Kinofilm über Vermeer-Ausstellung

Weinen um die Sphinx von Delft

Im Amsterdamer Rijksmuseum sorgte im Frühjahr eine Schau mit 28 Vermeer-Werken für einen beispiellosen Publikumsandrang. Nun blickt ein Dokumentarfilm hinter die Kulissen der Blockbuster-Ausstellung

In der National Gallery in London war es um ihn geschehen. Hier sah Georg Weber als Schuljunge zum ersten Mal Werke von Vermeer, die typischen im Licht badenden Figuren, eingetaucht in farbige Schatten. Noch heute verschlägt es dem Kurator und ehemaligen Leiter der Abteilung Bildende Kunst und Dekorative Kunst des Rijksmuseums angesichts des Schocks die Sprache. Der Take wird abgebrochen. Er muss sich erst sammeln.                                                                         

Weber ist nicht der einzige Profi, der in der Dokumentation "Vermeer – Reise ins Licht" die Fassung verliert. Manche ringen um Worte, andere weinen, was auch daran liegen mag, dass die "Sphinx von Delft", von der weder Briefe noch Tagebücher überliefert sind, bis heute ein Mysterium umgibt. Bei wem hat Vermeer sein Handwerk erlernt? Hatte er Assistenten? Half ihm gar eine seiner Töchter? Finden sich deshalb auf manchen Werken Spuren einer abweichenden Handschrift? Oder konnte er irgendwann schlicht seine eigenen Standards nicht mehr halten?                                                                

Regisseurin Suzanne Raes beobachtet in ihrem Dokumentarfilm kommentarlos Kuratoren, Restauratorinnen, millionenschwere Sammler, Vermeer-Experten und Kunsthistorikerinnen bei der Mammutaufgabe, möglichst viele Leihgaben für die große Ausstellung im Rijksmuseum zu ergattern - und gleichzeitig neueste Forschungsergebnisse zu präsentieren. 

Braunschweig bleibt stur

Nicht jede Institution ist begeistert davon, sich von ihrem Schmuckstück zu trennen. Es muss zäh verhandeln werden, mitunter auch vergeblich, wie im Fall des Braunschweiger Museums, das stur bleibt, weil Vermeer Thema des Kunst -Abiturs sei. In den USA hat manch ein Stifter eine Ausleihe strikt verboten. Die National Gallery of Art in Washington verdirbt gleich ganz das betriebsinterne Tauschgeschäft, indem sie behauptet, eines ihrer Gemälde, "Das Mädchen mit Flöte", sei nach neuesten Erkenntnissen gar kein Vermeer.                                                                         

Das lassen die verschreckten Amsterdamer nicht auf sich sitzen. Restauratorinnen scannen und röntgen, kratzen und spachteln, liefern Argumente und bringen die Gegenseite ins Grübeln. Die Presse schaltet sich ein und kocht den Streit hoch. Man schaut bei dem gelehrten Schlagabtausch amüsiert zu und wundert sich darüber, wie schnell ein Original in Verruf geraten kann. 

Ganz nebenher gerät man auf aufschlussreiche Nebenpfade. Weber, dem kurz vor seiner Pensionierung die Organisation des Blockbusters anvertraut worden war, ist sich sicher, dass Vermeers Miniaturen mit Hilfe eines optischen Instruments entstanden sind, etwa einer Camera Obscura, die der Realität eine verschwommen verträumte Note verlieh, trotz der vielen Details und exakten Raumausschnitte.     

Dramatische Detektivarbeit

Er muss aber auch zurückstecken, als die Echtheit eines der Gemälde, das er Vermeer in tiefster Überzeugung zuschrieb, angezweifelt wird. Während sich das Personal bei dieser dramatischen Detektivarbeit um Professionalität bemüht und die Werke schließlich den Weg auf die prächtig in Szene gesetzten Wände finden, schafft die Kamera Beziehungen zwischen ihnen, oder verbleibt in Großaufnahme bei den Gesichtern der weiblichen Figuren, um die sich heute die meisten Interpretationen drehen. 

Ganz im Gegensatz zu früheren Generationen übrigens, die sich formalen und sozialen Aspekten widmeten. "Reise ins Licht" ist ein seltener filmischer Blick hinter die Kulissen einer Welt, deren Urteil nicht nur das Konzept einer Ausstellung, sondern auch den monetären Wert eines Gemäldes ins Bodenlose stürzen kann.