UdK-Absolventenausstellung

Dieses Mal ist alles anders

Zum ersten Mal findet eine Abschlussausstellung der Berliner Universität der Künste außerhalb der Hochschule statt. "It’s only the end" zeigt deutlich, was Absolventinnen und Absolventen am Ende ihres Studiums bewegt

Stachlige Tentakel winden sich auf dem Boden des Kühlhaus Berlin. In den Arbeiten der Künstlerin Annkathrin Kluss scheinen bedrohliche Wesen die Kontrolle über die ehemalige Lagerhalle übernommen zu haben. Kluss ist eine von 35 Künstlerm und Künstlerinnen, die zwischen Sommer 2020 und Frühjahr 2021 ihr Studium an der Berliner Universität der Künste (UdK) beendet haben. Normalerweise beinhaltet der Abschluss eine finale Ausstellung und einen öffentlichen Rundgang durch die Hochschule. Letztes Jahr konnte die Leistungsschau jedoch aufgrund der Pandemie nicht stattfinden. Die Künstlerinnen und Künstler, denen dadurch eine wichtige Plattform weggebrochen ist, haben daher aus eigener Initiative ein Präsentationsprojekt gestartet.

Die partizipativ entstandene Ausstellung nennt sich "it’s only the end" und reflektiert das Absolvieren in Covid-Zeiten. Das Ende des Studiums als Katastrophenszenario? Zumindest steht die Präsentation sinnbildlich für eine unvorhersehbare Zukunft. Alle künstlerischen Positionen befassen sich mit der Frage, wie es weitergeht – auf globaler aber auch auf persönlicher Ebene. Die Arbeiten der Absolventinnen und Absolbventen sind geprägt von den Dingen, die junge Menschen in Berlin bewegen: hohe Mieten, Ateliersuche und städtischer Wandel, aber auch Fragen nach Identität, Digitalisierung und den Auswirkungen der Pandemie.

Die Präsentation im Kühlhaus macht vieles anders als man es von den regulären Abschlussausstellungen an der UdK gewohnt ist. Zum ersten Mal findet eine Abschlusspräsentation in externen Räumlichkeiten statt, losgelöst von der Universität. Dass es sich um eine kuratierte Ausstellung handelt, ist ebenfalls eine Premiere. Das kuratorische Team besteht aus Klara Hülskamp und Philipp Lange, die gerade ihr Studium der Curatorial Studies an der Frankfurter Städelschule beenden. "Natürlich war die Organisation des Gruppenprojekts auch chaotisch", sagt Lange. "Da die Ausstellung zweimal verschoben wurde, gab es unheimlich viel Kommunikationsarbeit. Wir mussten uns ständig neu an die äußeren Gegebenheiten anpassen." Nun werden auf den vier Etagen des Kühlhauses Malerei, Zeichnung, Fotografie, Skulptur, Installationen und Videoarbeiten präsentiert.

Auffällig ist das Miteinander der Teilnehmenden: Die Arbeiten sind nicht bloß wahllos aneinandergereiht oder nach Klassen und Medien geordnet. Stattdessen gibt es einen spannenden Mix aus inhaltlichen und formalen Bezügen, Querverweisen und auch Widersprüchen. Anders als es bei Abschlussausstellungen häufig der Fall ist, scheint hier keine Konkurrenz zu herrschen: "Es setzt sich nicht durch, wer am lautesten schreit. Wir begegnen uns alle auf Augenhöhe", lobt Felix Becker, einer der Absolventen.

Aus hölzernen Marktkisten hat Becker eine gleichzeitig fragile und abschreckend stachlige Skulptur konstruiert. Inspiriert hat ihn ein Aufenthalt in der französischen Großstadt Marseille, die von Armut und Gentrifizierung gleichermaßen betroffen ist. Mit seiner plastischen Malerei bricht der Künstler bewusst mit vermeintlichen Konventionen – ein Anspruch, der viele der präsentierten Werke vereint: Sowohl der Meisterschülerbegriff als auch die Tradition der Abschlussausstellung und gängiger Präsentationsformen werden bei "it’s only the end" auf den Prüfstand gestellt.

Wie es aussieht, wenn Nebelkrähen den städtischen Raum übernehmen, zeigt das Modell von Joram Schön. Durch einen Nachbau fiktiver Ladenstrukturen in Berlin-Moabit hat der Künstler einen architektonischen Raum konstruiert, der von unheimlicher Leere erfüllt ist. Obwohl man sich zwischen einer Filiale von Risa-Chicken, einem Casino und der Eisdiele Da Giovanni seltsam zuhause fühlt, wirkt das Stadtbild des Künstlers dystopisch und entgrenzt. Unwillkürlich erinnert das Szenario an die verlassenen Geschäfte in Zeiten des Lockdowns.

Im Untergeschoss des Kühlhauses geht Jay Lee Arbeit spielerisch mit Sorgen und Zukunftsängsten um: Hinter drei verschlossenen Türen zeigt der Künstler die Videoarbeit "Don’t Panic", die deutlich macht, dass manche Dinge nicht vorhersehbar sind. Die Besucherinnen und Besucher dabei zu beobachten, wie sie eine Tür nach der anderen passieren – oder eben nicht –, ist eine spannende Metapher für Krisen und Problembewältigung. Gehen wir offen auf unerwartete Aufgaben zu oder doch lieber außen herum? Wie sehr verunsichert uns das Überraschende?

Neben der Vergänglichkeit scheint immer wieder auch die Hoffnung auf das durch, was möglicherweise in der Zukunft wartet: In ihrer fotografischen Serie "New World" präsentiert die Künstlerin You Gu verfallene Gebäude, die sie auf ihren Reisen durch Osteuropa besucht hat. Die Bilder zeigen verlassene Orte, die kurz vor dem Verschwinden stehen. Ihr Ende ist unmittelbar abzusehen. Gu interessiert die Frage nach dem, was danach kommt. Der Titel der Serie macht deutlich, dass auf Ruinen gebaut werden kann und neue Dinge entstehen können.

Eine wohltuende Vielstimmigkeit durchdringt die Architektur der ehemaligen Lagerhalle am Gleisdreieck. Zwischen Backsteinwänden und massiven Stahlträgern drängt sich die Frage auf, warum nicht bereits früher eine externe Abschlussausstellung konzipiert wurde. Die nicht-institutionelle Präsentation tut den Arbeiten nämlich einen großen Gefallen. Klar ist, dass ein Abschied auch Chancen beinhaltet: Zwischen Themen wie Politik und Intimität, Gesellschaft und Individuum hin und her pendelnd, zeigt "it’s only the end", dass das Ende des Studiums für die Absolvent*innen keinesfalls nur ein Ende bedeutet. Im Gegenteil: Sie fangen gerade erst an.