Hoetger-Filmporträt im Kino

Völkisch, "entartet", vergessen

Vor 1933 rissen sich Keksproduzenten und Kaffeeröster um Bernhard Hoetger. Als Hitler das spätere NSDAP-Mitglied persönlich ablehnte, stürzte der Bildhauer in Ungnade. Eine Doku erzählt jetzt vom Aufstieg und Fall des Vielkönners

"Nie habe ich zertrümmern wollen, nie etwas Neues schaffen wollen", gesteht Bernhard Hoetger am Anfang dieses hybriden Porträts von Gabriele Rose, einer Mischung aus dokumentarischem Material, Talking Heads, Split Screens und nachgestellten Szenen, in denen vor einer Fototapete seltsam steif agierende Schauspieler Original-Zitate aufsagen. Die Selbstbeschreibung lässt aufhorchen, denn die Absetzung vom Gestern gehörte um 1900 eigentlich längst zum Standardrepertoire ambitionierter Kunsterneuerer. Deutete sich da etwa bereits eine ängstlich mitläuferische Haltung an?

Der Meisterschüler an der Kunstakademie Düsseldorf besuchte die Weltausstellung in Paris und blieb. Es dauerte eine Weile, bis der Sohn eines Schmieds als Avantgardist den richtigen Ton traf. Doch dann kamen seine sozialkritisch angehauchten Arbeiterfiguren unverhofft gut an, Hoetger stellte im Salon d'Automne aus, heiratete eine vermögende Konzertpianistin und traf im Atelier von Rodin auf Paula Modersohn-Becker, die ihm von der Künstlerkolonie Worpswede vorschwärmte. Finanziell abgesichert, versuchte sich Hoetger an größeren Formaten und rutschte thematisch immer tiefer ins esoterisch-anthroposophische Fach ab. 

Der zeitgeistige Turn zahlte sich dennoch aus. Hoetger zog in die Darmstädter Künstlerkolonie, wurde zum Professor berufen und von Mäzenen wie dem Bankier August von der Heydt hofiert. Er sog Einflüsse aus Japan, Indien und Ägypten auf, studierte asiatische Weisheitslehren und während sich andere 1914 freiwillig an die Front meldeten, siedelte er nach Worpswede um, wo er geschäftstüchtig das "Kaffee Worpswede" eröffnete, in dem vor allem seine eigenen Kunstwerke gekauft werden konnten. Gleich zwei Häuser gönnte sich in dieser Zeit der autodidaktische Architekt, die beide begehbaren Kunstwerken ähnelten. Dazu gesellte sich ein "Niedersachsenstein", ein 18 Meter hohes Backstein-Denkmal für Kriegsgefallene mit überspannter Symbolik.

Im öffentlichen Raum politisch flexibel

Ohnehin zeigte sich Hoetger bei Großaufträgen im öffentlichen Raum politisch flexibel: In Hannover lieferte er 1915 eine Kolossalstatue für einen Generalfeldmarschall ab, in seinem Geburtsort Dortmund-Hörde 1928 dann ein Friedrich-Ebert-Denkmal. Im Auftrag des Keksfabrikanten Hermann Bahlsen entwarf er eine altägyptisch inspirierte Modellstadt. Gleichzeitig bestellte Bahlsen bei ihm auch Entwürfe für Keksdosen, Besteck und Gläser. In Bad Harzburg legte Hoetger einen "Sonnenhof" samt "Café Winuwuk" an – beide kamen ohne rechten Winkel aus. Hoetger erkannte schnell den Wandel der Zeit zum Völkisch-Nationalen und begeisterte sich plötzlich für den "nordischen Geist der Vorfahren", das "germanische Empfinden" und den "nordischen Menschen". 

Der rechtskonservative Ludwig Roselius, Gründer von Kaffee Hag, belohnte diese neueste Wendung der Weltanschauung mit einem Auftrag für die Neugestaltung der Bremer Böttcherstraße und des völkisch-rassistisch inspirierten Haus Atlantis. Die Machtergreifung der Nazis erwischte Hoetger schließlich während eines Aufenthalts in Rom. Er trat der NSDAP bei und hoffte auf eine Umarmung durch die neuen Machthaber.  

Dass es ganz anders kam, traf das mit vielen Stilen erfolgreich jonglierende Chamäleon völlig unerwartet. Man verzieh ihm weder seine Anfänge noch seine "artfremde" und "undeutsche" Formensprache. Hitler persönlich wendete sich am 9. September 1936 auf dem NSDAP-Reichsparteitag in einer Rede gegen Hoetger und sagte: "Der Nationalsozialismus lehnt diese Art von Böttcherstraßenkultur schärfstens ab". Dabei war sie als Symbol des nationalen Erwachens gedacht. Der "Missverstandene" wurde 1938 aus der Partei und aus der Reichskammer der Bildenden Künste ausgeschlossen, sein Werk galt fortan als "entartet". 

1949 starb Hoetger vergessen, verarmt und depressiv in der Schweiz. Ausgerechnet dieses finale Kapitel hakt der Film mit einer bemerkenswerten Unschärfe ab. Dabei macht das Andienen an ein autoritäres Regime oder zeitgeistige Ideologien Hoetger heute zu einer hoch aktuellen Figur. Während Klaus Manns elastischer "Mephisto" in der Gestalt von Gustav Gründgens in der BRD weiterhin Karriere machte, endete Hoetgers Höhenflug durch die Ablehnung der bewunderten Nazis unwiderruflich. Ein tragisches Ende eines ambivalenten Künstlers mit dem Potential zum großen Filmdrama, das dieser zwar informative, aber auch recht unbeholfene erste Versuch leider nicht einlöst.