Wettbewerbsfilme in Venedig

Ein guter Jahrgang für Biopics

Die Wettbewerbsfime der aktuellen Filmfestspiele von Venedig wissen zu unterhalten, ein echtes Meisterwerke lässt hingegen auf sich warten. Springt am Ende ein Preis für den einzigen deutschen Beitrag heraus?

Die seltsamste Wiedergeburt auf der Festspiel-Leinwand erlebt in diesem Jahr der chilenische Diktator Augusto Pinochet: In der Filmgroteske "El conde" tritt er als 250 Jahre alter Vampir auf. Pablo Larraíns Wettbewerbsfilm ist vor allem eine Parabel auf die welthistorischen Ereignisse der vergangenen 50 Jahre. Irgendwann taucht sogar Maggie Thatcher auf dem Landsitz der zerstrittenen Pinochet-Familie auf, und das verblüffte Publikum erfährt Unerhörtes über die Verbindung der eisernen Lady mit dem Blutsauger. Politiker als Spukgestalten – das ist gar nicht weit hergeholt, allein die Tagespresse ist voll von Polit-Monstern. Der sehenswerte, wenn auch nicht übermäßig fesselnde Film folgt zwei Larraín-Biopics über berühmte Frauengestalten der jüngeren Geschichte: "Jackie: Die First Lady" hatte 2016 auf der Mostra Premiere und bekam den Drehbuchpreis, gefolgt auf dem Filmfest 2021 von "Spencer", der von Prinzessin Diana handelte.

Mit Bradley Coopers "Maestro" und Sofia Coppolas "Priscilla" wartet der aktuelle Mostra-Wettbewerb mit zwei brandneuen Biopics auf. Coppolas achter Spielfilm basiert auf Priscilla Beaulieu Presleys Memoiren "Elvis and Me" und erzählt, wie die spätere Ehefrau des "King" den damals schon berühmten Sänger als 14-Jährige in Deutschland kennenlernt – sowohl Priscillas Stiefvater als auch Presley waren in Bad Nauheim stationiert –, Elvis in Memphis besucht und später dort in Graceland mit ihrem Ehemann und Vater ihrer Tochter zusammenlebt.

Aus dem Altersunterschied und der Beziehung des Stars mit einer Minderjährigen macht Coppola kein Aufhebens. Elvis' Zuneigung zum schüchternen Teenager wirkt aufrichtig. Das Drama nimmt erst später seinen Lauf, in dem Elvis' Drogensucht eine zentrale Rolle spielt. Vom Ehemann oft alleingelassen, fühlt sich Priscilla in Graceland wie im goldenen Käfig. Es ist eine verhaltene, aber doch sichtbare Emanzipationsgeschichte, die Cailee Spaeny als Priscilla glaubhaft nachzeichnet.1972 trennte sich das Paar, 1973 erfolgte die Scheidung.

Wie immer in den Filmen Sofia Coppolas spielen Kostüme, Konsumobjekte und Dekors eine zentrale Rolle. Hoffnungen, Sehnsüchte, Zukunftsentwürfe und die Möglichkeit ihres Scheiterns spiegeln sich in Parfumflakons, Kleidern oder Flugtickets. "Priscilla" ist kein realistisches Drama, sondern ein melancholischer Versuch über Sehnsucht, Nähe und Entfremdung. Anders als in Baz Luhrmanns "Elvis" steht der King nicht im Mittelpunkt, sondern wird von Coppola in den Schatten gerückt. Jacob Elordi spielt ihn als gefühlvollen und labilen Mann, dessen Energie am Ende nur noch für Auftritte reicht, der im letzten Filmdrittel ansonsten nur noch im Bett liegt.

