Unser neuer New-York-Korrespondent Jerry Saltz hat eine Nacht im Guggenheim verbracht. Jetzt ist er verliebt - auch wenn ihn die Ausstellung "theanyspacewhatever" kaltgelassen hat.

 Ich wollte schon immer mal Sex in einem Museum haben. Museen sind für mich Rauschgeneratoren. Orte der Verzückung, an denen es, wenn es zur Sache geht, richtig zur Sache geht. Bei der erstbes­ten Gelegenheit ergriff ich daher die Chance, meine Fantasie auszuleben: Ich wollte eine Nacht mit meiner Frau auf einem schmalen, rotierenden und mit Satinwäsche bezogenen Doppelbett auf der sechsten Ebene der Rampe des Guggenheim Museum verbringen.
„Revolving Hotel Room“ lautet der Titel von Carsten Höllers wichtigstem Beitrag zur Ausstellung „theanyspacewhatever“, die sich einer Bewegung widmet, die eigentlich keine ist und gemeinhin unter dem Begriff Relational Aesthetics firmiert. Höllers „Raum“ hat keine Wände, sondern befindet sich ungeschützt auf einer großen, runden Drehscheibe aus Plexiglas, in deren Nähe ein Wachmann postiert ist. Muss man nachts zur Toilette, folgt einem der Wachmann. Intimitäten schienen unter diesen Umständen eher heikel, aber ich musste es versuchen. Und dann, zwei Tage vor unserer Nacht im Museum, änderte meine Frau ihre Reisepläne. In jener Nacht würde sie nicht in der Stadt sein.
Bevor ich Ihnen jedoch von meinem unerwarteten persönlichen Happy End erzähle, möchte ich noch einige Gedanken über die Ausstellung loswerden. Die schnoddrig betitelte Veranstaltung versammelt einen Kreis von Künstlern, der in den vergangenen 15 Jahren die Kunst verändert und für das Entstehen des vielleicht wichtigsten Stils seit den frühen 70er-Jahren gesorgt hat. Die Schau „theanyspacewhatever“ ist jedoch weniger eine Würdigung der beteiligten Künstler, als ein Beispiel für gut gemeinte, aber inkompetente Kuratorenarbeit – und ein weiterer Beleg dafür, dass Guggenheim-Direktor Thomas Krens, während er die Welt bereist, nicht nur die Marke verwässert, sondern darüber auch den Kuratorenbetrieb im heimischen New York vergisst.
„theanyspacewhatever“ wurde von der Guggenheim-Chefkuratorin Nancy Spector organisiert (die mit ihrer Richard-Prince-Retrospektive 2007 aus einem schwierigen Künstler ein reines Kommerzprodukt machte). Die zehn vertretenen Künstler, allesamt zwischen 40 und 50 Jahre alt, wurden Anfang der 90er bekannt. Relational Aesthetics ist eine öffentlichkeitsorientierte Mischung aus Performance, Social Sculpture, Architektur, Design, Theorie, Theater sowie fröhlichen Mitmachspielchen. Ihren Vertretern gelten Museen als unvollkommene Paradiesgärten, Tummelplätze, Schlachtfelder und Orte der Ernsthaftigkeit. Im Laufe der Jahre haben sie deshalb Küchen, Sofas, Mannequins und Spiegel in die Institutionen eingeschleust. Ausstellungen und Museen betrachten unsere Protagonisten als Medien, die sie erforschen und hinterfragen – Interaktion mit dem Publikum bedeutet ihnen alles.
Leider beraubte Nancy Spector die Kunst ihrer „relationalen“ Aspekte und ließ uns mit der schlichten, alten Ästhetik sitzen. Einer noch dazu reichlich faden, denn die Arbeiten der meisten beteiligten Künstler waren visuell noch nie sonderlich stark. Und so schlendern die Besucher, ohne stehen zu bleiben, durch eine Ausstellung, die so zahm geraten ist, dass es ausgeschlossen erscheint, jemand könnte ausgerechnet hier die eigenen Ansichten über Kunstausstellungen überdenken.
Zum einem ist dies auf Spectors viel zu eng gefasste Vorstellung von der Gruppe zurück­zuführen (die schon längst keine Gruppe mehr ist). Zum anderen liegt es wohl auch daran, dass das Guggenheim einem Künstler wie Rirkrit Tiravanija nicht gestatten kann, eine seiner improvisierten Küchen aufzubauen, um kostenlos Gemüsecurry auszugeben. Auch Carsten Höller wollte man nicht erlauben, überall im Museum Hotelbetten aufzustellen und das Guggenheim nachts für alle zu öffnen, die dort übernachten wollen.
Was bleibt, ist eine Ausstellung, die keinerlei Funken versprüht. Tiravanijas gemütliche Videolounge, Douglas Gordons Wandtexte, Dominique Gonzalez-Foers­ters Regenwaldklang­installation, Liam Gillicks s-förmige Bänke, Philippe Parrenos Lichterdach und Angela Bullochs LED-Nachhimmel sind allesamt in Ordnung. Trotzdem wirkt die Ausstellung lustlos, ganz so, als hätten Kuratorin und Künstler zu viel um die Ohren gehabt, um sich auch nur ein bisschen mehr Mühe zu geben.
