Ideen-Kolumne

Ungelegte Eier (7)

Diesmal muss unser Kolumnist Friedrich von Borries nicht selbst kochen. Dafür kann er endlich eine eigene Idee im Werden präsentieren. Und wird zum Thema soziale Verantwortung und dem Erzählen darüber gegrillt 

Diesmal muss ich nicht selbst kochen. Und das ungelegte Ei ist meins. "Globart Academy", ein in Österreich beheimatetes Festival für Kunst und gesellschaftliche Transformation, hat mich eingeladen, Gastgeber von vier Tafelrunden zu sein. Ich lese aus dem Roman, an dem ich schreibe, es gibt gutes Essen und viel zu trinken, und beim Essen wird über das von mir gelesene Romanfragment diskutiert.

Das Feedback der Gäste baue ich dann in den Roman ein, und die Veranstaltung wird vom Dokumentarfilmer und Regisseur Jakob Brossmann gefilmt und live gestreamt. Das ganze findet im leerstehenden Essl-Museum statt, das einst Österreichs größtes Sammlung zeitgenössischer Kunst beherbergte. Aber dann ging der Geldgeber, ein Bauunternehmer, Pleite. Nun steht das Museum leer, was das Thema meines Romans gut veranschaulicht.

Denn der handelt von Folgenlosigkeit, ich lese einen Abschnitt, der "Abschied vom Erfolg" heißt.

Der Selbstmord des Radikalökologen

Ich erzähle von einer Künstlerin, die in einem kleinen Wald Bäume pflanzt, um ihr CO2 zu kompensieren, und ihrem Freund, einem Aktivisten, der am Ende Selbstmord begeht, und dabei auch noch ihren Wald anzündet. Aus Enttäuschung, Rache oder innerer Überzeugung, das weiß man nicht genau. Er ist nämlich ein Radikal-Ökologe und findet ihren Lebensweg zu konsumistisch und inkonsequent.

Dazu passt, dass für die Tafelrunde Tobias Judmaier kocht. Er hat die subkulturelle Praxis des Containerns professionalisiert und kocht nur mit Lebensmitteln, deren Haltbarkeitsdatum abgelaufen ist. "Iss mich!" heißt das Unterfangen, und schmeckt verdammt gut. Für das Abendessen hat er ein Menü zusammengestellt, das unsere Wegwerfpyramide repräsentiert. An der Spitze steht Brot, gefolgt von Gemüse, Obst und Milch. Und der Wein kommt von NordundSud, dem Weingut von Christoph Daignière-Koller und Mathilde Daignière, die nach ökologischen Kriterien Wein anbauen.

Und was sagen die Gäste zum? Dass der Aktivist am Ende Selbstmord begeht, findet keiner gut. Aber das ist natürlich nicht das einzige. Jörg Petzold vom Haus Bartleby, dem in Berlin ansäßigen "Zentrum für Karriereverweigerung", kritisiert, dass im gelesenen Ausschnitt die individuelle Verantwortung in den Vordergrund gestellt wird, aber nicht die "Systemfrage" gestellt wird.

Die "Gamification des Erzählens"

Außerdem bemängelt er, dass die Protagonisten des Textausschnitts alle aus einer sozialen Schicht kämen. Ihn würde zum Beispiel interessieren, wie ein Bauer oder ein Handwerker über Folgenlosigkeit denkt. Anna Prinzhorn, eine Wiener Designerin und Möbelproduzentin, pflanzt für jedes verkaufte Möbel 100 Bäume (weshalb ihr Label "Oneforhundred" heißt), findet die Darstellung des Waldes zu kurz gegriffen. Wald sei ein Lebewesen, und solle deshalb nicht auf seine Funktion als CO2-Senke reduziert werden.

Außerdem seien die Figuren zu klischeehaft. Christa Müller, Geschäftsführerin der Stiftung "Anstiftung", die neue Formen von Selbermachen erforscht und erprobt, hinterfragt, ob "Folgenlosigkeit" ein wirksamer Gegenbegriff zu Nachhaltigkeit ist. Außerdem kritisiert sie, dass ich den Aktivisten mit einer Erwartungshaltung aufladen würde, dass es eine vollständige Übereinstimmung zwischen Wollen und Handeln gäbe, ein Anspruch, dem man in unserer Gesellschaft nur schwer gerecht werden könne.

Anselm Lenz, ebenfalls vom Haus Bartleby, geht die Kritik nicht zu weit, er hinterfragt die Veranstaltung und die ihr zugrunde liegende "Gamification des Erzählens" auf grundlegender Ebene, woraufhin Jan Groos, Autor des Podcast "Future Histories" Brücken zu bauen versucht, auch wenn er dem Gedankenmodell "Folgenlosigkeit" sehr kritisch gegenübersteht: Er hält es für eskapistisch.

Die Empfindlichkeit der ungelegten Eier

Alles in allem eine sehr emotionale Diskussion, an der neben den vorgenannten noch weitere Personen beteiligt waren, denn am Tisch saßen noch das Winzerpaar, eine angehende Lehrerin, ein Chemiker, ein Filmemacher, ein Ingenieur und ein Biobauer. Wir sprechen über Spuren, die man hinterlassen will (zum Beispiel als Lehrer) und Spuren, die man vorfindet, und wieder rückbauen muss (zum Beispiel als Weinbauer).

Wir sprechen noch über die Liebe, über die industrielle Landwirtschaft, den Amazonas – und die Frage, wer mit welchem Recht über wen sprechen darf. Und ich lerne, dass das Sprechen über ungelegte Eier nicht nur nicht einfach, sondern auch unangenehm sein kann. Aber dafür ist es auch produktiv.

So. Zum Abschluss noch ein Werbeblock. Zwei Tafelrunden gibt es noch, eine am nächsten Donnerstag, 17. Oktober, und eine am Freitag, 18. Oktober. Und wer es nicht zu Globart nach Klosterneuburg bei Wien schafft, kann das Ganze auch im Livestream verfolgen.