Trumps Polizeifoto

Andy Warhol hätte es nicht besser machen können

Ein Polizeifoto ist eigentlich ein Zeugnis ultimativer Fremdbestimmung. Der wegen Wahlbetrugs angeklagte Donald Trump hat seinen Mugshot jedoch sofort umgedeutet und zu einer Ikone der Gegenwart gemacht. Ein Musterbeispiel der Aneignung

Donald Trump ist ein Politiker, der das öffentliche Bild von sich immer genau kontrolliert hat. Ich werde bei Twitter (heute X) gesperrt? Dann bastele ich mir eben eine eigene Plattform. Der Immobilienunternehmer und republikanische Ex-Präsident der USA hat sich über Jahrzehnte eine goldglänzende Luxus-Ästhetik mit offensiv schlechtem Kunstgeschmack zugelegt, die unausweichlich und wiedererkennbar ist. Die goldenen Toiletten im New Yorker Trump-Tower, der orange Selbstbräuner-Teint: All das ist so camp, dass sich auch Künstler dafür interessieren. So veranstaltete der Fotograf Andres Serranos 2019 eine Ausstellung mit Memorabilia des damaligen Staatsoberhauptes, darunter das Parfüm "Success" und ein Stück Torte von der Hochzeitsfeier mit Ehefrau Melania. 

Insofern ist das heute Nacht veröffentlichte Polizeifoto von Donald Trump eigentlich eine ästhetische Katastrophe. Der sogenannte Mugshot, der von den Justizbehören in Georgia aufgenommen wurde, ist ein Ausdruck ultimativer Fremdbestimmung. Keine Kulisse, keine Sonderbehandlung, nur ein schlecht aufgelöstes Porträt von schräg oben, das einen Mann mit geröteten Augen verkniffenem Ausdruck zeigt - einen Mann, der wegen Wahlbetrugs angeklagt ist. 

Das Foto ist das erste seiner Art: Nie zuvor in der Geschichte der Vereinigten Staaten wurde ein Ex-Präsident der Vereinigten Staaten auf diese Weise registriert. Trump musste dafür im Gefängnis in Atlanta vorstellig werden, wo er 200.000 Euro Kaution hinterlegte, um wieder auf freien Fuß zu kommen. Sein Mugshot hat nichts von der Eleganz eines David Bowie, der 1976 in Rochester, New York, wegen Marihuana-Besitzes in Gewahrsam genommen wurde und auf seinem Polizeifoto wie die coole Inkarnation einer Renaissance-Skulptur aussieht. Trump hat sich offenbar eher für den bösen Gangsterblick entschieden, der seinen Anhängern vielleicht Entschlossenheit suggerieren soll - der durch den pastellrosa Hintergrund und die Engelshaarreflexe auf seinem Kopf jedoch ein wenig an Wirkung verliert. 

Mehrere Kommentatoren haben bereits vermutet, dass dieses Foto dem Politiker schaden wird, der 2024 erneut als Präsidentschaftskandidat der Republikaner antreten will. Die Mehrheit der US-Amerikaner hätten Hemmungen, "so jemanden" zu wählen. Doch Trump hat es bereits wieder geschafft, die erkennungsdienstliche Erfassung - die eigentlich eine Demütigung sein müsste - für sich umzudeuten. Innerhalb weniger Stunden hatte der Abgelichtete das Foto für sich vereinnahmt. So postete er es mit den Worten "Never Surrender!" (Gib niemals auf!) als ersten Beitrag auf seinem wieder freigeschalteten X-Account. Entsprechende Shirts gibt es in seinem Online-Shop und für Wahlkampfspender.


Diese Sofort-Transformation vom juristischen Dokument zum popkulturellen Phänomen (tausende Memes gibt es natürlich auch schon) ist ein besonders bemerkenswertes Beispiel für die heutige Zirkulation von Bildern - und für die Instabilität der Bedeutung, die diese Bilder haben. Der Mugshot mag manchen als fast dämonische Abschreckung vor einem erneuten Präsidenten Trump dienen - für andere ist er dagegen ein Märtyrerporträt eines politisch Verfolgten.

Es ist eine Aneignung eines omnipräsenten Nachrichtenbildes, wie sie Andy Warhol nicht besser hinbekommen hätte. Fast sieht man schon den multiplizierten "Donald" in verschiedenen Farben vor sich, der es in puncto Wirkmächtigkeit mit Warhols "Marilyn" aufnehmen kann. Es ist genau diese Bedeutungsverschiebung, die Karikaturen gegen Trump so unwirksam machen: die Pointen setzt er am Ende dann doch immer selbst.

Es ist faszinierend, wie eine Strafverfolgungsbehörde mit einem rein formalen Vorgang eine Bildikone geschaffen hat, die uns noch lange beschäftigen wird und die völlig entgegengesetzte Interpretationen zulässt. Vielleicht müssen sich die Strafverfolgungsbehörden und auch Medien zukünftig überlegen, wie sie mit so politisch brisanten Porträts umgehen. Denn nun haben sie unfreiwillig und kostenlos einen Fan-Artikel für einen möglicherweise kriminellen Rechtspopulisten geschaffen.