Am 10. Juli ist der deutsche Magnum-Fotograf Thomas Hoepker im Alter von 88 Jahren in Santiago de Chile gestorben. Hoepker gehört zu den namhaftesten und einflussreichsten Pressefotografen seiner Zeit. Unter seinen unzähligen Fotos sticht die Aufnahme "Blick von Williamsburg, Brooklyn, auf Manhattan, 11. September 2001" hervor, bedingt durch die künstlerische Qualität, nicht zuletzt aber durch die höchst umstrittene und politische Rezeption des Bildes. Es wird oft reproduziert, aber ebenso häufig missverstanden, indem ihr Sujet irreführend interpretiert wird.
Die Gefahr des Missverstehens, insbesondere in den USA, hat Hoepker selbst umgehend erkannt und die Aufnahme daher zunächst für längere Zeit zurückgehalten. Als das Bild schließlich vier Jahre später auf dem Umschlag des Katalogs der Münchner Hoepker-Retrospektive bestens sichtbar an die Öffentlichkeit gelangte, wurde das Foto in den deutschen Medien begrüßt ("vielleicht die beklemmendste Aufnahme der Katastrophe", "Frankfurter Allgemeine Zeitung"), in den US-Medien hingegen heftigst kritisiert, indem zum Beispiel gefragt wurde: Wie kommt ein deutscher Fotograf dazu, amerikanische Jugendliche in seinem Bild als unbekümmerte Menschen hinzustellen, die sich angesichts des horrifizierenden Einsturzes der Türme des World Trade Center anscheinend dem Sonnenbaden hingeben?
Hoepkers Aufnahme wurde zu einem "taboo photo" und in den USA monatelang kontrovers diskutiert. Bis heute wird das Bild, auch in Deutschland, im Großformat auf den Gesellschaftsseiten gezeigt und naiv begleitet mit Bildunterschriften wie "Mittagspause in Brooklyn, Tod und Verderben auf der anderen Seite des Flusses" ("Die Zeit", Nr. 10, 2. März 2023) oder "Zeiten des Terrors: Am 11. September 2001 sind auch am East River in New York die brennenden Twin Towers in Manhattan zu sehen. Man muss sie nur sehen wollen." ("Süddeutsche Zeitung", Nr. 130, 8./9. Juni 2024).
Sieht man sich das Foto genauer an und stellt es in seinen historischen Kontext, dann wird deutlich, dass der Vordergrund mit dem Hintergrund der Sache nach auf Engste verbunden ist. Die jungen Leute erläutern soeben einem nachträglich hinzugekommenen Radfahrer, was sich auf der anderen Flussseite gerade vollzieht. Von Unbeteiligtsein oder Desinteresse demnach keine Spur.
Zunächst zur Vorbereitung eines Workshops zum Thema Reportagefotografie und später wegen eines Vortrags über Hoepkers 9/11-Aufnahme hat der Verfasser 2007/2008 mit dem Fotografen über sein Bild und die Entstehung korrespondiert. Es folgen nachstehend einige Auszüge aus diesem E-Mail-Wechsel:
Michael Diers an Thomas Hoepker, 30. Dezember 2007
Sehr geehrter Herr Hoepker,
Henriette Väth-Hinz hat mich gebeten, im Rahmen der kommenden Photo-Triennale in Hamburg ein round table-Gespräch zum Thema Reportagefotografie und/versus Kunstfotografie zu organisieren und zu moderieren und Sie zugleich als ebenso prominenten wie erfahrenen Fotografen als Teilnehmer vorgeschlagen. Wir würden uns daher sehr freuen, wenn Sie Zeit und Interesse hätten, teilzunehmen. Diskutiert werden soll die Frage, inwieweit die klassische Reportagefotografie insofern in die Krise gerät, weil immer weniger Gelegenheiten zur Publikation gegeben sind und andererseits auf dem Gebiet der Kunst sich neue, attraktive Möglichkeiten (z.B. in finanzieller und gesellschaftlicher) Hinsicht eröffnen.
