In der Hamburger Kunsthalle steht ein wichtiger Personalwechsel an. Alexander Klar, der zuvor Direktor des Museums Wiesbaden war, übernimmt Anfang August die Leitung der Kunsthalle. Mit der "Zeit" hat er jetzt über seine Pläne für das Haus gesprochen, dessen Besucherzahlen ziemlich im Keller sind. Klar macht im Gespräch einen durchdachten Eindruck, er spricht freundlich und optimistisch über die Zusammenarbeit mit den neuen Kollegen und dann fallen ein paar Sätze, die sehr typisch für den Museumsbetrieb im deutschsprachigen Raum sind. "Ich bin da schon ein wenig konservativ mit der Feststellung, dass ein Museum kein Vergnügungspark ist. Eine gewisse Aura sollte ein Museum immer haben", sagt er.
Ähnlich äußerte sich vor einigen Jahren Christiane Lange, die Direktorin der Staatsgalerie Stuttgart. Sie warf in einem Interview mit der "FAZ" in den Raum, dass es zu viele Museen und zu wenige Besucher gibt. Konkret bedeutet das, so Lange damals: "Bei jedem neuen Haus stellt man nämlich fest: Zur Eröffnung kamen alle, und danach kommen sie nicht mehr. Was also tun? Budenzauber, Wechselausstellungen. Das kostet wieder Geld. Dafür müssen mehr Besucher kommen. Am Anfang heißt es noch, bei Kultur gehe es um Bildung. Aber unterm Strich sind alle in der Geld-Besucherzahlen-Falle."
Jeder kann zur Elite gehören
Lange sagte damals, Ausstellungen könne man nicht für die "Happy Few" machen, da ja Steuergelder investiert werden. Klar erklärt heute: "Museen sind elitär, aber jeder, der will, kann zu dieser Elite gehören. Für besondere Dinge geben Menschen immer gern Geld aus, vielleicht müssen wir noch stärker daran arbeiten zu sagen: Die Kunsthalle ist so besonders."
Vergnügungspark und Budenzauber, die "Happy Few" und die Elite. Das will nicht recht zusammenpassen. Mehr Besucher sollen in die Museen, rein über kunsthistorische Inhalte ist das nicht zu schaffen, das ist allen Beteiligten klar.
Eike Schmidt, der Direktor der Uffizien in Florenz, hat aktuell im Interview mit dem "Süddeutsche Magazin" erzählt, dass es "jahrzehntelang von den Kuratoren als Schande empfunden wurde, dass ganz normale Menschen in die Uffizien kamen, um Meisterwerke zu bestaunen, am liebsten hätte man die Pforten nur für promovierte Kunsthistoriker geöffnet." Ihm war es wichtig, den Besucher wieder ins Zentrum des Museumsbesuchs zu rücken.
Früher war alles länger
Früher, erzählt er, sah eine ideale Tour durch die Uffizien so aus, dass man vor dem Besuch einen Führer durcharbeitet und sich dann mindestens drei Stunden Zeit nimmt. Schmidt hält das für unrealistisch. "Ein Museum ist kein Ort", sagt er, "um das Wissen, das man angehäuft hat, zu prüfen oder zu präsentieren (…) Ein Museum ist ein Erlebnisort zum Lernen, Denken, Fühlen." Als ein Beispiel nennt er den Schauspieler Russell Crowe, den Gladiator. Der kam, versetzte sich in die Menschen in den Gemälden hinein und überlegte sich, was sie in der jeweiligen Szene empfinden. Klassische Bildungsbürger, so Schmidt, machen nur einen winzigen Teil der Besucher aus.
Jetzt sind natürlich die Uffizien in Florenz eine Ausnahmeerscheinung, mehr Besucher könnten sie kaum verkraften. Ein Luxusproblem. Anlässlich einer Tagung twitterte der Museumsbund, dass nur fünf Prozent der Bevölkerung in Museen gehen. Das sei nicht viel, damit dürfe man nicht zufrieden sein. Und dann ging es weiter mit der allgegenwärtigen Sorge um die Relevanz.
Gefühlt auf jeder Museumstagung wird diskutiert, wie Museen im digitalen Zeitalter relevant bleiben. Wie bekommt man Besucher ins Museum? Und da kommen die sozialen Medien ins Spiel. Über soziale Medien wie Instagram und Facebook erreicht man ein jüngeres Publikum. Menschen, die nicht unbedingt Ausstellungsbesprechungen in den klassischen Medien lesen. Menschen, die täglich Bilder und Videos konsumieren, also irgendwie täglich damit in Berührung kommen, was Kultureinrichtungen im Programm haben.
Wenn man sich die Masse an Pop-up-Museen ansieht, wie das Museum of Ice Cream in San Francisco, sind die zwar mit ihren knalligen und über-instagrammigen Selfie-Hintergründen minimal nah dran am Gedanken eines Museums, aber maximal nah dran an den Bedürfnissen ihrer Besucher. Menschen sind im digitalen Zeitalter daran gewöhnt, in fast jeder Sekunde ihres Alltags ihren Status zu kommunizieren. Dafür brauchen sie Content, am besten perfekte Bilder vom perfekten Leben. Und was eignet sich da besser als ein Bad in einem Pool voller Schokostreusel oder ein Ritt auf einem Einhorn? Klar, viel, aber Einhörner und Streusel klicken offenbar einfach zu gut.
