Der Herbst ist da, manchmal sonnig und golden, aber gerade vor allem nass und kalt. Dafür aber mit Kohl und Kürbis, Birnen und Quitten. Für mein November-Essen habe ich vier Gäste eingeladen: Matthias Böttger, Leiter des HyperWerks an der Hochschule für Gestaltung und Kunst FHNW in Basel und künstlerischer Leiter des Deutschen Architektur Zentrum in Berlin, H. Frank Taffelt, Psychoanalytiker und Künstler, Jette Skorna, Künstlerin und Psychologie-Studentin, und die Artdirektorin Birgitta Homburger.
Wie bei jedem Essen gibt es zuerst eine Vorstellungsrunde, auf die dann die Präsentation des ungelegten Eis folgen soll. Aber dieses Mal artet die Vorstellungsrunde aus, sie reicht bis in den Hauptgang hinein. Warum? Weil zwar jeder ein ungelegtes Ei mitgebracht hat, aber das eigentlich interessante, wie mir schien, in den Biografien der Anwesenden verborgen war. Aber zuerst die Eier.
H. Frank Taffelt möchte den ihm vertrauten Raum der Zeichnung verlassen. Er arbeitet an der Übersetzung einer Serie minimalistischer Zeichnungen in bewegte Bilder. "Es lebe die dynamische Geometrie!" versteht er als eine Hommage an den abstrakten Film der 1920er-Jahre. Matthias Böttger möchte weitere Dependancen der Field Station errichten, einer Art spekulativen Think Tank, in dem Künstler, Architekten und Theoretiker über die Zukunft des Lebens im Zeitalter des Anthropozän nachspüren, experimentieren, diskutieren. Birgitta Homburger überlegt, wie man Videokunst vermitteln kann und denkt über einen Hybrid aus Buch und DVD nach.
Diese ungelegten sind alle schön und spannend, aber das eigentliche Gespräch, so scheint mir, verläuft auf einer anderen Ebene. Denn die Überschrift unseres Gespräches hätte auch lauten können: Mache ich wirklich das, was ich machen will und schon immer machen wollte. Oder auch: Bin ich mein eigenes Ei, und wenn dem so wäre, wer brütet und was schlüpft?
Aufgeworfen wird die Frage von Jette Skorna. Denn sie hat entschieden, nochmal zu studieren, das Fach, das eigentlich ihr erster Studienwunsch war. Nachdem sie erst Literaturwissenschaften und dann Fotografie in Leipzig und dann noch Kunst in Glasgow studiert hatte, als Künstlerin gearbeitet und in Galerien gejobbt hatte, studiert sie seit zwei Jahren Psychologie. Und ob es da Anknüpfungspunkte, Berührungen mit der künstlerischen Praxis geben wird, will sie offenlassen. Ungelegte Eier wollen sich nicht festlegen.
Von einer derartigen Unbestimmtheit erzählen alle meine Gäste. Zum Beispiel H. Frank Taffelt. Er wollte eigentlich Verhaltensbiologe werde, das konnte er in der DDR nicht, so wurde er Psychoanalytiker. Die Arbeit als Psychoanalytiker und das "Kunstmachen" beschreibt er als gleichberechtigt, weil, wie er sagt, das naturwissenschaftliche Beobachten und das Zeichnen einer gemeinsamen, kindlichen Initiation entsprängen.
Ich kenne von ihm vor allem Zeichnungen mit Kugelschreiber, meistens strenge geometrische Formen: Linie für Linie, in horizontalen und vertikalen Schichten, bis die Fläche geschlossen ist. Ein Prozess, der nicht selten über 100 Stunden dauert. Für dieses Tun scheint ihm die Zuschreibung "Künstler" aber unbedeutend.
Oder Matthias Böttger. Er interessiert sich für Gestaltung, Theorie, gesellschaftliche Fragen, forscht und lehrt und kuratiert: Aber obwohl er Architektur studiert hat, hat er noch kein selbstentworfenes Haus gebaut.
Oder Birgitta Homburger. Sie wollte eigentlich Kunst studieren, hat es sich aber nicht getraut. Denn Kunst, so sagt sie, erschien ihr immer so erhaben. Statt Kunst also erst Kunstgeschichte. Dann eine Ausbildung zur Kunstbuchhändlerin bei Walther König. Dann Visuelle Kommunikation, interdisziplinär bei Bazon Brock. "Das war perfekt für mich", sagt sie. Die Kunst hat sie trotzdem immer begleitet, irgendwie, hat etliche Kunstkataloge gemacht, und ihr ungelegtes Ei hat ja auch wieder mit Kunst zu tun. Aber als Artdirektorin und Designerin macht sie eben nicht Kunst, sondern "etwas mit" Kunst.
Oder auch ich. Das unbestimmte "Dazwischen" ist für mich nicht ohne Grund ein spannendes Thema für ein Tischgespräch. Denn ich selbst agiere ja auch in verschiedenen Rollen und springe zwischen unterschiedlichen Disziplinen hin und her. Diese Ungebundenheit ist eine große Freiheit, verhindert aber auch eine echte Zugehörigkeit. Ich bin Architekt, aber habe auch noch nie ein Haus gebaut. Aber das muss ja nicht so bleiben, wer weiß, wohin die Lebenswege mich noch führen.
Und sonst? Wir reden über die Zumutung, dass man selber nie "fertig" ist. Wir reden über Sicherheit, die ein Käfig ist, und sind uns einig, dass keiner von uns eine Mottenkugel seien möchte, aber bleiben unsicher, ob DVDs wirklich zu den Dingen gehören, die man aufheben will. Und weil wir nicht nur essen, sondern auch viel trinken, werden meine Notizen zum Ende hin immer unleserlicher. Aber das ist vielleicht auch gut so.