An Post-Internet-Art erinnern sich wahrscheinlich noch alle. Also an den Begriff, der eine Kunstrichtung meint, die uns trotz des Namens nicht erzählen möchte, dass es das Internet nicht mehr gibt. Ganz im Gegenteil, die Post-Internet-Art hat das Internet und seine Kultur ein- und wieder ausgeatmet.
Als der Begriff noch heiß war, so heiß, dass zumindest Künstler nicht damit in Berührung kommen wollten, wurden eine Menge Texte geschrieben, die Post-Internet-Art erklärten. Was ist das? Was kann das? Wie fühlt sich das an? So ungefähr wie heute über Influencer berichtet wird. Was machen die? Warum tun die das? Wann hört das wieder auf?
Beide Begriffe sind unscharf und trotzdem wissen alle, was gemeint ist. Influencer bewerben Lippenstift und Detox-Tee auf ihren reichweitenstarken Social-Media-Kanälen, Post-Internet-Künstler machen Objekte, die fotografiert wiederum online gut aussehen sollen. Die schönste Definition stammt wahrscheinlich von Kritiker Brian Droitcour: "I know Post-Internet art when I see art made for its own installation shots, or installation shots presented as art."
Post-Internet-Künstler möchte niemand genannt werden, Influencer auch nicht. Beides ist per se nichts Schlechtes, nur ist beides eben in Verruf geraten. Sie sind berechnend in Richtung Kunstmarkt und Unternehmen, glaubt man zu wissen, sie biedern sich beim Publikum an, arbeiten sich verzweifelt an ihrem Erfolg ab, betreiben maßlos Ich-PR und lieben Werbung.
Längst geistert ein neuer Begriff herum, nämlich der des Instagram-Künstlers. Man kann es sich denken, Instagram-Künstler, das möchte erst recht niemand sein, denn Künstler mögen es nicht einmal unbedingt gern, Fotograf genannt zu werden. Auf die Frage, was sie davon hält, eine Instagram-Künstlerin zu sein, sagt Amalia Ulman (Monopol 3/2018): "Ich bin eine Künstlerin. Ich nutze Instagram, weil es die gängigste Plattform ist. Wenn ich früher dran gewesen wäre, hätte ich vielleicht einen Chatroom genutzt. Es ist einfach Netzkunst, was ich mache. Und Performance. Und Fotografie. Es ist Kunst."
Der belgische Künstler Tom Galle hält genauso wenig davon: "Das klingt, als wäre ich mit einem Unternehmen verbunden. Ich schaffe visuelle Arbeiten, die für die sozialen Medien gemacht sind. Anfangs haben Netzkünstler Webseiten gemacht, davon sind sie weggekommen, weil niemand mehr Webseiten besucht. Die Leute sind heute auf Instagram unterwegs. Meine Arbeit reflektiert, wie Menschen das Internet nutzen. Also muss meine Arbeit so beschaffen sein, dass sie dazu passt, wie heute Kunst online gesehen wird. Als Blogs groß waren, waren es Blogs für mich. Ich folge Trends im Internet."
Die Antwort ist denkbar einfach. Künstler sind online dort, wo ihr Publikum ist, also sind sie auf Instagram. Einen Künstler, der seine Arbeiten in einer Galerie zeigt, würde auch niemand Galerie-Künstler nennen. Die Tatsache aber, dass ein Begriff wie Instagram-Künstler verwendet wird, zeigt, dass Post-Internet-Art hier nicht mehr greift. Denn plötzlich machen Post-Social-Media Künstler wie Amalia Ulman, Andy Kassier, Molly Soda und Leah Schrager wieder Kunst, die zuerst einmal ausschließlich online stattfindet, nämlich in den sozialen Medien, und den Galerieraum nicht mitdenkt.
Post-Internet-Künstler mussten sich fragen lassen, so beispielsweise von Jörg Heiser, woher ihre Rückbesinnung auf das Material komme. Heiser weiter: "Ist all das nicht ein inkonsequentes Andienen an die traditionellen Gesetze des Kunstmarkts? Ein Rückfall ins ganz übliche und schnöde Herstellen von irgendwie zeitgeistigen und dekorativen Dingen, die man erst in den sogenannten White Cube, die Weiße Zelle der Galerie, stellen oder hängen kann und dann auf den Wohnzimmerteppich oder übers Sofa?" Berechtigte Frage, ebenso berechtigt ist aber auch die Erkenntnis, dass man von nahezu unverkäuflicher Kunst im Browser nicht leben kann.
