Über die Bedeutung des Quadrats in der Kunst ist schon viel geschrieben worden. Dieses gleichmäßige Viereck ist eine verlässliche Form, die gleichzeitig Gebundenheit und Freiheit ermöglicht. Kasimir Malewitsch sah in einem schwarzen Exemplar ein Tor in die Unendlichkeit, Josef Albers huldigte der geometrischen Fläche in seiner Serie "Hommage To The Square". Der deutsche Maler war fasziniert davon, dass das Quadrat in der Natur nicht vorkommt und deshalb sofort auf seinen menschlichen Ursprung verweist. Viele Annahmen der Proportionslehre basieren auf dieser Form, schon Leonardo da Vinci platzierte seinen "Vitruvianischen Menschen" in einem Kreis und einem Rechteck mit vier gleichlangen Seiten. Ganze Stilrichtungen wie der Konstruktivismus oder die konkrete Malerei wären ohne die Liebe zum Quadrat nicht denkbar.
Doch auch in der jüngeren Vergangenheit hat diese Form unsere Wahrnehmung geprägt - vielleicht sogar mehr als je zuvor. Denn ein beträchtlicher Teil des menschlichen Bilderkonsums findet heute über Instagram statt - und Instagram stand lange für eine quadratische Sicht auf die Welt. Schon das Logo, eine angedeutete Polaroid-Kamera, nimmt diese Form auf - genau wie das gesamte Konzept der Social-Media-Plattform auf das nostalgisch-analoge Medium des Sofortfotos anspielt.
Als die App 2010 auf den Markt kam, waren ausschließlich Posts in quadratischen Rahmen möglich, der Feed präsentierte sich als aufgeräumt lagerndes Raster in bester Josef-Albers-Manier. Wenn schon die Welt unübersichtlich war, so ließ sich zumindest Instagram als vorhersehbarer und zunehmend streng kuratierter Ausschnitt dieser Wirklichkeit begreifen. Und die Nutzerinnen und Nutzer passten ihren fotografischen Blick natürlich an: Quadrat, or it didn't happen. Selbst Künstlerinnen und Künstler schufen Werke, die sich besonders gut in diesem Umfeld präsentieren ließen.
In Zeiten wegbrechender Gewissheiten
Zwar weichte der Mutterkonzern Meta sein Diktat in den vergangenen Jahren ein wenig auf und erlaubte auch leichte Hoch- und Querformate als Posts. In den hinzugekommenen Funktionen "Stories" und "Reels" regierte schon länger das vertikale Bild. Doch tippte man auf das Profil eines Nutzers oder einer Institution, war das repräsentative Grid-Schaufenster aus allen Posts noch immer im bekannten Quadrat-Raster organisiert.
In Zeiten wegbrechender Gewissheiten ist jedoch auch diese digitale Stabilität ins Wanken gekommen. Viele User dürften ihre sorgfältig gestalteten Accounts kaum wiedererkennen, denn mit dem neuesten Layout-Update wird die Ansicht der Instagram-Kacheln in die Länge gezogen und besteht nun voreingestellt aus Rechtecken im Verhältnis 3:4. Perfekt gesetzte Zitate sind an den Rändern abgeschnitten, Beauty-Shots fehlen zentrale Gesichtspartien, und Kunstwerke sind unfreiwillig in die Detailansicht gewandert. Viele User, besonders solche, die mit Social Media Geld verdienen, trauern oder wüten bereits angesichts der gestalterischen Einmischung von ganz oben.
Laut der Entwickler war die Neuerung jedoch überfällig. Quadratische Bilder seien "ein Phänomen der Vergangenheit". Längst sei die Mehrheit des geposteten Contents auf Instagram im Hochformat. Die App-Konkurrenz von TikTok setzt sowieso auf Vertikales, was auch eine Rolle spielen dürfte. Meta hofft laut Statement, dass "wir" diese Transformation "gemeinsam" gut bewältigen können.
Natürlich gibt es global gesehen gravierendere Herausforderungen als die Neukonzipierung eines Social-Media-Grids. Doch die leicht absurde Situation, dass wir zusammen mit einem Tech-Giganten eine Aufgabe meistern sollen, nach der wir nie gefragt haben, fühlt sich symptomatisch an. Pünktlich zur Amtseinführung Donald Trumps und dem Hin und Her um die Abschaltung von TikTok in den USA zeigt sich das Ausgeliefertsein der Nutzer gegenüber den vermeintlich sozialen Plattformen. X-Inhaber Elon Musk und Meta-Chef Mark Zuckerberg haben sich öffentlich in den Dienst von Trump gestellt, Faktenchecks soll es künftig nicht mehr geben, dafür wird man im "zensurfreien" Raum Instagram immer noch für Kunstwerke gesperrt oder eingeschränkt, die weibliche Brustwarzen zeigen.
Man könnte sogar so weit gehen, das neue Instagram-Faible fürs Vertikale auf Zuckerbergs jüngste Äußerungen zur "maskulinen Energie" zu beziehen. Mehr von dieser wünscht sich der einst so progressiv daherkommende Konzernchef nämlich für US-Unternehmen. Sind die Hochformate jetzt also als aufstrebende Raketen zu verstehen, die die Silicon-Valley-Milliardäre bald zum Mars bringen sollen? Oder leben wir in einem neuen Zeitalter der digitalen Phalli?
Vielleicht ist das aber auch zu viel der interpretatorischen Ehre, und wir könnten den Moment nutzen, um uns bewusst zu fragen, wie sehr wir unseren Blick auf die Welt von Fotoformaten auf Instagram abhängig machen sollten. Die kunsthistorische Quadrat-Harmonie, auf die das alte Layout anspielte, ist jedenfalls dahin. Die meisten User werden sich voraussichtlich schnell an die neuen Vorgaben anpassen. Aber im Idealfall entstehen aus dem Routine-Bruch auch ein paar Gedanken outside the box.