hat? Die Kunstmuseen in Deutschland wollen so schnell wie möglich wieder öffnen dürfen. Mit einem offenen Brief haben sich die Direktor:innen führender Institutionen an die Kulturverantwortlichen von Bund und Ländern gewendet und Gründe vorgetragen, warum sie zügig raus wollen aus dem Lockdown. Die Ungeduld ist verständlich, wir sind alle ungeduldig.
Warum ausgerechnet Museen wieder öffnen sollen? Im Brief steht, sie würden "für den Hunger auf Kultur ein Angebot machen, ohne die gesellschaftliche Solidarität in Frage zu stellen". Die Museen erhoffen sich "mehr Gerechtigkeit" und wollen "eine kulturelle Grundversorgung" leisten. Die Sammlerin Julia Stoschek und die Direktorin der Kunstsammlung NRW Susanne Gaensheimer haben im Interview mit der "Süddeutschen Zeitung" darüber gesprochen, warum sie für eine Öffnung der Museen plädieren. Museen könnten gerade in der Krise eine wichtige Funktion erfüllen, so Gaensheimer, sie seien ein Ort der Bildung und des Diskurses und würden die Demokratiefähigkeit einer Gesellschaft unterstützen.
Stoschek fragt, was es bedeute, wenn Kunst und Kultur über Monate wegfallen würden? Menschen hätten besonders jetzt ein starkes Bedürfnis nach Kunst. Angesprochen auf digitale Angebote, sind sich beide einig, dass ja doch einiges passieren würde, aber es sei eben das Betrachten und Erleben von Kunst wichtig, der physische Ausstellungsbesuch sei nicht ersetzbar. Museen könnten Rettungsinseln sein.
Kunst ist doch die ganze Zeit da
Und das geht im 21. Jahrhundert, im digitalen Zeitalter, nur in geschlossenen Räumen? Sind Kunst und Kultur in den vergangenen Monaten tatsächlich weggefallen? Julia Stoschek selbst hat vergangenes Jahr einen der besten Moves gemacht, als sie sehr viele Videos aus ihrer Sammlung auf ihrer Website zugänglich gemacht. Kunst und Kultur waren die ganze Zeit da und sind es noch. Es waren allerdings im Wesentlichen digitale Vermittlungsformate wie Livestreams auf Instagram, Talks und Workshops auf Zoom und Guided Tours auf Facebook.
Wenn Kunst ins Digitale übertragen wurde, haben sich Museen auf virtuelle Rundgänge verlassen, sie haben also Ausstellungen 1:1 im virtuellen Raum zugänglich gemacht. Und ja, das kann man langweilig und nicht innovativ finden. Diese Lösung kann und will kein Erlebnis sein, virtuelle Rundgänge schaffen Zugang. Da wir im digitalen Zeitalter leben, ist es höchste Zeit, dass Museen sich mit dem Gedanken anfreunden und sich unabhängig von der globalen Pandemie und dem damit verbundenen Lockdown den digitalen Raum als Ausstellungsort erschließen. Im ersten Lockdown im März 2020 sind Museen in rasender Geschwindigkeit 30 Schritte vor, im never ending Lockdown zwei ging es gefühlt 50 Schritte zurück. Es ist die Rede von digital fatigue und too much screen time. Deshalb auch die Forderung: Öffnen, bitte!
Stefan Weppelmann, der neue Direktor des Museum der bildenden Künste Leipzig, erinnerte gerade im Interview mit dem Deutschlandfunk daran, dass die Zeit der Blockbuster-Ausstellung vorbei ist. Die Besucher:innen werden sich daran gewöhnen, dass reisen erst einmal so schnell nicht wieder möglich sein wird. Der digitale Raum sei in den letzten Monaten mit neuer Bedeutung versehen worden. Vielfach sei ausprobiert und improvisiert worden, es brauche neue Kompetenzen und neue Berufsfelder. Die Hauptaufgabe von Museen ist das Sammeln und Bewahren, es ist also nicht verwunderlich, dass der Fokus nicht auf der Erarbeitung neuer Präsentationsformen im Digitalen liegt und dass es dafür an Ressourcen mangelt. Wenn aber das touristische Publikum zwangsläufig wegfällt, wird es mehr digitale Besucher:innen geben. Und die wollen sicherlich mehr als einen virtuellen Rundgang nach dem anderen ablaufen.