Im Jahr 2006 hat übrigens die amerikanische Künstlerin und Theoretikerin Marisa Olson erstmals auf einem Panel in New York über Post-Internet-Art gesprochen. Sie sagte: "Everything that I do unfolds from my major, hardcore obsession with pop music and cultural distributive communication technologies. I’m going to toggle back and forth between video and internet because some of the internet art that I make is on the internet, and some is after the internet." Kunst also, die entsteht, nachdem sie online war. Die Diskussionen darum langweilen sie. Auf die Frage, wie sie Post-Internet-Art heute versteht, antwortete sie per Mail: "Now I use the term more to reflect on those broader cultural conditions of network culture, of which art is just one aspect. I do wish that people would spend more time looking at these issues than they do creating drama around labels. I'm personally on to using it in a way that looks at questions of deeper political & feminist relevance, it was never about commercialism in the first place."
Einer, der auch wissen muss, was sich in den letzten zwölf Jahren verändert hat, ist Aram Bartholl. Von den einen wird er Hacker genannt, von den anderen Medienkünstler. Wenn Post-Internet-Art nicht so wahnsinnig negativ besetzt wäre und wenn man nicht wie Jörg Heiser und Omar Kholeif für die zweite Generation Netzkünstler noch einen anderen Begriff finden wollen würde, könnte man Aram Bartholl guten Gewissens einen Post-Internet-Künstler nennen. Heiser nämlich nennt die zweite Generation, also die Künstler der frühen 2000er Jahre wie Cory Arcangel und Constant Dullaart "die Postmodernisten des Netzes", über sie schreibt er: "Sie halten ironisch Rückschau und dekonstruieren die Konventionen, die die vorige Generation von Computer-Nerds gerade erst entwickelt hatte." Und Omar Kholeif unterscheidet in seinem Buch "Goodbye, World! Looking at Art in the Digital Age" zwischen der ersten Generation, der Net.art, zwischen der zweiten Generation, Kunst nach dem Internet ("art after the internet"), und der dritten Generation, der Post-Internet-Art. Und jetzt wird es kompliziert, denn Kholeif ordnet Dullaart unter Post-Internet-Art ein. Bartholl wiederum findet gut, dass Heiser ihn selbst einen Postmodernisten des Netzes nennt. Dass ich ihn, ohne ihn beschimpfen zu wollen, der Post-Internet-Art zurechnen würde, findet er auch irgendwie okay.
"Ach mir ist das doch auch egal eigentlich, in the long term gibt es wieder ganz andere Perspektiven. Wie so häufig will ja kein Artist unter dem Label, das gerade on ist, genannt werden", sagt er.
Also reden wir, bei einer Tasse Tee in seiner Küche sitzend, lieber darüber, was sich verändert hat. Aram gehört, das sei nebenbei erwähnt, zu den vier Großen der Netzkunst. Ein anderer Netzkünstler, der Serbe Vuk Cosic, schrieb einst auf Facebook: "Sagt's nicht dem Internet, aber ich bin ganz dicke mit Constant, Aram, Cory und Evan." Gemeint sind Constant Dullaart, der mit den gekauften Instagram-Followern. Cory Arcangel, der mit den Super Mario Clouds. Evan Roth, der "Bad Ass Mother Fucker", laut Google. Und Aram Bartholl, der mit den USB-Sticks, die weltweit zum anonymen Datenaustausch in Mauern gesteckt wurden. Bartholl ist auch der mit der Handytasche, die Funksignale blockiert. Und er ist der mit den "15 Seconds of Fame", weil er 2009 spontan einem der Google Street View Autos hinterhergelaufen ist.
Jetzt sitzt er wie gesagt in seiner Küche und ist derjenige, der mir sagen soll, was aus der Post-Internet-Art geworden ist und wohin es mit der Kunst nach den sozialen Medien geht. Zur Vorbereitung auf das Gespräch haben wir beide einen Text von Boris Groys gelesen, der Titel lautet vielversprechend "Curating in the Post-Internet Age". Aram ist genervt, ich natürlich auch, dass schon wieder Bezug auf Walter Benjamin genommen wird. Wir nicken einander zu, trinken beide einen Schluck Tee, dann sagt Aram den sehr schönen Satz: "Benjamin würde heute auch etwas anderes schreiben." Jetzt würden wir beide gerne das Gespräch beenden, weil eigentlich nichts Besseres mehr gesagt werden kann. Weil das aber nicht geht nach zwei Schluck Tee und drei Sätzen, freuen wir uns noch einmal kurz und reden dann weiter.
