Wann immer reiche Menschen etwas für das Gemeinwohl tun, erzählen sie von ihren augenöffnenden Erweckungserlebnissen. Francesca Thyssen-Bornemisza hat als eine der wichtigsten Kunstmäzeninnen der Gegenwart bedeutende Werke in Auftrag gegeben und ihr Geld gern auf vielversprechende Außenseiter des Kunstbetriebs gesetzt. Bevor sie zu diesem Zweck im Jahr 2002 ihre private Stiftung TBA21 gründete, hatte der Dalai Lama zu ihr gesagt, dass sie das Familienvermögen der Thyssens wohl ihren guten Taten aus einem früheren Leben verdanke. Und solch eine prominente Wiedergeburt verpflichte natürlich zu weiterer Wohltätigkeit im neuen Leben.
Ab 2011 konzentrierte sich ihre Stiftung dann zunehmend auf Umweltschutz und die Ozeane (das ist die Abteilung TBA21-Academy). Der Auslöser für das Umwelt-Engagement sei laut Thyssen-Bornemisza gewesen, dass man beim Schnorcheln vor der Küste Jamaikas kaum mehr Meerestiere bewundern könne.
Taten sprechen lauter als Worte, und so werden die vergangenen 20 Jahre Stiftungsarbeit bei TBA21 durch die zahlreichen Projekte natürlich viel besser charakterisiert als durch solch persönliche Anekdoten. Das Kunstmuseum C3A in Córdoba zeigt jetzt eine rückblickende Jubiläums-Ausstellung, die den Reichtum sogar schon im Titel führt: Die "Abundant Futures" sind auf Deutsch die "reichlichen Zukünfte".
Die Welt schäumt vor Möglichkeiten
Die Ausstellung will materiellen Überfluss wieder positiv deuten und ihn als eine Triebfeder der Kunst und der Weltrettung verstehen, anstatt Wohlstand anstößig zu finden. Zum Beweis dafür dienen über 50 Meilensteine aus der Sammlung von TBA21, die mittlerweile insgesamt 1000 Werke umfasst, von denen etwa 150 Kommissionen aus Stiftungsgeld waren – auch davon werden einige gezeigt.
Die "Knappheit der Ressourcen" sei ein Dogma der Wirtschaftswissenschaft, das zur Rechtfertigung von Massenarmut, Austeritätspolitik und Kolonialismus herangezogen worden sei. In Wahrheit schäume die Welt über vor Möglichkeiten, wenn diese nur endlich gerecht umverteilt würden. Es ist im Grunde ein astreines linkes Manifest, das Kuratorin Daniela Zyman da geschrieben hat, die seit 18 Jahren für TBA21 arbeitet und die die Sammlungsstücke als liebe Freunde bezeichnet. Zyman hat das Leitthema der Abundanz auch als eine kosmische (das Weltall ist unendlich), ökologische (Natur multipliziert sich ständig) und historische (wo ist die Geschichtsschreibung der Marginalisierten?) Fülle ausgestaltet.
Ein zentraler Künstler der Sammlung ist Ernesto Neto, den Francesca Thyssen-Bornemisza noch vor seinem Durchbruch förderte und dessen Schaffen sie gegen die Vorbehalte ihrer erzkonservativen Familie verteidigen musste, nach deren Ansicht "zeitgenössische Kunst" damals ein Schimpfwort war.
Lieber teilen als besitzen
Die obszönen Erbstreitigkeiten ihres Familienclans hätten bei Thyssen-Bornemisza zu dem Selbstverständnis geführt, als Sammlerin nichts besitzen zu wollen, sondern es lieber mit allen Menschen zu teilen, um niemals wie ihre ganzen kunstsammelnden Vorfahren zu werden.
TBA21 verstehe sich selbst als eine Institution wie jedes öffentliche Museum. Verbildlicht wird diese gemeinnützige Mission durch Ernesto Netos Nylon-Skulptur "Esqueleto glóbulos" (2001), die sich in Córdoba zwischen Museumsboden und -decke erstreckt und für die Besucher begehbar ist. Als eine Art Membran verstanden, reguliert Netos Skulptur das Innen und Außen des Museums, sie kann beschützend und durchlässig zugleich sein.
