In der frühen Clubkultur galt Kaputtsein als selbstverständliches und daher kaum erwähnenswertes Ziel des Ausgehens. Broker und Machtmenschen mochten sich das Koks reinfahren, um tagsüber noch besser in ihren Jobs zu performen, die ekstatische House- und Technocrowd der frühen 1990er-Jahre aber wollte nur, dass der Abend nicht endet – Jobs hatte man eh nicht, und wenn, waren sie egal. Um die Außenwelt draußen zu lassen, um kaputt und damit verletzlich, offen, anders sein zu können, brauchte es geschützte Orte, die ihrerseits oft ziemlich kaputt waren (ausrangierte Lagerhallen, Industrieruinen etc.) und deren Pforten verlässliche Türsteher bewachen.
Kunstwerke sind keine Menschen, aber sie brauchen dennoch Schutzräume, und üblicherweise weist man ihnen dazu die porentief reinen, makellos ausgeleuchteten Räume des Museums zu. Tolia Astakhishvili geht einen anderen Weg. Mit ihrer Ausstellung im Berliner Haus am Waldsee hat die 1974 in Tbilisi geborene Künstlerin einen kaputt-intimen Ort geschaffen, der mit der bourgeoisen Atmosphäre der 1922 errichteten Fabrikantenvilla genauso bricht wie mit üblichen musealen White-Cube-Präsentationen. Nicht, dass es thematisch irgendwie um Techno oder die Clubkultur gehen würde, Astakhishvilis Ausstellung öffnet Assoziationen in alle möglichen Richtungen, dazu später mehr. Doch spricht aus der radikalen Transformation des Gebäudes die unmissverständliche Dringlichkeit, einen Ort von besonderer Sensibilität zu schaffen. Als könnten die Werke nur so zu sich kommen, nur so leben.
Es fängt damit an, dass man nicht sagen kann, wann genau diese Ausstellung begonnen hat. Zum einen, weil die Schau im Haus am Waldsee das zweite Kapitel einer zuvor im Bonner Kunstverein begonnen Ausstellung markiert. Zum anderen, weil die Georgierin die Berliner Villa zusammen mit ihrem Team bereits einige Wochen vor der Eröffnung bezogen hat. Und genau so, also ziemlich abgelebt, sieht es jetzt auch aus.
Kunst ist hier nichts, was zum Beglotztwerden gerahmt an Wänden hängt
Die gesamte Raumordnung der großbürgerlichen Villa ist aufgehoben und verästelt sich in einen postapokalyptischen Parcours voller Spuren und Andeutungen, der atmosphärisch zwischen Baustelle und Traumwelt schwebt. Provisorische Rigipswände wurden eingezogen, Fenster verhängt, Flügeltüren versperrt, Steckdosen abgeklebt. Man taucht ein in eine Atmosphäre zwischen Verfall und Aufbruch, Dystopie und Utopie, und findet keinen Halt.
Altes Geschirr und Einrichtungsgegenstände wirken wie Hinterlassenschaften früherer Bewohner, verstaubte Modelleisenbahnen und Puppen versprühen die Sehnsucht nach geordneten Verhältnissen, aber deuten auch auf politische Umbrüche, (häusliche) Gewalt und physische und psychische Schmerzen hin. Während sich der Schimmel an der Decke ausbreitet, lässt Baustellenlärm darauf schließen, dass hier möglicherweise gerade etwas Neues entsteht. Im Kaputten finden sich versteckte Spuren des Lebens, der Schönheit und Poesie.
Die Kunstwerke sind die Bewohner dieses Zwischenreiches. Astakhishvili mischt eigene Arbeiten, Kollaborationen und Werke anderer Kunstschaffender zu einer Gemeinschaft, die so unwahrscheinlich und zugleich vertraut wirkt wie die Zufallsbekanntschaften auf einer Afterhour. Kunst ist hier nichts, was zum Beglotztwerden gerahmt an Wänden hängt, sie verstreut sich in Nischen, versteckt sich hinter eingezogenen Wänden, verschmilzt mit der Architektur.
Kunst im Schattenreich
In einer Videoarbeit, die die Künstlerin zusammen mit James Richards realisiert hat, durchmischen sich Aufnahmen aus früheren Ausstellungen der Künstlerin zu traumhaften Sequenzen aus Bildern und Räumen. Surreale Figuren führen als Hinterglaszeichnungen in ein Schattenreich, ein gemalter Rückenakt entflieht in eine Wand, eine weitere Malerei geht buchstäblich durch Mauern. Es sind prekäre Existenzen zwischen Architektur und Kunst, Realem und Imaginären; poröse Körper, die offen sind für ihre Außenwelt, aber dadurch auch verletzlich.
Einer der schönsten Räume öffnet sich im Obergeschoss des Haus am Waldsee. Astakhishvili hat hier eine schmale Rigipswand aufs Parkett gestellt, in die eine Fotografie von Alvin Baltrop eingelassen ist. Die Aufnahme stammt aus den 1970er-Jahren, in der Baltrop die schwule Cruising-Szene rund um die verfallenen New Yorker Hudson Piers dokumentierte. Ein nackter Mann steht da in einem verfallenen Lagerhaus, das rechte Bein schwebt tänzerisch in der Luft. Er könnte jederzeit zur Seite kippen. Aber vielleicht ist die erotische Spannung seines Körpers auch das denkbar sicherste Fundament.