Bisher ist unbekannt, wer auf der Berliner Museumsinsel Dutzende Artefakte "mit einer öligen Flüssigkeit übergossen" und beschädigt hat. Interessant ist jedoch, wie schnell trotz fehlender Hintergründe und einer schweigenden Preußenstiftung die Verbindung von der Attacke auf die Kunst zu Verschwörungsideologen und Gegnern der Anti-Corona-Maßnahmen gezogen wurde. Denn was unstrittig ist: Die altehrwürdige Museumsinsel ist in den vergangenen Monaten ins Zentrum von Verschwörungsmythen gerückt, die mit dem Satan, Angela Merkel und Kinderopfern im Kunsttempel zu tun haben.
Angeheizt werden diese unter anderem vom ehemaligen Kochbuchautor Attila Hildmann, gegen den inzwischen wegen Volksverhetzung ermittelt wird. Seit Juni hatte Hildmann seine "Anti-Corona-Demos", bei denen auch antisemitische Äußerungen und Aufrufe zur Gewalt verbreitet wurden, auf den Stufen des Alten Museums abgehalten – einem öffentlich zugänglichen Bereich der Museumsinsel. Das Ausstellungshaus teilte mit, dass es nichts gegen die Versammlungen unternehmen könne, distanzierte sich jedoch von den Inhalten der Kundgebungen und antwortete mit einem Banner gegen Rassismus, Antisemitismus, Nationalismus und Hetze. Im Juli verbot die Berliner Versammlungsbehörde die Demonstrationen, weil sie davon ausging, dass dort erneut strafbare Aussagen fallen würden.
Seitdem stehen die Staatlichen Museen im Fokus von Attila Hildmann und seinen Anhängern, die (mit einigen Variationen) die Corona-Pandemie für einen Masterplan einer globalen Elite halten, der dazu dienen solle, die Bevölkerung mit genverändernden Impfungen zu unterwerfen. Dass die Museen ihn "boykottiert" hätten, schrieb Attila Hildmann mehrfach auf seinem Kanal beim Messengerdienst Telegram, dem über 100.000 Menschen folgen. Und lieferte die Begründung dafür gleich nach: Im Pergamonmuseum liege das Zentrum des globalen Satanismus, und nachts würden dort Kinderopfer erbracht. Die Tatsache, dass Angela Merkel gleich gegenüber des Museums wohnt, ist laut Hildmann ein Indiz dafür, dass die Bundeskanzlerin an den satanistischen Ritualen beteiligt ist. Auch nach Bekanntwerden des Vandalismus auf der Museumsinsel am Dienstagabend veröffentlichte Attila Hildmann bei Telegram mehrere Posts mit diesem Tenor. Auf die Täter gibt es bisher laut Polizei keine Hinweise. Doch Hildmann scheint die Beschädigung von Artefakten zumindest gutzuheißen, da dadurch "eine öffentliche Debatte über Satanismus" angestoßen werden könne.
Wie aber kommt die Kunst ins Zentrum dieser Verschwörungsideologien? Die Verbindung vom Pergamon-Museum zum Teufel ist nicht neu und fußt auf einer Stelle in der biblischen Offenbarung des Johannes, die man so interpretieren kann, dass der Thron des Satans in Pergamon stehe. Mit dem Transport des Ende des 19. Jahrhunderts ausgegrabenen Altars aus der heutigen Türkei nach Berlin hat sich nach dieser Lesart der Wohnort des Teufels geändert. Auch die Form des Pergamon-Altars lässt sich durchaus als riesiger Stuhl mit Armlehnen lesen, sodass einige Bibelexegeten den Satan seit Längerem in Berlin vermuten. Neu ist dagegen, dass diese Schlussfolgerung direkt mit aktueller Tagespolitik verknüpft wird, der Teufel mit Bill Gates im Bunde steht und das Museum als Schauplatz einer politischen Weltverschwörung angenommen wird (Dan Browns "Illuminati"-Romane lassen grüßen).
Auch in den USA taucht Kunst in populären rechten Verschwörungsmythen auf. So wird der Performance-Künstlerin Marina Abramovic seit Jahren unterstellt, zusammen mit der ehemaligen demokratischen Präsidentschaftskandidatin Hillary Clinton in satanistische Kinderschänderkreise verstrickt zu sein. Diese Vorwürfe gehen unter anderem auf eine "Spirit Cooking"-Aktion Abramovics zurück, bei der sie mit Schweineblut an eine Wand geschrieben hatte. Das Interessante ist, dass eine bekannte Künstlerin, die in ihren Arbeiten schon immer mit Akten der Gewalt und okkulten Symbolen (Pentagramm auf dem Bauch) gespielt hat, von den Verschwörungsanhängern gewissermaßen beim Wort genommen wird.
Kunst als Puzzleteil einer stringenten Erzählung
Anders als in der sogenannten "Kunstwelt" wird nicht reflektiert, in welchem Kontext die Performances aufgeführt wurden oder nach symbolischem Gehalt gefragt. Die Unterscheidung zwischen verschiedenen Kommunikationssystemen wird so außer Kraft gesetzt. Es ist den Verschwörungstheoretikern egal, ob etwas im Bedeutungszusammenhang von Politik oder Kunst gezeigt oder gesagt wird – am Ende erscheint ihnen alles als ein gleichwertiges Puzzleteil in einer stringenten Erzählung, die man nur zusammenfügen muss. Wenn man denn "erwacht" ist, folgt alles logisch aufeinander. Wenn in einem Museum der Thron Satans steht, muss dort auch der Satanismus praktiziert werden. Wenn Angela Merkel ihre Hände zur bekannten Raute formt, ist das genauso zu lesen wie die Illuminaten-Dreiecke auf historischen Abbildungen. Kunstwerke werden zu Suchbildern – bei denen man schon weiß, was man finden will.
Diese Lesart schreibt der Kunst eine ungeheure reale Macht zu – während der Kulturbetrieb die Kraft der Kunst meist im Symbolischen und Übertragenen verortet. Eine Beschädigung von Werken an unheiligen Orten könnte in der Logik der Verschwörungsgläubigen fast eine exorzistische Dimension erlangen – auch wenn die Unterschiedlichkeit der ramponierten Exponate auf der Museumsinsel (Sarkophage, Gemälde des 19. Jahrhunderts) eher für eine wahllose Zerstörungswut spricht.
Apropos Kontext: Im Lichte der gegenwärtig gut gedeihenden Verschwörungserzählungen ist es schon ironisch, dass die Museen seit Jahren betonen, Orte für gesellschaftliche Debatten sein zu wollen. Jetzt sind sie es – auf eine denkbar absurde Weise.