Was heißt es für die Fotografie (und die Gesellschaft), wenn sie eher unter dem Rubrum Kunst als unter jenem des Bildjournalismus reüssieren kann; was heißt es für den Berufsstand, sein Selbstverständnis etc. und was für den Bereich der Kunst?
Das Gespräch findet am Dienstag, den 15. April, 19 Uhr in Hamburg statt (Ort voraussichtlich Deichtorhallen). Als weitere Gäste vorgesehen sind bislang Thomas Weski (Kurator am Haus der Kunst, München), Tom Holert (freier Autor und Kritiker, Berlin) sowie der in Hamburg lebende Fotografenkollege Peter Bialobrzewski. Die Genannten haben inzwischen sämtlich zugesagt, so daß mit Ihnen die Runde in meinen Augen nicht nur komplett wäre, sondern
zugleich jenes Renommee erhielte, das das Thema und die Veranstaltung benötigen. Ich selber bin Kunsthistoriker in Hamburg und Berlin und habe einen Forschungsschwerpunkt auf dem Gebiet der Fotografie.
Sehr geehrter Herr Hoepker, ich hoffe sehr, daß Sie es einrichten können, nach Hamburg zu kommen, und freue mich sehr von Ihnen zu hören.
Mit den besten Grüßen
Ihr
Michael Diers
Thomas Hoepker an Michael Diers, 30. Dezember 2007
Sehr geehrter Herr Diers,
herzlichen Dank für Ihre mail! Ich hatte inzwischen schon bei Henriette Väth-Hinz für den 15. April zugesagt. Ich komme also gerne nach Hamburg. Das Thema interessiert mich sehr und betrifft mich persönlich. Nach 50 Jahren als Bildjournalist/Reporter zeige ich meine Bilder nun in Museen und Galerien, statt in Magazinen und der grösste Teil meiner Einkünfte kommt aus dem Kunstmarkt.
Ich bin übrigens gerade in Berlin. Meine Frau und ich haben gerade eine kleine Wohnung in der Kantstrasse bezogen. Allerdings muss ich am 4. Januar wieder nach New York fliegen. Sollten Sie auch gerade in Berlin sein, könnten wir uns ja vielleicht noch auf einen Kaffee treffen. Sie können mich auch gerne anrufen.
Mit den besten Grüssen
Ihr
Thomas Hoepker
Michael Diers an Thomas Hoepker, 7. Januar 2008
Lieber Herr Hoepker,
ich hoffe, Sie sind gut wieder in New York gelandet. Mit diesen Zeilen wollte ich nur kurz, wie verabredet, an die freundliche Übermittlung der Dokumente zu Ihrer Twin Tower-Aufnahme erinnern; Einiges habe ich inzwischen auch im Netz gefunden ...
Beste Grüße, auch an Ihre liebe Frau,
Ihr
Michael Diers
Thomas Hoepker an Michael Diers, e-mail vom 8. Januar 2008
Lieber Michael Diers,
vielen Dank für Ihre mail! Hier schicke ich Ihnen eine Menge Texte zum 9/11-Bild und auch das Bild selbst noch mal zur besseren Ansicht. Das pdf-Dokument "Web Comments on 9-11" ist eine lange Sammlung von Artikeln und blog-Beiträgen aus der Zeit nach der New York Times-Veröffentlichung. Bestimmt gibt es Wiederholungen von einigen Texten - Sie werden es rasch merken. All dies ist nur die Spitze des Diskussions-Eisbergs. Ich habe irgendwann aufgehört das Material zu sammeln. Das Pieter Breughel Bild "Sturz des Ikarus" hatte ich in einer der Debatten erwähnt. Es gibt noch ein interessantes Foto vom Erdbeben in San Francisco von 1906 mit elegant gekleideten Menschen, die sich das Schauspiel ansehen. Ich kann das Bild auf die Schnelle nicht mehr finden, vielleicht sehen Sie es aber im Material.
Natürlich bin ich immer für Sie da, falls es Fragen gibt. Wir können auch gerne jederzeit telefonieren.
Ich hatte in Berlin noch ein Exemplar meines Buchs für Sie bestellt, es kam aber erst kurz vor meinem Abflug. Meine Frau wird sich in der nächsten Woche bei Ihnen melden und das Buch eventuell bei Ihnen vorbeibringen.