Unelitärer Zugang
Peter Weibel hat kürzlich zurecht im Interview mit Monopol gesagt, dass Museen das bessere Netflix werden müssen. Museen müssen aber auch bessere Angebote schaffen als die sozialen Medien. Der Hype um das neue soziale Netzwerk Clubhouse zeigt, Menschen reden hier wie in einer Telefonkonferenz miteinander, dass die Features von Instagram, Facebook und Twitter nicht ausreichen. Und dann ist da ja auch noch die junge Zielgruppe, Museen reden immer von der Erschließung neuer Zielgruppen, die einen ganz anderen Anspruch an die Vermittlung von Kunst haben. 69 Prozent der Nutzer:innen von TikTok, einer Plattform, auf der viel getanzt wird, sind unter 24 Jahren. Also lassen beispielsweise die Uffizien in Florenz Skulpturen und Gemälde auf TikTok singen und tanzen. Das kann man jetzt furchtbar albern finden, die "New York Times" titelte "As Museums Get on TikTok, the Uffizi Is an Unlikely Class Clown“, aber es muss ja auch nicht den Leuten gefallen, die sonst das Museum mit einem dicken Ausstellungskatalog voller wissenschaftlicher Aufsätze unter dem Arm verlassen. Im Internet ist der Umgang mit Kunst bisweilen maximal unelitär, Meisterwerke werden in Memes verbraten und jetzt tanzen sie auch noch zu allen erdenklichen Hits.
Das Met Museum hat aktuell den Spaß mit dem Ernst verbunden. Via Smartphone kann man sich durch die virtuelle Version des Met Museum bewegen, man ist eingeladen, sich die Sammlung spielerisch zu erarbeiten, als Belohnung bekommt man die Werke via Augmented Reality in die eigenen vier Wände geliefert. Für 15 Minuten pro Werk. Was man in der Zeit damit macht, das hat sich mit nicht erschlossen. Nach dem perfekten Ort suchen? Das Werk anstarren für 15 Minuten? Im Museum würde man das im Sonderfall machen, aber bei einer digitalen Reproduktion?
Das Met Museum als Paradebeispiel
Es ist übrigens nicht das ganze Haus, das man ablaufen kann, sondern, so steht es in der Pressemitteilung: "Die individuell gestalteten digitalen Galerien wurden exklusiv für The Met Unframed gerendert und erinnern an Räume aus dem gesamten Museum oder bilden diese nahezu nach. Das virtuelle Layout arrangiert auf kreative Weise eine Auswahl von Galerien, die Kunst aus verschiedenen Jahrtausenden und aus der ganzen Welt zeigen und so das Museum - und die Sammlung - wie nie zuvor erlebbar machen."
Zur Umsetzung dieses digitalen Angebots hat sich das Museum einen Partner ins Boot geholt, nämlich Verizon, ein Telekommunikationsunternehmen, das zeigen will, was 5G kann. Fair enough, irgendwoher muss das Geld für so ein aufwendiges Projekt ja kommen. Im Internet sorgte das natürlich trotzdem für Spott. Zugegeben, die AR-Funktion ist das, was man sich vielleicht doch noch einmal besser hätte überlegen sollen.