Von der Energie des offenen, ungeklärten Moments Anfang der 90er-Jahre, als das Geld vorrübergehend aus dem Kunstmarkt verschwand und eine konzeptuelle, nicht visuelle Installationskunst ihren Marsch durch die Institutionen begann, ist im Guggenheim nichts mehr zu spüren. Und noch etwas stört: Andrea Zittel, Andrea Fraser, Trisha Donnelly, Cosima von Bonin und Vanessa Beecroft sind nicht vertreten. Ob sie nun im strengen Sinne zur In-Group gehören, sei dahingestellt, in jedem Fall ist auch „theanyspacewhatever“ wieder eine Ausstellung, die zu 80 Prozent von Männern bestritten wird.
Diese Art von Kanonbildung wirkte sich auch in anderer Hinsicht destruktiv aus. Obwohl die Relational Aesthetics ursprünglich einer von gewieften Künstlern inszenierten Palastrevolution entsprangen, stürzte sich – dem Herdentrieb folgend – eine ganze Legion von Kuratoren auf das Anti-Movement. Seit Jahren laden sich diese ärgerlich engstirnigen Fachleute gegenseitig zu ihren Panels ein, schmusen miteinander in Hotellobbys, kuratieren Ausstellungen für die Künstler der anderen und verfassen meist unverständliche Texte. Allein 20 Essays im Katalog von „theanyspacewhatever“ stammen von Kuratoren. Viele von ihnen gehören zu den schwächsten Gliedern in der Kette der Kunstwelt und sollten schleunigst verschwinden.
Nicht, dass wir uns falsch verstehen: Das meis­te an dieser Art Kunst liebe ich, und ich räume sogar bereitwillig ein, dass Nancy Spectors Maßnahmen unter Umständen notwendig waren. Die Beschränkung der chaotischen Wirklichkeit auf ein Minimum mag die einzige Möglichkeit gewesen sein, die Ausstellung zu realisieren. Allerdings ging auf dem Weg dorthin zu viel verloren. Es ist die erste große Ausstellung, die ein amerikanisches Museum ausschließlich dieser Gruppe widmet – das allein verdient Anerkennung. Doch so steif und nichtssagend, wie sie geraten ist, hoffe ich, dass es auch die letzte bleibt.
Was mich wieder auf meinen sexfreien Abend in Höllers Hotelzimmer bringt, das für 259 bis 799 Dollar pro Nacht gebucht werden kann. Nachdem meine Frau abgesagt hatte, ging ich trotzdem hin, allein. Schon die Ankunft machte Spaß: Ich wurde an der Tür begrüßt, eingetragen und auf mein Zimmer gebracht. Beobachtet von Joseph, dem Wächter, hing ich meinen Mantel auf, packte aus und bestückte meinen Nachttisch mit verschiedenen Utensilien. Nachdem ich in einem eleganten Badezimmer, das sonst offenbar Angehörigen der Führungsetage vorbehalten bleibt, geduscht hatte, zog ich meinen Pyjama und einen Morgenmantel an und wanderte durchs Museum (unter anderem schlich ich mich in ein vornehmes Büro, legte die Füße auf den Schreibtisch und tat so, als würde ich mit Bilbao telefonieren).
Am Anfang machte das einen Heidenspaß. Dann kam es mir komisch vor. Ich fühlte mich einsam, wie in einem jener Filme über den letzten Menschen auf Erden. Paranoia ergriff mich, während sich das Museum in ein modernistisches Gefängnis verwandelte. Anstatt mich durch das Betrachten von Kunst als Herr aller Dinge zu fühlen, hatte ich den Eindruck, ich selbst sei der Beobachtete. Waren die Kameras etwa auf mich gerichtet?
Ich ging zu Bett. Während ich dort lag, hörte ich seltsame Dinge – surrende Ventilatoren, hallende Geräusche. Ich konnte nicht einschlafen, trotz Ohrstöpsel und Augenmaske. Ich zählte alle Ausstellungen auf, die ich hier im Verlauf der Jahrzehnte besucht hatte. Irgendwann funktionierte der Trick, und um halb drei Uhr morgens schlummerte ich ein.
Das Nächste, was ich mitbekam, war Joseph, der mit seinem Walkie-Talkie ans Bett klopfte und sagte: „Aufstehen!“ Ich hatte geschlafen wie ein Toter. Als ich die Maske abnahm, sah ich, dass Licht brannte und Arbeiter herumliefen. Es war halb acht. Während mir Frühstück (Tee, Croissants, Pain au Chocolat) ans Bett gereicht wurde, stellte ich fest, dass ich ausgeruht war – das Guggenheim, das ich tausendfach besucht hatte, machte einen gänzlich neuen Eindruck auf mich. Ich hatte das seltsame Gefühl, mit dem Gebäude verschmolzen zu sein, so als hätten wir wirklich miteinander geschlafen. Ich hatte mich in das Museum verliebt.
In der darauffolgenden Woche besuchte ich die Ausstellung noch einmal tagsüber und stellte fest, dass ich zärtliche Gefühle hegte, als ich an Höllers Bett vorbeischlenderte. Es war, als gehe man durch eine Stadt und blickte zu einem Fenster an einem Gebäude auf und erinnerte sich an eine Nacht vor langer Zeit, in der man dort Sex gehabt hatte. Schon packte mich die Eifersucht: Ich hatte das Gefühl, „mein Museum“ würde wahllos mit allen schlafen. Und ich fragte mich ernsthaft, warum das Guggenheim am Tag danach nicht angerufen hatte. Übersetzung: Connie Lösch

„theanyspacewhatever“, Guggenheim Museum, noch bis 7. Januar.
Unser Autor Jerry Saltz wird ab jetzt regelmäßig aus New York berichten.