Ungelegte Eier (23)

Umverteilung

 Kurator Sebastian Hackenschmidt
© Nathan Murrell

Kurator Sebastian Hackenschmidt

Wie kann man heute Reichtum sozial gerecht umverteilen? Und was bedeutet das für Design und Architektur? Der Kurator Sebastian Hackenschmidt findet dafür Vorbilder im "Roten Wien"

Ich bin in Wien und treffe mich mit Sebastian Hackenschmidt. Er leitet am dortigen Museum für angewandte Kunst (MAK) die Sammlung für Möbel und Holzarbeiten, "Kustos", so die etwas altmodische, in Österreich für seine Position noch gebräuchliche Bezeichnung. Sein Interesse beschränkt sich nicht auf Möbel, sondern zielt auf die Schnittmengen von Design, Kunst und Architektur, wie es im MAK seit langem üblich ist. Seit 15 Jahren ist er nun schon an der ehrwürdigen Wiener Institution, und in der Zeit, so sagt er, sind neben vielen Ausstellungen und Publikationen auch viele Eier nicht gelegt worden.

Seine Projekte, so erzählt er, entstehen im Dialog zwischen dem, was die umfangreiche Sammlung anbietet und seinen persönlichen Leidenschaften. Eine solche ist das "Rote Wien". So wird die Zeit zwischen dem Ende des Ersten Weltkrieges 1919 und dem Beginn des Austrofaschismus Anfang der 1930er-Jahre bezeichnet, als in Wien die Sozialdemokratische Partei Landes- und Kommunalpolitik prägte. Noch heute sichtbares Ergebnis dieser Phase ist die Vielzahl der sogenannten Gemeindebauten, die damals entstanden. Diese Form des sozialen Wohnungsbaus gilt heute vielen als vorbildlich.

"Besser ist es seitdem nicht unbedingt geworden", so der Kustos, wobei ihn das speziell in Wien ausgeprägte Spannungsfeld zwischen Kommunalpolitik und der hochentwickelten, im Biedermeier gründenden Wohnkultur des jüdischen Großbürgertums – herausragende Protagonisten dieser speziellen "Wiener Schule" waren etwa Josef Frank, Oskar Strnad, Hugo Gorge und auch Adolf Loos – besonders interessiert.

Schau über Architektengruppe Missing Link

Einige von ihm zu diesem Thema gelegte Eier sind schon ausgebrütet worden. Im Sommer 2021 zeigte das MAK eine Ausstellung mit dem chilenischen Künstler und Fotografen Alfredo Jaar, der sich schon in den 1980er mit der Architektur des "Roten Wiens" auseinandersetzte. Auch in seiner aktuellen Schau über Missing Link, zu der auch ein ausführlicher Katalog erschienen ist, taucht das "Rote Wien" auf. Diese in den 1970-Jahren aktive Gruppe um die Architekt:innen Adolf Adolf Krischanitz, Angela Hareiter und Otto Kapfinger nahm 1978 in den "Wiener Studien" intensiv die Gemeindebauten in den Blick.

Zu sehen sind eine Reihe von analytischen Zeichnungen, die sich mit den architektonischen Besonderheiten der Gemeindebaute auseinandersetzen: präzise Bestandsaufnahmen von Gebäudeecken, Eingangstreppen, Türmen, Toren, Türen und Hofsituationen. Ziel von Missing Link, so erklärt Sebastian Hackenschmidt, sei es gewesen, von diesen historischen Vorbildern einen im Sinne der Postmoderne "geschichtsbewussten sozialen Wohnungsbau" abzuleiten.

Und heute? Aus der Interieurs der Gemeindebauten hat sich nicht viel erhalten, eine Ikone wie die "Frankfurter Küche", die die übrigens aus Wien stammende Architektin Margarete Schütte-Lihotzky 1926 für die Bauten des "Neuen Frankfurt" entwickelte, gibt es nicht. Aber natürlich kann man viel von der Architektur selbst lernen, zum Beispiel die Rolle von Gemeinschaftsräumen wie Kindergärten, Bibliotheken und Wachsalons für die soziale Integration und Identifikation.

Historische Dimension der Architektur

Wichtiger als die konkrete Ausformulierung der Architektur, so Hackenschmidt, sei aber etwas anderes. Der wichtigste Protagonist des "Roten Wien" sei Hugo Breitner gewesen, kein Architekt, sondern Finanzpolitiker. Er führte in Wien ein sozial gestaffeltes Steuersystem und eine Luxussteuer ein – und finanzierte so die Gemeindebauten. "Gerade heute müssen wir uns wider dringend Gedanken über Umverteilung machen."

Nach dem Essen führt mich Sebastian Hackenschmidt noch durch die Missing-Link-Ausstellung, und zeigt mir einige seiner Lieblingsexponate, darunter das "Flaggschiff" von 1978. Die detailreiche Tuschezeichnung zeigt einen surrealen Hybrid aus Schlachtschiff und dem Karl-Marx-Hof, der 1930 errichteten Architekturikone des "Roten Wien".

Wie viele der Wiener Gemeindebauten hat der Karl-Marx-Hof tatsächlich einen sehr wehrhaften, fast burgenartigen Ausdruck. Schließlich war das Ende des "Roten Wien" auch von realen Kämpfen geprägt, der Karl-Marx-Hof wurde 1934 vom austro-faschistischen Bundesheer beschossen. Die wehrhaft wirkende Architektur der gemeinschaftsbildenden und teils stadtteilgroßen Höfe wurde von Anfang an als Teil einer sozialpolitischen Verteidigungsstrategie wahrgenommen. "Feste und Festungen" heißt deshalb ein Blatt aus der Serie "Wiener Studien" von Missing Link, in dem diese historische Dimension der Architektur aufgezeigt wird.

Genau das müssen wir derzeit – leider – erst wieder lernen: Die Errungenschaften der Demokratie müssen gefeiert und verteidigt werden.

Es wird also spannend, welche Wiederentdeckungen und Neuinterpretationen des "Roten Wien", das bis 2034 noch mehrere Jubiläen feiern wird, im MAK zu sehen sein werden.