Das Museum hält nicht hinter dem Berg, mit wem es sich da zusammengetan hat und macht großzügig Werbung für den Partner. "Verizon erzielte mit seinem Hauptsitz in New York City und einer weltweiten Präsenz im Jahr 2019 einen Umsatz von 131,9 Milliarden US-Dollar. Das Unternehmen bietet Daten-, Video- und Sprachdienste und -lösungen auf seinen preisgekrönten Netzwerken und Plattformen an und erfüllt damit die Nachfrage der Kunden nach Mobilität, zuverlässiger Netzwerkkonnektivität, Sicherheit und Kontrolle." Ok. Ich suche im Internet nach Reviews, weil ich wissen will, wie das Angebot eingeschätzt wird. "Ich verbrachte zwei Stunden im Inneren der neuen Augmented-Reality-Erfahrung der Met. Hier ist eine minutengenaue Chronik meiner Edutainment-Odyssee", titelt "Artnet".
Same here, denke ich mir. Und das ist doch schon einmal etwas. Wenn man bedenkt, dass sich digitale Besucher:innen circa vier Minuten mit einem virtuellen Rundgang befassen – diese Information habe ich aus dem Kunstmuseum Basel –, sind zwei Stunden eine halbe Ewigkeit. Länger hält man sich im Zweifel ja auch nicht in einem Museum auf.
Wie beim Besuch vor Ort fragt man sich permanent "What’s next?", man läuft durch die unterschiedlichen Galerien, löst Aufgaben, nimmt Informationen zum Werk auf und schaut es sich dann eine Weile an. Den Part habe ich online schnell geskippt, weil die Werke an der eigenen Wand nicht so imposant wirken wie in großen Räumen im Museum. Jetzt könnte man sich auch darüber beschweren, dass es irgendwann nicht mehr so interessant ist, sich Kunst zu erpuzzlen oder sich mit Details zu befassen und diese an die richtige Stelle zu setzen. Beides gelingt mir nicht immer, fraglich ist, ob das an mir selbst oder der Technologie liegt. Aber gut, das Zielpublikum ist hier vielleicht auch eher die TikTok-Crowd, die unterhalten werden will beim digitalen Museumsbesuch und das kann “The Met Unframed“ sehr gut. Der Gang durch's Museum ist kurzweilig und abwechslungsreich, zumindest die ersten 30 Minuten.
Digitale Kunst für Zuhause
Ein anderes Beispiel ist das Smithsonian, das es sich noch ein bisschen einfacher mit dem Partner gemacht hat, die Wahl fiel auf Facebook. Was offensichtlich ist, wenn man mit einem digitalen Angebot maximal viele Leute erreichen will. Denn man muss es erst einmal schaffen, die digitalen Besucher:innen auf eine Website zu bekommen beziehungsweise aus den sozialen Medien herauszulocken. "Do it for the 'gram: Entdecke die Augmented Reality von Smithsonian auf Instagram Stories", fordert das Museum in seinem Blog auf. Da ist auch ganz klar, wer die Zielgruppe ist, die Generation Instagram, die sich sonst via Selfie-Filter halb in einen cuten Hund verwandelt.
Über den Instagram-Account @smithsonian und das AR-Filter-Feature also, kann man sich eine Auswahl von Objekten in 3D in das eigene Wohnzimmer stellen. Darunter ist unter anderem ein Mammut. Das ist natürlich ein wenig aufregender, als sich ein Kunstwerk wie ein Poster an die eigene Wand zu hängen.
Jetzt kann man natürlich sagen, aber das ist ja genau, was Museen eigentlich nicht wollen, sich weiter an Instagram / Facebook binden beziehungsweise mit einem großen kommerziellen Sponsor arbeiten. Mittlerweile gibt es allerdings eine Anzahl von Fördermöglichkeiten für digitale Projekte, man muss nur wissen, was es für Möglichkeiten gibt. Und das sind eben nicht nur noch ein Livestream oder eine digitale Konferenz. Das Met zeigt, wohin die Reise im digitalen Raum gehen kann, wenn man aus dem Besuch wie vor Ort ein Erlebnis machen will.