Nochmals herzlichen Dank für den netten und anregenden Abend neulich und herzliche Grüsse - natürlich auch an Ihre Frau,
Ihr
Thomas Hoepker
Michael Diers an Thomas Hoepker, 8. Januar 2008
Lieber Herr Hoepker,
vielen Dank für das übersandte Material, das ich jetzt speichern und bei Gelegenheit ausdrucken werde, um es in Ruhe eingehender zu studieren.
Besitzen Sie eigentlich den kleinen Taschenbuch-Band über Breughels "Ikarussturz", verfaßt von Beat Wyss? Er ist in einer tb-Reihe bei Fischer erschienen ("kunststück"), die ich lange Jahre herausgegeben habe; falls nicht, schicke ich Ihnen gern den Band. Zum Vergleich hatte ich mir auch schon das Spencer Platt-Foto aus dem Libanon beiseitegelegt (World Press Photo 2007), das offenbar ebenfalls recht mißverstanden worden ist, weil es Jugendliche/"Schickeria" zeigt, die scheinbar einem Katastrophentourismus frönen ...
Nochmals Dank und herzlicher Gruß,
Ihr
Michael Diers
Thomas Hoepker an Michael Diers, 8. Januar 2008
Ja, das Beirut Foto von Spencer Platt wollte ich auch noch erwähnen. Und nein, das Taschenbuch über Breughel/Ikarus kenne ich nicht, wäre vielleicht interessant. Vielleicht können Sie es meiner Frau geben, wenn sie Ihnen mein Buch vorbeibringt.
Herzlich
Ihr
Thomas Hoepker
Michael Diers an Thomas Hoepker, 26. März 2008
Lieber Herr Hoepker,
ich sitze gerade an meinem Vortrag über Ihre 9/11-Aufnahme, die ich gern in einer möglichst hohen Auflösung vor Augen hätte, um auch Details besser sehen zu können; könnten Sie mir freundlicherweise eine solche Datei schicken? Und noch eine Frage: der asphaltierte Platz im Vordergrund, gehört er zur Terrasse einer Gaststätte oder ähnlich? Haben Sie noch die Straße bzw. deren genauen Abschnitt im Kopf, um ihn auf einem Stadtplan finden zu können?
Herzlicher Dank und Gruß, ich hoffe es geht Ihnen (beiden) gut, auf bald
Ihr Michael Diers
Thomas Hoepker an Michael Diers, 26. März 2008
Lieber Herr Diers,
komisch - ich hatte mich auch kürzlich mit der location beschäftigt und bin dann, zum ersten mal nach 9/11 wieder an die Brooklyn waterfront gefahren. Es hat eine Weile gedauert, bis ich den Platz wieder gefunden habe, denn er liegt ganz versteckt zwischen alten Lagerschuppen, praktisch unter der Williamsburg Bridge. Ich habe sogar ein paar Fotos gemacht, die ich Ihnen hier schicke. Im Winter sieht es dort recht trostlos aus. Aber im Sommer wird das Gärtchen gepflegt sein und wohl auch vom Restaurant Giando benutzt werden (http://www.giandoonthewater.com). Es ist ein toller Platz mit einem hinreissenden Blick nach Manhattan von der Südspitze bis zum Empire State Building. Das italienische Restaurant ist recht schäbig, alter, ungepflegter Glanz - verstaubte Kronleuchter und vergoldete Stühle. Es wird wohl vorwiegend für Hochzeiten gemietet. Auf der Webpage sehen sie hinter dem Brautpaar eines der kleinen Bäumchen (Zypresse?) die auch auf meinem Foto zu sehen sind. Gehen Sie auf Google Earth und geben Sie die Adresse ein: 412 Kent Avenue, Brooklyn NY. Ich schicke Ihnen hier zwei Google Satelliten-Bilder, da, wo das gelbe Männchen steht, ist der exakte Platz. Bei einem weitwinkligen Blick auf die Map sehen Sie gut die Lage zu Manhattan und zum Ground Zero.
Ausserdem, wie gewünscht hier ein höher aufgelöstes Foto vom 9/11.