"Aram, warum bist Du eigentlich eher auf Twitter als auf Instagram unterwegs?", frage ich ihn.
"Das ist so’n Alterdings, das mache ich jetzt nicht mehr mir", sagt er.
Ich nicke verständnisvoll und fühle mich für einen Moment sehr jung.
"Instagram, das mache ich nur sporadisch", behauptet er nach noch einem Schluck Tee.
"2.000 Beiträge? Sporadisch?"
"Ich habe das früher wie Twitter genutzt", erklärt er mir. "Ich sehe nicht, wo es mit Instagram hingeht", sagt er. "Es hat sich ja niemand überlegt, dass er jetzt Instagram-Stories machen will. Instagram sagt, hier ist das neue Feature, Stories, macht das mal und alle machen."
Auf Instagram möchte er keine Präsenz zeigen, auf Twitter hat er drei bis vier Erzählstränge und ein paar Leute, mit denen er sich austauschen will. "Facebook will ich nicht auf dem Telefon haben, die App liest ja weiß Gott was mit."
Das ist auch Arams Ansatz: Aufklärung. Die Nutzer müssen sich bewusst sein, dass Daten gesammelt werden. Man müsse "awareness schaffen", sagt er, "Daten werden verkauft. Und dann ist da außerdem ein Algorithmus, der Empörungsmeldungen nach oben spült. Mit den großen Firmen wie Google, Facebook und Co. fahren wir in eine Sackgasse. Instagram gibt uns zwei oder drei neue GIF-Animationen und alle haben das Gefühl, das sei die große Freiheit."
Ich trinke schnell einen Schluck Tee. Ich mag GIFs in meinen Instagram-Stories. "Mit den Stories sind wir immer im now", ergänzt er sich selbst. Aram erzählt mir von professionellen YouTubern, die vor wenigen Monaten mit ihren Burnouts an die Öffentlichkeit gegangen sind. Welche Konsequenzen er daraus für Künstler ableitet, die soziale Medien nutzen, will ich von ihm wissen. Das Internet eigne sich gut als Verbreitungsplattform, man könne sich sein eigenes Publikum schaffen. Er reicht mir sein Buch "Aram Bartholl. The Speed Book" und verweist auf den Essay von Evan Roth. Der hat schon im Juli 2011 geschrieben, da gab es Instagram noch nicht einmal ein Jahr: "The internet has allowed more and more individuals to become makers, participants, and viewers of art, and it presents artists with the opportunity to speak to the equivalent of a packed football stadium on a daily basis. Artists have never had such a large and immediate influence on culture, and it would seem a missed oppportunity not to recognize, welcome and engage this new online audience."
Zurück zur Post-Internet-Art. Wie er das damals, der Peak ist ja doch schon ein paar Jahre her, erlebt hat, frage ich ihn, und wo er den Unterschied zu seiner Kunst sieht. "Die Fragen sind in diesem Bereich alle ähnlich, die Sachen und die Antworten unterscheiden sich", sagt er. "Der Unterschied ist eher auf der Ebene von Kunstsystemen zu sehen. Die classic post-internet people, Novitskova, Laric, Rafman, waren von Anfang an voll auf Galerie, Skulptur, sellable, high glossy aesthetic aus", so Aram. "Alles mit Medienkunst und Festivals ist potentiell uncool. Recht haben sie vielleicht." Aram lacht.
Wir reden nicht darüber, dass Jon Rafman vor ein paar Wochen eine Modenschau von Balenciaga gestaltet hat. Stattdessen frage ich ihn nach seiner Beteiligung an der Thailand-Biennale, zu der er in wenigen Tagen aufbricht, dort zeigt er "The Perfect Beach". Es geht um das Bild des perfekten Strandes, das als Desktop-Hintergrund oder Selfie-Kulisse verwendet wird. In Thailand tragen Performer große Strandbilder den Strand entlang. Besucher der Biennale und Touristen können am echten Strand vor dem Fake-Strand ein Selfie machen.
Welches ist jetzt eigentlich der perfekte Strand? Und ist das jetzt Post-Internet-Art oder Post-Social-Media-Art? Aram sieht auch eine Zäsur. Eine Antwort bekomme ich einige Tage später via eines Hashtags auf Instagram: #postsocialmedia.