Ähnlich besucherfreundlich ist die Installation "Woman to go" (2005) von Mathilde ter Heijne, zu deren Konzept der Multiplikation es gut passt, dass sie gleichzeitig auf der Phototriennale in Hamburg zu sehen ist; ganz so, als würde ter Heijne von überall auf der Welt ihre Postkarten verschicken.
"Ich wünsche mir das Ende des Kapitalismus"
"Woman to go" besteht aus 180 Postkarten in Drehständern. Sie zeigen auf der Vorderseite die ethnografische Fotografie einer Unbekannten und erzählen auf der Rückseite die Biografie einer in Vergessenheit geratenen Frau. Jede Karte darf man zum Lesen herausziehen oder mit nach Hause nehmen.
Genauso unkompliziert lassen sich die schönen Armbändchen von Rivane Neuenschwander aus Löchern in der Museumswand lösen, um den abgedruckten Wunsch mit sich herumzutragen und einen eigenen Wunsch für die nächste Ausgabe dazulassen. Neuenschwanders Projekt "I Wish Your Wish" (2003) hat TBA21 bereits viele Male ausgestellt, die Botschaften bisheriger Teilnehmer lauten "Ich wünsche mir das Ende des Kapitalismus" oder "Ich wünsche mir, keine Angst vor der Zukunft haben zu müssen".
Wer konnte ahnen, dass die Naturwissenschaft so weit in die Kunst und in unseren Alltag Einzug halten würde, wie sie es in letzter Zeit tat? Wegweisende Positionen von Thyssen-Bornemiszas persönlichen Lieblingen wie Olaf Nicolai oder Cerith Wyn Evans sind unmittelbar inspiriert von der Astronomie, der Chemie oder der Teilchenphysik. Derweil schlug sich der philosophische Posthumanismus, der seit ein paar Jahren aus der Kunstwelt nicht mehr wegzudenken ist, bereits 2013 und 2017 bei Sarah Lucas beziehungsweise bei Camille Henrot in entgrenzten Skulpturen nieder, die sich nun beide in Córdoba um das Menschsein herum verrenken dürfen.
Mehrere Realitäten nebeneinander
Sowohl die Wissenschaftsförderung wie auch der Posthumanismus von TBA21 gelten in besonderem Maße den Gewässern dieser Erde; den Meeren und Flüssen, die als eigene Lebewesen zu achten seien. Wobei es hier ein wenig kompliziert wird, denn zu den methodisch anspruchsvollen Forschungsprojekten sollen noch andere Wissensformen gleichberechtigt hinzukommen.
"TBA21 ist der einzige Ort in der Kunstwelt, den ich kenne, wo verschiedene Realitäten nebeneinander existieren können", sagt Markus Reymann, der Direktor der TBA21-Academy. Den Part des alternativen Wissens leisten etwa Performances, sie sind die immateriellsten unter den Kommissionen von TBA21 – die Performances kann wirklich niemand besitzen und sie dienen der breiten Öffentlichkeit von Córdoba.
Innerhalb einer einzigen Woche Recherchearbeit hatte Isabel Lewis ihre atemlose zweistündige Performance "Urban Flourishin" erarbeitet. Als Sängerin, Tänzerin, DJ und Erzählerin zugleich machte sie Anleihen beim Sufismus, den mystischen Strömungen des Islams.
Kunst öffnet das "dritte Auge"
Solche Performances trainieren das "dritte Auge" auf der Stirn, das angeblich andere Dinge erkennen kann als die restlichen Sinne. Das gelang ebenso der nonbinären Mapuche-Künstler:in Seba Calfuqueo mit einer ersten Performance im C3A-Museum, welche die Privatisierung von Wasser aus Sicht der Mapuche kritisierte, und einer zweiten entlang des ehemaligen Verlaufs des Guadalquivir-Flusses.
Eine langjährige Bewohnerin von Córdoba hockte nach den verschiedenen Performances im ausgetrockneten Flussbett – hinter ihr stand das mittlerweile pflanzenüberwucherte Mühlrad, vor ihr im Staub lag der Müll, den Córdobas Jugendliche zurücklassen, wenn sie prägende Abende und Nächte am Flussufer als einem wichtigen Ort ihrer Sozialisation verbringen – und sie sagte, dass sie ihre Heimatstadt in all den Jahren niemals durch diese Augen gesehen hatte, die ihr die Kunst jetzt geöffnet habe.