Pop-up-Museen machen den Spaß also möglich und die Schlangen und Besucherzahlen sprechen für sich. Und jede Marke setzt heute bei Events auf interaktive Installationen, in denen likestarker Content für mehr Sichtbarkeit und ein gutes Image entsteht und von den Besuchern geteilt werden soll. Yayoi Kusama mit ihrem verspiegelten "Infinity Room" lässt grüßen, "dem Königskunstwerk in der Selfie-Klasse".
Der Theoretiker Nathan Jurgenson vergleicht in seinem Buch "The Social Photo: On Photography and Social Media" die visuelle Kommunikation in den sozialen Netzwerken mit mündlichem Geschichtenerzählen. Fotos aus dem Alltag werden nicht als Objekte geteilt, die für sich stehen sollen, sondern als Erfahrungen. Kunsthistorische Fragestellungen sollten folglich eher nicht an Bilder gerichtet werden, die auf Instagram geteilt werden.
Schwierig wird es, wenn solche Bilder plötzlich in einem kunsthistorischen Kontext entstehen. Wenn Menschen das in einem Museum machen wollen, was sie aus Pop-Up Museen kennen: Selfies vor einer Kulisse. Da kann man Museumsdirektoren nur zu gut verstehen, die daran erinnern, dass ihr Museum kein Vergnügungspark ist.
Vertigo als Selfie-Station
Ja, aber warum eigentlich nicht? Man muss ja nicht gleich Schokostreusel in einen pinken Pool kippen. Gerade läuft in der Fondation Beyeler in Basel die Ausstellung des Südtiroler Malers Rudolf Stingel. Eine Wand hat er komplett mit orangenem Teppich verkleidet. Malerei wird hier haptisch erfahrbar. Jeder kann etwas malen, das im nächsten Moment vom nächsten Besucher vielleicht wieder zerstört wird.
Das Konzept ist übrigens aus den 90er-Jahren und nicht made for Instagram. Im Mumok in Wien ist aktuell die Ausstellung "Vertigo. Op Art und eine Geschichte des Schwindels 1520-1970" zu sehen, das Plakat zeigt eine Arbeit aus dem Jahr 1968 von Marina Apollonio, die jetzt gewissermaßen als Selfie-Station dient. Hashtag: #myvertigo. Und natürlich funktioniert so etwas. Ich war selbst vor Ort und habe, ich gebe es zu, zuerst einmal Fotos mit meiner Begleitung gemacht.
In der König Galerie füllte bis zum heutigen Sonntag ein riesiges Zirkuszelt den brutalistischen Innenraum der ehemaligen Kirche St. Agnes, es ist ein Ausstellungsraum im Ausstellungsraum, darin ein Greifautomat, davor ein Heißer Draht. Kathyrn Andrews hat eine Stierzeichnung von Picasso aus Metallrohr nachgebildet. Wenn das Metall beim Entlangfahren berührt wird, blinkt auf einer Anzeigentafel der Schriftzug "Not Picasso" auf. Ein Vergnügungspark in einer Galerie also, der natürlich nicht einfach nur ein Vergnügungspark ist; Andrews reflektiert kulturelle Dominanz und soziale Machtstrukturen.
Der Galerist Johann König erzählt übrigens gern, dass sich Besucher beim Betreten der Galerie ab und an nach dem Eintrittspreis erkundigen. Der Eintritt in Galerien ist bekanntlich kostenlos. Wer dort normalerweise nicht hingeht, weiß das offenbar nicht. Womit wiederum der neue Direktor der Hamburger Kunsthalle recht hat: Menschen sind bereit Geld auszugeben, wenn sie Kunst sehen wollen.
Schnell fällt das Schimpfwort instagrammable
Vielleicht macht man also doch Zugeständnisse, ist ein bisschen Vergnügungspark, aber mit Inhalt, und legt endlich die Abneigung gegen Selfies beiseite. Kunst ist, deshalb ist es Kunst, schon immer visuell ansprechend, daran erinnern die Beispiele Stingel, Kusama und Op Art. Heute fällt einfach viel zu schnell das Schimpfwort instagrammable, wenn eine Ausstellung oder eine Installation allzu fotogen daherkommt.
Die schönste Antwort auf die Frage, ob Selfies im Museum okay sind, gab wieder Eike Schmidt. Die Frage im "Süddeutsche Magazin": "Was kann gut daran sein, wenn Menschen Meisterwerke zur Selbstdarstellung instrumentalisieren?" Seine Antwort: "Wenn es nur darum geht, gebe ich ihnen recht. Es könnte aber doch auch sein, dass ein Besucher auf Identitätssuche oder mit einem geringen Selbstwertgefühl Kraft daraus zieht, sich momentweise mit so einem Gemälde zu verbinden."