Über gewaltige Energiereserven muss Leonard Bernstein (1918–1990) verfügt haben, den Bradley Cooper in "Maestro" verkörpert, den der Schauspieler zugleich inszeniert hat. Über die falsche "jüdische" Nase des Darstellers hat es vor der Premiere einigen Wirbel gegeben. Seine Bernstein-Performance ist ohnehin über weite Strecken imitatorisch angelegt. Da Bernsteins Dirigate medial gut überliefert sind, wirken die Auftritts-Szenen inklusive der berühmten Luftsprünge des Dirigenten unangenehm parodistisch.

Doch "Maestro" (Drehbuch: Cooper mit Josh Singer) interessiert sich weniger für den Musiker und Dirigenten Bernstein als für den Privatmann. Bernstein war mit der chilenischen Schauspielerin Felicia Montealegre verheiratet. Ihre Beziehung – die gemeinsamen Jahre zwischen 1946 und 1978, Felicias Todesjahr – bildet den Schwerpunkt des Films. Die wunderbare Carey Mulligan als Felicia spielt den nicht unerheblich von der Arbeit der Maskenbildner profitierenden Cooper glatt an die Wand – zumindest hat sie die ebenbürtige Hauptrolle. Wie die Titelfigur von "Priscilla" fühlt sich Felicia in der Ehe an den Rand gedrängt. Hier geht es allerdings nicht um das Missverhältnis zwischen dem männlichen Star und seiner zur Passivität verdammten Ehefrau. Montealegre, die selbst als Schauspielerin erfolgreich war, litt unter der Bisexualität ihres Mannes.

"Maestro" ist kein Meisterwerk, aber doch das würdige Denkmal für einen legendären Musiker. Für den Score kann Cooper natürlich aus dem Vollen schöpfen. Neben Copland, Verdi und Mahler stammt die Musik von Bernstein selbst. Von der "West Side Story" bis zur 1971 uraufgeführten "Mass" beeindruckt die Variationsbreite seines musikalischen Schaffens.

Auch "Die Theorie von Allem", der einzige deutsche Wettbewerbsfilm dieser Mostra, punktet mit einer großartigen Musik. Der Score von Diego Ramos stützt die alptraumhafte Handlung des Films auf kongeniale Weise. In seinem zweiten Spielfilm erzählt der 1985 in Itzehoe geborene Regisseur Timm Kröger von einem Physiker-Kongress in einem Hotel im Schweizer Hochgebirge und von rätselhaften bis grauenerregenden Ereignissen drumherum. Im Mittelpunkt ein junger Doktorand namens Johannes Leinert (Jan Bülow), der eine Theorie über das Multiversum entwickelt hat, welcher sein mit Johannes in die Alpen reisender Doktorvater Strathen (Hannes Zischler) mit großer Skepsis gegenübersteht. Als ein Physikerkollege Strathens, Professor Blumberg (Gottfried Breitfuß), ermordet wird und später lebend wieder auftaucht, scheint sich Johannes' Theorie auf unheimliche Weise zu bewahrheiten. Ein weiteres Rätsel gibt die Jazzpianistin Karin (Olivia Ross), in die sich Johannes verliebt, von deren Existenz aber die meisten anderen Anwesenden nichts wissen wollen.

Der deutsche expressionistische Stummfilm, Alfred Hitchcocks Thriller, Dürrenmatts "Physiker" und Thomas Manns "Zauberberg" waren offenkundige Inspirationsquellen für diesen atmosphärisch dichten Schwarzweißfilm. Es geht um das NS-Erbe, um Nachkriegs-Paranoia und Massenvernichtungswaffen. Wirklich dingfest lassen sich die thematischen Bezüge aber nicht machen. Man fühlt sich bis zum Ende fesselnd unterhalten und staunt über die Vertrautheit Krögers mit dem Kinoerbe von Murnau über Fritz Lang bis zu Francois Truffaut. Wenn "Die Theorie von Allem" zuende ist, fühlt man sich auch ein wenig betrogen von diesem Vexierspiel. Doch ohne Zweifel stellt sich hier ein großes Erzähltalent vor. In einem bisher mauen Wettbewerb wirkt Timm Krögers Film so stark, dass ein Preis herausspringen könnte.