Tong Kunniao in Berlin

Die Dinge, die uns überdauern

Hat die Menschheit nicht schon genug Dinge in die Welt gesetzt? Der chinesische Künstler Tong Kunniao macht surrealistisch-komische Installationen aus Abfall und Gefundenem. Nun sind seine Arbeiten in Berlin zu sehen  

Es ist ja so: Eigentlich bekommt man das Gefühl, es gäbe viel zu viele Dinge auf der Welt. Plastik treibt im Ozean, zugleich ist Aufräumen und Entrümpeln zu einem Lifestyle-Trend geworden, der ein besseres, leichteres Leben verspricht. Der chinesische Künstler Tong Kunniao hat dazu aber ein entspanntes Verhältnis, denn er ist eher ein Lumpensammler von Berufs wegen. Seine Skulpturen, die er zu elaborierten Installationen zusammenfügt, sind vor allem aus gefundenen Objekten zusammengesetzt. Wie Wirbelsäulen aus Metall biegen sich manche der Assemblagen, mit silbernen Boxhandschuhen als Kopf, Netzstrümpfen als Haut, manche mit einem Besatz aus irgendetwas Pelzigem.

"Vor ein paar Jahren war ich mal in Berlin. Dort bin ich auf die Flohmärkte gegangen und habe eine Menge Sachen gekauft", sagt er. Alles wird zu Material. Das erzählt Tong in seinem Atelier in Beijing über FaceTime, während im Hintergrund der großen Halle das laute Rauschen einer Maschine zu hören ist. "Hier liegen wahrscheinlich noch Sachen aus Berlin herum, außerdem aus Paris und aus Rumänien." Der 1990 geborene Künstler studierte in Beijing Bildhauerei, vor der Pandemie reiste er viel, um in Paris oder in Deutschland auszustellen. Die Basis seiner Skulpturen sind fertig gebaute, bewegliche Gerüste, die der Künstler mitbringt und dann vor Ort mit gefundenen Objekten ausstaffiert.

Er zeigt ein Huhn aus Gummi, das in eine Maschine eingespannt ist. Wenn er die in Bewegung setzt, drückt eine Stange das Gummitier, und es gackert. "Ich bin ein bisschen wie das Huhn, als ob mich Lehrer oder der Kunstmarkt zur Arbeit antreiben", sagt er und lacht. Das alles lässt freilich an andere Lumpensammler der Kunstgeschichte denken. Aber Tongs Arbeit hat wenig mit formaler Strenge, wie beispielsweise die der italienischen Arte Povera, zu tun, sondern eher mit der Freude an der überschäumenden Bedeutung von Objekten. Das erinnert an die bewegten Skulpturen von Jean Tinguely, oder an die semantischen Explosionen der Surrealisten.

Drang zur Individualität vs. Anforderungen der Gesellschaft

Für seine Ausstellung "Just Stay in the Cold" in der Galerie Hua International in Berlin war eigentlich geplant, dass Tong die Flohmärkte der Stadt aufsucht, um dort Material für seine Arbeiten zu finden. In der Galerie in der Potsdamer Straße hätte er sich selbst als Vogel inszeniert – in einem kanariengelgelben Anzug, mit einer Pilotenbrille aus Lupen auf einem Gestell balancierend. Der Vogel sei ein Symbol, erklärt er, und manchmal fühle er sich selbst wie einer. Für den Künstler das Sinnbild eines ganz menschlichen Dilemmas. Das Tier symbolisiert das Gleichgewicht zwischen dem Drang zur Individualität und den Anforderungen der Gesellschaft. Nun kann der Künstler nicht persönlich kommen, wegen pandemiebedingter Reisebeschränkungen. Er sagt aber, er werde die Objekt-Performance nachholen.

Dinge haben an sich schon eine Bedeutung, auch ohne dass der Künstler sie zum Teil seiner Skulptur erklärt. Aber: "Ich hoffe, dass ich das Material von Neuem in Beziehung setzen kann", sagt der Künstler. "Ich interessiere mich für Objekte von verschiedenen Orten, aus verschiedenen Ländern." Die meisten seiner Arbeiten seien nie fertig. "Hier", sagt er und hält ein kleines weißes Bett, vielleicht aus einem Puppenhaus, mit einer grünen Farbwurst, in die Kamera, "noch schläft die Farbe sicher in ihrem Bett. Vielleicht ist sie aber morgen schon in einer viel gefährlicheren Situation." Und: Jedes Stück kann zum Teil einer neuen Arbeit werden.

Für seine Ausstellung "Art Trash" in Beijing hat Tong einmal eine riesige Mülltonne mit gefundenen Objekten gefüllt, sich selbst darin verschanzt und eine Rede gehalten. Was ist das für ein seltsam libidinöses Verhältnis, das er zu Abfall hat? "Es ist eine liebevolle Beziehung." Also kein totes Material: "Das ist alles sehr lebendig, sobald es die Schwelle zu meinem Atelier überquert."

Alles ist gleichwertig

Das kann man durchaus buchstäblich nehmen. Denn in der Vergangenheit hat Tong auch mit Sprachsteuerung gearbeitet, das heißt, die Stimmen des Publikums aktivieren die Skulpturen, animieren sie zu ohrenbetäubendem Lärm, manchmal zu Musik. Dieser seltsame Animismus wirkt wie ein gruseliger Zirkus aus alten Haushaltsgeräten und Lumpen, der sich in Bewegung setzt. Welchen Effekt soll das haben? "Wir sind Teil einer Beziehung zu den Werken. Der Mensch ist aber ebenso Material. Oder Abfall. Das ist das ganze Thema meiner Arbeit." So nihilistisch das klingt, Tong nutzt diese philosophische Erkenntnis zu einem erstaunlich komischen Effekt.

Auf die Frage, ob er nicht auch findet, dass die Menschheit nicht schon zu viele Objekte in die Welt gesetzt hat, reagiert er mit einem Achselzucken. "In China kann man alles finden, und manchmal fällt es mir schwer, das Material zu wählen." Gerade vorgestern habe er auf dem Heimweg aus dem Atelier zwei Schaufensterpuppen gefunden, die er gleich mitgenommen hat. "Es gibt keine Hierarchie, alles ist gleichwertig." Dann ergänzt er noch, dass die meisten dieser Objekte ein Menschenleben weit überdauern werden.