Künstlerfiguren auf den Filmfestspielen Venedig

Vom Bling-Bling zur Überlebenskunst

Beinahe hätte ich die Köcherfliegenlarve übersehen. Der Künstler Hubert Duprat hat der Larve, die sauerstoffhaltiges Wasser mag, den Panzer weggenommen und ihr mit Gold- und Perlmuttstaub neues Baumaterial in das Aquarium gestreut. "Caddis Worms building their Case" ist in der großartigen Biennalen-Kollateralschau "Slip of the Tongue" in der Punta della Dogana zu sehen, kuratiert von Danh Vo.

Beuys würde sagen: Jeder Wurm ist ein Künstler. Mindestens als Schmuckdesigner geht die Larve durch. Das bringt mich zum Lido und zu Julie Delpy, die in ihrer selbst inszenierten Komödie "Lolo" eine Mode-Managerin in Paris spielt. Der Langzeitsingle verliebt sich in einen von Dany Boon verkörperten Computerexperten, der nicht so ganz in ihre Lebenswelt passt.

Als Delpy ihrem Lover Karl Lagerfeld (coole Gastrolle) vorstellt, begrüßt der IT-Spezi den Modeschöpfer als Gründer von Chanel. Umpf. Man muss allerdings anmerken, dass Delpys eifersüchtiger Sohn dem Rivalen Tranquilizer in den Champagner gemischt hat. Boons peinlicher Vollrausch geht auf nur einen von diversen Anschlägen zurück, die Lolo (Vincent Lacoste) auf den liebenswerten Trottel verübt, um ihn loszuwerden.

Lolo ist Künstler. Er schiebt seine Profession vor, um seinen Gegner auszuschalten. Jeder Attentatsversuch ist als Performance oder skulpturaler Prozess getarnt. Die medial vielfältige Kunst von Delpys Filmsohn ist kaum mehr als Staffage, während Tom Hoopers Drama "A Danish Girl" ein realistischeres Bild seiner Künstlerszene entwirft: Der Film spielt im Dänemark der 20er-Jahre. Auch wenn sie – der Film könnte das ändern – in Vergessenheit geriet: Gerda Gottlieb, die den Namen Wegener annahm, war eine sehr erfolgreiche Malerin.

Der Film widmet sich aber vor allem ihrem Maler-Ehemann Einar Wegener (1882-1931), der als Frau leben wollte und einer der ersten war, der eine Geschlechtsumwandlung wagte. Lili Elbe, so der selbstgewählte Name, malte dann überhaupt nicht mehr. Auch "A Danish Girl" ist kein Künstlerfilm, mehr ein Film um Überlebenskunst und den Herzenswunsch, man selbst zu sein – ganz gleich, in welcher Larve einen die anderen sehen wollen.