Manchmal schreiben sich Texte einfach nicht so, wie sie sollen. Ich starre auf den Monitor, und der Text flutscht einfach nicht. Dabei war es ein interessantes Mittagessen gewesen, mit völlig unerwarteten Ein- und Ausblicken – was wahrscheinlich der Grund ist, warum mir das Schreiben so schwer fällt. Drei Gäste hatte ich dieses Mal eingeladen: den Künstler Sam Durant, die Künstlerin Ana Prvački und die Philosophin Mara Recklies.
Wobei Mara Recklies eigentlich kein richtiger Gast war, sondern zur Hälfte Gastgeberin, wir brüten nämlich gemeinsam an einem gemeinsamen Ei, das langsam schlüpfen sollte. Und um dieses Ei sollte es diesmal gehen, so die Idee. Mara Recklies und ich haben ein Essay, Manifest, Pamphlet geschrieben mit dem Titel "Rahmensprengen. Kunst der offenen Gesellschaft". Unsere These ist, dass es eine Aufgabe von Kunst in der offenen Gesellschaft ist, Rahmen zu sprengen.
Rahmen, so der Sozialpsychologe Erving Goffman, sind überall, sie helfen uns, eine Situation zu lesen und uns in ihr zu orientieren. Rahmen werden aber auch konstruiert, um Deutungshoheit zu gewinnen oder zu erhalten – "political framing" ist dafür das Stichwort, das in der letzten Zeit viel diskutiert wurde. Kunst der offenen Gesellschaft, so unsere These, hat die Aufgabe, diese Rahmen nicht nur sichtbar zu machen, sondern sie auch zu sprengen, also für einen Moment – bis wieder ein neuer Rahmen etabliert wird – eine neue Lesart der Wirklichkeit jenseits des Etablierten zu ermöglichen. Diese Kunst ist das Gegenteil von Repräsentationskunst, die das Bestehende ins rechte Licht rückt. Darüber wollen wir mit Sam Durant und Ana Prvački reden, die seit etwas über einem Jahr in Berlin leben.
Sam Durant versteht sich nicht als Künstler, der Rahmen sprengen will, aber, so sagte er, manchmal passiert es halt. Dafür ist sein "Scaffold" ein gutes Beispiel, die Geschichte ging vor ein paar Jahren durch die Feuilletons und Kunstzeitschriften der Welt; "Scaffold" wurde 2012 auf der Documenta gezeigt, dann in den USA; dort von native americans anders interpretiert als vom Künstler intendiert, schließlich ihnen übergeben, damit sie eine rituelle Verbrennung vornehmen können – so die Kurzfassung der Geschichte.
Andere Künstler, so Sam Durant, hätten viel eher die Intention, Rahmen zu sprengen als er. Wir reden über Christoph Büchels Transformation einer Kirche in eine Moschee auf der Venedig-Biennale 2015, die von der Stadt geschlossen wurde, oder die Idee der palästinensischen Künstlerin Emily Jacir für die Biennale 2009, als sie Vaporetto-Stationen auch in arabisch beschriften wollte, was die Verkehrsbetriebe aber ablehnten.
Schließlich berichtete Ana Prvački von ihrer aktuellen Ausstellung im de Young Museum in San Francisco. Im Rahmen eines Stipendiums von Google hat sie sich unter anderem mit der Kupferfassade des Museums, einem Gebäude von Herzog & de Meuron, auseinandergesetzt, genau genommen mit der Bedeutung von Kupfer für den menschlichen Körper. Sie entwickelte eine Art Performance, in der Menschen das Gebäude ablecken. Das Museum und seine Architektur versorgen den Menschen mit einem wichtigen Spurenelement – nicht auf symbolischer, sondern unmittelbar physiologischer Ebene.
In ihren Augen keine Rahmensprengung, sondern eine subtile Kritik am Selbstverständnis musealer Institutionen. Wir sprachen über die Differenz von Rahmensprengung und subversiver Intervention und diskutierten die These, dass subversive Intervention besser zu autoritären Regimen passen als zu offenen, demokratischen Gesellschaften.
Time is running, und irgendwann war sie um, denn Ana Prvački hatte noch eine Verabredung. Damit bekam unser Nachmittag eine unerwartete Wendung. Sie erwartete in ihrem Atelier noch die Cat Appreciation Society, eine Zusammenkunft von Menschen, die Katzen lieben und bewundern. Ich hatte erst Cat Appropriation Society verstanden, was ich sehr spannend fand, denn Katzen bewundere ich sehr, aber Strategien der kulturellen Aneignung waren mir noch unbekannt.
Und während wir also über Katzen redeten und der Differenz von "Appropriation" und "Appreciation" auf die Spur kamen, holte Ana Prvački einen Umschlag hervor, dessen Inhalt sie am Nachmittag würde präsentieren wollten. Im Umschlag befand sich ein Shunga von Katsushika Hokusai. Ana Prvački sammelt Shungas, erotische japanische Holzschnitte und Zeichnungen, die meist aus dem 19. Jahrhundert stammen und in denen häufig auch Katzen eine wichtige Rolle spielen, die vorallem aber einen emanzipatorischen Blick auf Sex und Erotik eröffnen. Ihr Hokusai von 1825 zeigt ein Paar nach dem Beischlaf, mit exorbitant großen Geschlechtsteilen, daneben ein kopulierendes Mäusepärchen, das Ganze beobachtet von, na klar, einer lieblichen Katze.
So kamen wir vom künstlerischen Rahmensprengen zu den Katzen, von den Katzen zur Erotik, von der Erotik wieder zur Kunst, und das Ganze hatte am Ende mehr mit dem Thema Rahmensprengen zu tun, als ich mir am Anfang hätte vorstellen können. Und ich werde mir irgendwann eine Katze zulegen.