Man erklärt es ja Kindern so: Ohne Pflanzen kein Leben. Weil sie Sauerstoff bilden, weil sie Nahrung liefern. Also die Pflanzen. Bei den Kindern ist es ja genau umgekehrt. Und dieses Mindset – "Vegetation = Leben" – nimmt die Ausstellung "Parlament der Pflanzen 2" im Kunstmuseum Liechtenstein wunderbar ein und steckt die Nase in die Bäume, liegt am Waldboden, beobachtet das Dschungel-Innere.
Zu Anfang, zum Einfühlen ist da Thomas Struth. Zeigt Fotos von Wäldern aus Hawaii, Peru, Bayerischem Wald oder Japan. Portraits von Wäldern in ihrer reinsten Identität. Besucherinnen und Besucher können hier Waldbaden, Kreaturen suchen, den Blick ändern.
Wir sind im Museum in Vaduz im kleinen Liechtenstein. Hier läuft noch bis Oktober der zweite Teil der pflanzlichen Auseinandersetzung. Der erste Part fand 2020 bis 2021 statt und wollte die "Prinzipien der Natur" veranschaulichen. Und handelte "vom außergewöhnlichen Wesen der Pflanzen, mit denen unser eigenes Überleben zutiefst verbunden ist".der Kunst der Veg
Sollen Pflanzen Rechte haben?
Der aktuelle Teil der Kuratorin Christiane Meyer-Stoll möchte nun "das Prinzip der Symbiose als gesellschaftliches Gegenbild zum parasitären Umgang mit der Natur" abbilden. Der zweite Teil auch deshalb, weil die Kuratorin des Liechtensteiner Kunstmuseums gemerkt hat, dass sich sehr viele Künstlerinnen und Künstler mit dem anthropozentrischen Blick beschäftigen. Diesmal geht es vor allem auch um die Frage, ob Pflanzen Rechte haben oder haben sollten.
Weiter geht es also mit der Videoarbeit "Forest Mind" von Ursula Biemann, die ins Amazonasgebiet von Ecuador führt. Ihre Arbeit von 2014 zeigt, wie die indigene Bevölkerung in Verflechtung mit der Natur lebt, die Rechte von Pflanzen in ihrer Verfassung festlegte, auch um ihren Lebensraum erhalten zu können.
Bereits 1990, darauf verweist die Ausstellung, hat der französische Philosoph Michael Serres in seinem Buch "Der Naturvertrag" für ein Umdenken plädiert, der Mensch müsse aufhören, parasitär zu handeln. Nicht nur nehmen, auch mal geben –würde man den Kindern erklären.
Was übrig bleibt und was zurückkommt
Die Künstlerin Silke Schatz war in dem Gebiet, in dem genommen wird. Und zwar Mensch wie Natur. Immer wieder reiste sie in das größte Braunkohle-Abbaugebiet Deutschlands in Manheim in Nordrhein-Westfalen, wo ganze Dörfer abgewickelt wurden. Hat sich angeschaut, was übrig bleibt, wenn Menschen gehen müssen und was zurückkommt. Wie sich die Natur Raum zurückholt. Sie hat Klingelschilderformen abgenommen und stellt zurückgelassene Fundstücke und eine Bushaltenstellen-Nachbildung aus. Außerdem hat sie Pflanzen auf Fotopapier aufgenommen. Kultivierte Obstbäume oder die nicht heimische Mode-Pflanze Yucca-Palme.
Anna Hilti beschäftigt sich dagegen mit dem Aussterben der Orchideenpflanze Spinnen-Ragwurz in Liechtenstein in den 60er-Jahren. Und damit hat man noch nicht mal alle Arbeiten auf dieser ersten Etage gesehen. Zheng Bo arbeitet zur symbiotischen Gemeinschaft zwischen Baum und Mykorrhizapilz. Und dann gibt es immer wieder aus Holz gebaute Hochstände mit Exponaten, oder sogenannte "Inserts", die aus Kooperationen entstanden sind: mit der ETH Zürich, der Hochschule für Gestaltung und Kunst FHNW in Basel zum Beispiel. Ausstellungen in der Ausstellung.
Netterweise gelten die Tickets für einen Zeitraum von 14 Tagen, so dass man wieder kommen kann. Sich in Ruhe den Film von Rivane Neuenschwader und Mariana Lacerda aus Sao Paulo ansehen, die Fotoarbeiten von Jochen Lempert. Oder die VR-Arbeit, die Folgen des Klimawandels visuell erfahrbar macht.
Zur Pflanze hingewandt
Das Schöne an der Ausstellung: Sie ist hoffnungsstiftend statt alarmierend. Sie ist zur Pflanze hingewandt. Sehr sinnlich. Sie gebe den Pflanzen eine Stimme, heißt es im Ausstellungstext. Klingt auch schön. Aber ob das wirklich stimmt? Beziehungsweise ist das nicht auch eine Vermenschlichung von Pflanzen, die verhindert, dass wir ihre Rolle als das verstehen, was sie eben sind: Pflanzen?
Was die Ausstellung viel eher schafft, ist, das Verhältnis der Menschen zu Pflanzen zu zeigen. Wie die ukrainische Künstlerin Alevtina Kakhidze, die (spätestens) seit Kriegsbeginn Halt findet bei den Pflanzen. Wie Ursula Biemann in ihrer zweiten gezeigten Videoarbeit Wissenspraktiken der Indigenen dokumentiert. Was auch immer etwas verdächtig scheint, weil es das Spirituelle als das Exotische erzählt oder überidealisiert.
Polly Applebaum zeigt ähnlich wie in einem Gewächshaus Abbildungen aus einem Samenkatalog, in dem die Pflanzen farblich und in der Form menschlich idealisiert, ja fast unnatürlich gezeigt werden. Oder wie Miki Yui in ihrer Klanginstallation Pflanzen einen Klang verleihen will, indem sie Pflanzen als Vorbild zum Komponieren nimmt.
Die Sachlage ist klar
Also: Diese Ausstellung ist irre umfangreich, irre vielschichtig, auch wissensvermittelnd. Aber manchmal geht sie für den einen oder anderen vielleicht zu sehr ins Poetische, Abstrakte. Wie bei dem Altar von Athena Vida, der kultischen Charakter hat und mit Symbolen um sich feuert. Die Kuratorin schreibt dazu, sich auf den Philosophen Byung-Chul Han beziehend: "Athena Vidas künstlerische Praxis besitzt ein hohes Maß an Symbolkraft, besonders dadurch, dass ihr Werk aus harmonikalen und kosmologischen Prinzipien der Natur schöpft und rituelle Feierlichkeit in sich birgt. Ein aus der Stille kommendes, in die Zukunft weisendes Narrativ.“
Und manchmal kommt sie nicht so sehr über diese Eben hinaus. Wie die in Polly Applebaums Saatgut-Arbeit, die in Samen etwas sieht, was wächst, was zu etwas anderem wird. Oder wie es in einem der Ausstellungstexte heißt: "Es geht bei ihnen um die Zukunft, um das Potenzial neuen Lebens."
Und diese esoterische Weltbetrachtung, der sollte man für diese Ausstellung grundsätzlich offen gegenüber sein. Aber wozu das Symbolische beschwören, als Gegengewicht zu der wissenschaftlichen Kälte, wenn die Sachlage eigentlich ganz klar ist? Ohne Pflanzen kein Leben.