Ihr Zusammentreffen gleicht nicht unbedingt dem einer Nähmaschine und eines Regenschirms – wie es der Surrealismusvordenker Lautréamont erträumte. Aber ein ungleiches Paar ist es schon, das sich an diesem Abend Ende Juni zum Podiumsgespräch in der Neuen Nationalgalerie zu Berlin einfindet: Werner Spies, Kunsthistoriker, Kritiker und Kurator, plaudert mit Neo Rauch, dem gefeierten und scheuen Maler rätselhafter Tableaus. Anlass des von großem Publikumsandrang begleiteten Treffens ist die „Bilderträume“- Schau (noch bis 22. November) mit Hochkarätigem aus der Sammlung Pietzsch: Magritte, Dalí, Picasso, Balthus, dazu die US-Nachkriegsavantgarde – und ein Gemälde von Neo Rauch als Schlusspunkt der Präsentation.
Abweichende Lampenfieberkurven: Spies schwäbelt sich souverän durch die Kunstgeschichte des 20. Jahrhunderts und lässt es nicht an Versuchen fehlen, den Maler fragend in die Tradition einzubinden. Rauch vermittelt auf dem Weg zum Podium einen klammen Eindruck, beginnt behäbig, redet sich frei und macht doch nie den Eindruck, über Herkunft und Herstellung der Bilder zu schwelgen. Was er sagt, klingt manchmal wie aus alten Büchern rezitiert, da wird die Kindheit als „nährstoffreiche Region“ bezeichnet, Bildfiguren befinden sich „in der Obhut von Schutzgeistern, die sie mitführen in das Unterholz des nicht klar Durchdachten, in dem das Gelichter der Irrationalität umgeht“.
Wenn Rauch um Worte ringt, sein bildnerisches Denken zu beschreiben, wirkt er glaubwürdig. Wo er stockt, springt Spies ihm bei und lotst das Gespräch in sichere Gewässer, mit einem Exkurs über Max Ernst etwa, der Jackson Pollock bekanntermaßen das Dripping beibrachte – und so das surrealistische Verfahren der Écriture automatique an den abstrakten Expressionismus weitergab.
Gesprochen wird auch über Neo Rauchs Ausstellungsbild „Fluchtversuch“ (2008). Werner Spies’ Interpretationsidee, das Großformat könnte einen Ausgangspunkt in Marie Antoinettes gescheiterter Flucht zu Beginn der Französischen Revolution haben, wird vom Künstler freundlich abgewehrt. „Die Gedanken sind frei“, räumt er jedoch ein. Er wolle den Betrachter immer ins Bild locken, das aber dann so beschaffen sein soll, „dass es an einer bestimmten Stelle sagt: bis hierhin und nicht weiter“. „Die rückhaltlose Demokratisierung des Inhaltes wäre Kitsch“, postuliert der Künstler.
Mit Fluchtreflexen reagiere er auf kunsthistorische Einordnungen. Aber die Surrealistenschublade sei gar nicht so unbequem. Immerhin habe er in zartem Jugendalter Dalí und Masson in Knaurs Kunstlexikon entdeckt: „Die Bilder schlugen durch bis auf den Grund.“ Warum Rauch so wenig nackte Haut und fast ausnahmslos „beängstigende Frauen“ in seinen Bildern gestatte, fragt Spies. Rauch sagt: „Ich erwarte von bemalten Leinwänden keine Masturbationsunterstützung.“ Ein – ex negativo – intimes Geständnis, mit dem die Selbstauskünfte des Malers allmählich auslaufen.
Seine rhetorische Frage, worüber man denn sonst noch reden könne, gleicht einem Rausschmeißer. Herzlicher Applaus vom Publikum, das damit leben kann, dass immer lose (Nähmaschinen-)Fäden bleiben und Regenschirme manchmal verflixt schwer aufzukriegen sind.