Also dann bis bald in Hamburg - ich freue mich auf die Widerbegegnung und auch auf Ihren Text zum Bild
Herzliche Grüsse
Ihr
TH
Michael Diers an Thomas Hoepker, 27. März 2008
Lieber Herr Hoepker,
ganz herzlichen Dank für Ihre ausführliche Auskunft und das Bildmaterial; es wäre eine gute Idee, den genauen Platz in New York beim nächsten Mal aufzusuchen; gestern Abend habe ich es per Google Earth auch bereits getan, aber nur geahnt, daß es nahe der Williamsburg Bridge sein müßte ...
Was mich beim Schreiben heute beschäftigt hat, ist folgendes: Um welche Uhrzeit ist das Foto ungefähr entstanden (Sonnenstand bzw. die kurzen Schatten sprechen für die frühe Mittagszeit?!), mit welcher Kamera, welchem Film und welcher Belichtungszeit u. Blende? Ist das Foto digital bearbeitet worden? Es ist sehr spannend, sich damit zu beschäftigen, allerdings rennt mir die Zeit davon ... Auf Youtube habe ich einen Vortrag von David Friend über sein Buch (paperback edition) gefunden (45 Minuten), in dem er auch Ihr Foto vorstellt ...
Herzlicher Gruß
Ihr
Michael Diers
Thomas Hoepker an Michael Diers, 27. März 2008
Lieber Michael Diers,
hier noch kurz zu Ihren Fragen: Uhrzeit - ich weiss das nicht genau, der ganze Tag war ein "blur" für mich, wie es hier heisst, also ich war natürlich unter Schock und die Erinnerungen sind unpräzise. Ich denke auch, es war gegen Mittag, eher so nach 13 Uhr. Jedenfalls war der zweite Turm schon getroffen oder sogar schon eingestürzt, da könnte man ja die genauen Zeiten recherchieren. Ich habe dort wirklich nur ganz kurz angehalten, ich wollte ja runter zum ground zero, habe nur versucht einzusammeln, was ich vom Auto aus sehen konnte. Es gibt nur drei Bilder (frames) von dem Motiv. Fotografiert habe ich mit der Canon EOS und Fujichrome Dia-Film, vermutlich Zoom, Brennweite so gegen 80 cm, keine Ahnung von Belichtungszeit und Blende, das registriert man bei diesen halbautomatischen Kameras sowieso nie. Also es war noch vor der digitalen Zeit, kurz danach, 2002, habe ich meine erste Digitalkamera gekauft. Das Dia habe ich eingescannt und - wie alle scans - habe ich das Bild dabei "optimiert". Das Original ist ziemlich grünstichig und etwas dunkel - ich weiss nicht warum, vielleicht ein Entwicklungsfehler oder vielleicht hatte ich auch in der Eile einige Filmrollen gegriffen, die nicht mehr frisch waren, in der Hektik wäre alles denkbar. Mit dem Terminus "digital bearbeitet" muss man sehr vorsichtig umgehen. Praktisch jeder scan, den man von einem Stück Film macht, wird digital bearbeitet, d.h. man versucht Belichtungsfehler auszugleichen, Farbstiche zu eliminieren, den Kontrast zu verändern. Mein Prinzip dabei ist: Ich mache alles, was ich früher auch in der Dunkelkammer gemacht habe, um einen guten Print zu bekommen, das geschieht in der scan-software oder in Photoshop. Was ich nicht mache, sind Fälschungen, also Personen austauschen, Kleidung "umfärben", Elemente entfernen oder hinzufügen. Da fängt dann die Lüge an. Aber so etwas wie exakte Objektivität gibt es in der Fotografie nicht, weder im analogen, noch im voll digitalen Bereich. Jedes Ergebnis ist eine Interpretation. Ein weites Feld und eigentlich wird es erst jetzt in digitalen Zeiten thematisiert und als Problem gesehen.
Soweit ich weiss, ist das Foto nur ein einziges Mal in den USA gedruckt worden, nämlich in David Friend's Buch (halbseitig). Er hat die Diskussion hier in der Presse in Gang gebracht. