Kunst kann giftig sein. Im übertragenen Sinne, aber auch im ganz körperlichen. Der Maler Sigmar Polke hat davon geträumt, dass eine Familie sonntags im Museum vor einem seiner Bilder steht und ihr die Haare ausfallen. Der Maler hantierte in seiner Kunst mit verschiedenen giftigen Substanzen: Farben, die eigentlich gar nicht mehr erlaubt waren, radioaktive Partikel. Eva Hesse und Yves Klein sind höchstwahrscheinlich durch den ungeschützten Umgang mit ihren Materialien gestorben, in Ateliers schweben Lösungsmitteldämpfe und schädlicher Staub.
Die Kunst ist also ein gar nicht so schlechter Kontext, um das Thema Gift zu verhandeln. Vor allem, wenn man das Künstlerstudio als Labor begreift, in dem sich im Kleinen auch das Außen wiederfindet. Die Berührung mit der Welt hat diesen giftigen Beigeschmack.
"Toxisch" ist mittlerweile ein Kampfbegriff, der die prekäre Situation unserer Zeit drastisch auf den Punkt zu bringen scheint. Toxische Beziehungen sind längst nicht mehr nur private Affären, sie rühren vielmehr an vergifteten Machtstrukturen. Ebenso wie die Rede von der toxischen Männlichkeit Probleme hegemonialer Ordnungen aufzeigt, und eben nicht nur einzelne Machos beschreibt.
Seine metaphorische Ebene verlässt das Toxische, wenn es um die Klimakrise geht. Die Ausmaße der Millionen von Tonnen synthetischer Materialien, Pestizide, Schwermetalle und Chemikalien, die jedes Jahr freigesetzt und in Umlauf gebracht werden, sind längst weder zu leugnen noch zu begreifen. Polkes Gift-Phantasie fürs Museum könnte inzwischen überall spielen.
Cola wird zu Kohle
Wie komplex die Auseinandersetzung mit dem Toxischen ist - und dass es künstlerische Praktiken braucht, um seine materiellen, immateriellen und politischen Zusammenhänge zu begreifen - zeigt die aktuelle Ausstellung "The Long Term You Cannot Afford. On the Distribution of the Toxic" im Berliner Kunstraum Savvy Contemporary. Caroline Ektander, die gemeinsam mit Antonia Alampi die Ausstellung kuratiert hat, spricht davon, dass es um eine körperliche Erfahrung gehen muss, wenn man dem Toxischen auf den Grund gehen will. Denn keiner von uns bleibt von dem Gift unberührt.
Coca Cola trinken ist zum Beispiel keine Tätigkeit, bei der man unbedingt an Schutzanzüge und Warnsymbole denkt. Was jedoch von dem Gebräu übrig bleibt, wenn man es einkocht, ist im Ausstellungsraum von Savvy zu sehen. Riesige Brocken Kohle, die wie erstarrte krümelige Lava aussehen, türmen sich am Eingang. Der chinesische Künstler He Xiangyu begann 2009 in seiner Heimatstadt Dangdong mit der Produktion dieser Cola-Kohle. Er stellte zehn Migranten ein, mit denen er zusammen eineinhalb Jahre lang 200 Tonnen Coca Cola verkochte. Die Verwandlung der Flüssigkeit, die wie keine andere für die westliche Konsumgesellschaft steht, in eine schwarze, unheimliche, feste Masse kommt einem Verdauungsprozess gleich. So erinnert die Kohle auch an ein körperliches Restprodukt.
Die wahnsinnigen Menge der Produktion zeigt He Xiangyus Auseinandersetzung mit einem ungehemmten westlichen Kapitalismus. Aber auch mit dessen Globalisierung. Für ihn selbst gehörte eine tägliche Dosis Cola zur Kindheit, gerade dann, als China das erste Mal von westlichen Produkten überflutet (vergiftet?) wurde.
Bloß kein Detox
He Xiangyus klebrige Masse könnte kurz das Verlangen nach einer Detox-Kur auslösen. Doch wenn die Ausstellung eines deutlich macht, dann, dass die Antwort auf das Toxische auf keinen Fall ein fanatischer Reinheitskult sein darf. Westliche Vorstellungen von einem reinen Körper und einer reinen Natur sind vielmehr Aspekte toxischer Verdrängungsmechanismen. Bloß weil kein Gift zu sehen ist, heißt es nicht, dass keins da ist.
Die Auslagerung von Müll innerhalb der globalisierten Welt basiert auf hoch toxischen Machtgefügen. Ein ganzes Kapitel widmet die Ausstellung dem Müll-Kolonialismus. Wenn es darum geht, wie der Giftmüll von Industriestaaten in Niedriglohnländer verschifft wird, genügt allerdings bereits ein Blick in die regionale Umgebung. 1972 vereinbarten West- und Ostdeutschland, dass der Westen gegen Bezahlung seinen gefährlichen Abfall nach Ostdeutschland auslagern durfte. Ganz in der Nähe von Berlin entstand eine Deponie. Die Erde dort ist noch immer kontaminiert. Der Künstler Jonas Staal arbeitete mit seinem Projekt "Redistribute Toxicity" den Fall auf und erzählt ihn mit seiner Installation. Hier kann jeder Besucher auch ein Tütchen mit Samen von Pflanzen mitnehmen, die trotz der Verseuchung des Bodens auf der ehemaligen Deponie wachsen.
Der Schweiß der giftigen Erde
Auch die Arbeit von Stephan Thierbach setzt sich mit dem toxischen Erbe auseinander, in dem wir Menschen und andere Lebewesen existieren müssen. "Der Schweiß der Erde" ist eine Installation und Performance in der Thierbach mit einem alten polnischen Kartoffel-Ofen Erde dämpft, die in Berlin Buch jahrzentelang durch Industrieabwässer verunreinigt wurde. Den Dampf aus der Erde fängt der Künstler mit einem Destillier-Verfahren auf und verarbeitet ihn zu einem Eau de Toilette: "La Sueur de la Terre". Die Erde, die ihre Sauna-Behandlung abgeschlossen hat, wird zurück nach Buch gebracht. Das Parfum steht in kleinen Fläschchen - als Luxusprodukt getarnt - zum Versprühen in der Ausstellung.
Die Berührung mit der Ausdünstung der Erde ist möglicherweise unangenehm. Aber wie die Ausstellung immer wieder zeigt, liegt in der Geste des sich Aussetzens zugleich eine Chance. Die unmittelbare Berührung ist ein Gegenentwurf zu einer kapitalistischen Rationalisierung der Welt, die das Toxische auslagert, anstatt Stellung zu ihm zu beziehen.
Die Schau ist neben der kritischen Auseinandersetzung mit dem Toxischen ein Plädoyer gegen die Entfremdung von der Welt und ihren mannigfaltigen Daseinsformen. Wie reich, flexibel, anpassungsfähig und grenzenlos diese Formen sind, zeigt das wunderbare Video und Archiv "Changing sex in Ecology" von Anne Duk Hee Jordan und Pauline Doutreluinge. Die Arbeit ist ein Manifest für eine queere Vergangenheit, Gegenwart und vor allem auch Zukunft unseres Planeten, in der man nichts mehr einfach nur loswerden will.