Als vor gut zwei Jahren der erste Corona-Lockdown verhängt wurde, trafen diese Maßnahme auch die Universitäten mit einer Wucht, die den gesamten Alltag auf den Kopf stellte. Gebäude waren geschlossen, Abgaben verschoben, Kontakte mit Kommilitoninnen und Kommilitonen waren plötzlich gefährlich, und Seminare und Gesprächsrunden wurden ins Digitale verlegt. Die Universität, eigentlich ein Ort der Begegnung, wurde zu einem Ort des Abstandhaltens.
Für Kunstuniversitäten waren die Maßnahmen besonders hart. Ein Kunststudium, sei es Bildende Kunst, Architektur, oder Modeschneiderei, lebt auch von Präsenz, von Haptik, vom Austausch. Teure Materialien und Geräte finden sich meist nur in der Uni, außerdem haben viele Studierende zu Hause gar nicht den Platz, um ihre künstlerische Arbeit vorzuführen. Modellbau oder großformatige Malerei am Küchentisch? Eher schlecht.
Auch die Universität der Künste (UdK) in Berlin war durch die Pandemie-Regelungen des Landes Berlin bestimmt: verkürzte Öffnungszeiten, Anmeldung vor dem Betreten, Personengrenzen inklusive Slot-System, Maske. Alles Spielerische, was die Uni in der Wahrnehmung vieler Studierender und Mitarbeitenden ausmacht, fiel weg. Der Präsident der UdK, Norbert Palz, begriff die Institution in der Lockdown-Zeit als "Eispalast, in dem man sich auf Schienen bewegt". Da es jedoch aus Behördensicht Arbeiten gibt, "die nur im Praktischen stattfinden können", galten in Kunstuniversitäten die Regularien für Labore - weshalb sie immerhin nie komplett schließen mussten.
"Es gab zu viele Vorstufen"
Nun sieht es so aus, als könnten Lockdown-Zeiten der Vergangenheit angehören. Ateliers sind wieder geöffnet, Rundgänge finden statt, und der Präsenzunterricht startet wieder. Es wird wieder gemeinsam Kunst gemacht. Doch wie hat sich ein Kunststudium durch die Pandemie verändert? Wie wird sich längerfristig die Lehre wandeln? An der Udk Berlin gibt es auf diese Frage unterschiedliche Antworten.
"Das Studium hat seine Leichtigkeit verloren", erzählt zum Beispiel Heidi Scharen, Studentin der Bildenden Kunst. "Man musste den künstlerischen Prozess planen und konnte ihn nicht einfach passieren lassen. Es gab zu viele Vorstufen: Wo muss ich mich anmelden? Brauche ich einen Test? Wie wichtig ist mein Schaffen vor Ort? Nehme ich anderen den Platz weg, wenn ich nicht produktiv genug bin? Erst, nachdem diese Fragen geklärt waren, konnte man der Kreativität freien Lauf lassen."
Viele Studierende haben Materialien aus der Universität mit nach Hause genommen. Durch die veränderte Arbeitsweise scheinen auch die Werke anders geworden zu sein. "Ich habe das Gefühl, die Kunst ist einfacher geworden“, beschreibt Clément Claudius. Er studiert Freie Kunst im zehnten Semester. "Vor Corona habe ich hauptsächlich Installationen gemacht, was dann nicht mehr ging. So habe ich auf Street Art zurückgegriffen und hatte zudem endlich Zeit, Projekte, die schon eine Ewigkeit in der Ecke lagen, fertigzustellen."
"Man hat gemerkt, welche Bedeutung Kunst für die eigene Reflektion hat"
Auch Präsident Norbert Palz sieht den Einfluss der Bedingungen auf die künstlerische Arbeiten - und auch auf die Rezeption von Kunst. "Die Wahrnehmung der Bilder in einer Zeit der absoluten künstlerischen Armut, die wir erlebt habt, war enorm", sagt er. "Man hat gemerkt, welche Bedeutung Kunst für die eigene Reflektion hat."
Die Gefühle der Studierendenschaft bezüglich der Online-Lehre sind eher gemischt. In Gesprächen sagen viele, dass das kreative gemeinsame Arbeiten, der Austausch, die gegenseitige Hilfe bei Problemen und ganz generell die zwischenmenschliche Energie fehle. Anderseits sei aus der Ferne auch Wertschätzung für das vorher erlebte Miteinander und die Arbeitsbedingungen an der Hochschule gewachsen. Außerdem erwähnen Studierende die Sorge der Institution um ihr Wohlergehen. Professoren und Professorinnen der UdK haben zu Beginn der Pandemie beispielsweise einen Spendenfonds angelegt, der Studierenden mit finanziellen Problemen zugute kam.
In der Vergangenheit sträubte sich die Universität offenbar zuweilen gegen Digitalisierung - jetzt gilt diese als Kernelement der Zukunftsplanung. Angefangen mit einer Medienhaus-Plattform setzte die UdK ein Förderprogramm für Digitalisierung in künstlerischer Lehre in Höhe von zwei Millionen Euro auf. In den folgenden drei Jahren soll das Digitale ein zusätzliches Feld bedienen. Rechenzentren, neues Personal, ein digitales Archiv und technische Geräte zur Realisierung von Kunstprojekten sind einige der Vorhaben.
Ein eigener Raum fürs Digitale
Im Monopol Gespräch erklärt Palz: "Wir wollen das Digitale nicht als Übersetzung des Analogen begreifen und versuchen, Dinge nachzuahmen, sondern einen eigenen Raum etablieren, der zwischen dem Physischen und dem Ephemeren oszilliert. Die digitale Sphäre soll die ortsgebundene Identität erweitern. Wir als UdK haben Standorte in Berlin, aber auch zunehmend online, in denen wir kunstpraktisch und global arbeiten können."
Neben den Schwierigkeiten durch die Pandemie gab es auch aus anderen Gründen Kritik an der Kunst-Universität - so wurde der Rundgang im Sommer 2020 zu einem Protest-Event. Es gäbe rassistische Strukturen und mangelnde Diversität, hieß es vonseiten Studierender. Außerdem hinke die Hochschule anderen europäischen Kunstunis hinterher. Auch hier soll nun durch Digitalisierung gegengesteuert werden: Durch virtuelle, interdisziplinäre Veranstaltungen und internationalen Kooperationen soll mehr Diversität gefördert werden. Auch wurde eine Anlaufstelle für Diskriminierung und Gewalterfahrung eingerichtet.
Trotz der gelockerten Pandemiemaßnahmen werden Online-Theorie-Seminare wohl ein Teil von Kunsthochschulen bleiben. Das begrüßen auch die Studierenden, die man auf dem Berliner UdK-Campus an der Hardenbergstraße trifft. "Als Künstlerin möchte man viel unterwegs sein, durch das Hybride bekommt man die Möglichkeit dazu", findet die Bildende-Kunst-Studentin Djuna Lund Llopis. Dem stimmt auch Heidi Scharen zu: "Bei anderen Fächern macht Online-Lehre Sinn, ist teilweise auch praktischer. Bei einem Kunststudium nicht. Doch man sollte das Potential vom Digitalen nutzen, ohne die haptische Arbeit zu minimieren."
"Als Kunstinstitution des 21. Jahrhunderts müssen wir hybrid arbeiten"
Auch die Hochschulleitung stimmt zu: "Als Kunstinstitution des 21. Jahrhunderts müssen wir hybrid arbeiten - als Erweiterung unserer überlieferten künstlerischen Formate, die bestehen“, sagt Präsident Palz. "Ohne die Pandemie hätten wir es nicht geschafft, uns als gesamte Kunstuniversität mit dem Thema Digitalisierung so auseinanderzusetzen und uns strategisch weiterzuentwickeln." Der Prozess werde mehrere Jahre dauern. Da die UdK in Altbau-Gebäuden sitzt, müsse die Infrastruktur der Gebäude erst ausgebaut werden, um die Technik umzusetzen.
Außerdem soll das interdisziplinäre Arbeiten ausgebaut werden, das vor Corona oft zu kurz kam. Auch in diesem Kontext begreift Palz die Pandemie als Chance für Veränderung: "In digitalen Foren haben sich Menschen aus allen Fakultäten besonders in der Anfangszeit von Corona gemeinsam über Themen der Digitalisierung beraten. Das hat aber auch auf Ungleichgewichte innerhalb der Studiengänge und der unterschiedlichen Statusgruppen aufmerksam gemacht, beispielsweise beim Thema Ausstattung und Zugang." Ein guter Anlass für mehr Zusammenarbeit im Universitätskontext, findet Palz. Fakultätsübergreifende Initiativen in der Lehre sollen über digitale Schnittstellen zusammenarbeiten. Zum Beispiel Tanz im Dialog mit bildender Kunst - ein Novum.
Was hat sich noch im Studium geändert? "Die Uni ist anonymer geworden, man erkennt sie kaum wieder. Einen überkommt die Einsamkeit, wenn man vor Ort ist“, erzählt Student Clément Claudius. "Früher waren die Ateliertüren geöffnet, man hörte Musik und Gerede aus allen Richtungen. Ich bin gern auf Erstsemester*innen zugegangen und habe als Mentor agiert. Ich wünsche mir, dass die Türen wieder geöffnet werden."
Künstlerische Ideen entstehen nicht von 8 bis 20 Uhr
Einige Studierende teilen die Befürchtung, die Uni könnte anonym bleiben und wünschen sich die prä-pandemische Atmosphäre zurück. Besonders die Sorge um dauerhaft verkürzte Öffnungszeiten scheint verbreitet zu sein. Doch Norbert Palz beruhigt: "Die Pandemie zu nutzen, um die Uni zeitlich zu beschränken, war nie unser Plan. Künstlerische Ideen entstehen nicht von 8 bis 20 Uhr. Durchgängige Öffnungszeiten sind eine kulturelle Eigenschaft, die eine Kunstuniversität haben sollte."
Im Zuge eines internen Architekturwettbewerbs wird die Steinhaus-Ruine auf dem Hauptgelände in der Hardenbergstraße als ein "fakultätsfreier Ort der Begegnung" wiederaufgebaut. So soll die beschriebene Anonymität bekämpft werden. Palz ist davon überzeugt, dass sich das Gefühl schnell legen wird, denn beim wiederaufkommenden Betriebsrhythmus begegne man sich quasi automatisch - und verstärkt bei Rundgängen oder einem Fest. Viele Studierende in den ersten Semestern kennen das Universitätsleben vor den Lockdowns gar nicht mehr. Nicht nur deshalb sollen durch psychologische Studienberatung die Bedürfnisse ermittelt und Isolationsgefühle besser verstanden werden.
Man kann als vorläufige Bilanz also sagen, dass sich die UdK nachhaltig verändert hat - mit weitreichenden Konsequenzen. Doch aus den Schwierigkeiten der vergangenen Monate entstanden auch Pläne, um die Funktionalität der Kunsthochschule zu verbessern. Die Bedürfnisse der Studierendenden scheinen Gehör zu finden, ob in puncto Digitalisierung, sozialem Miteinander oder Qualität der Lehre. Doch noch ist eine Unsicherheit zu spüren, die auch die ganze Gesellschaft in diesem Frühling des Maßnahmenabbaus prägt - ein Gefühl zwischen Ausgebremstsein und Neuanfang.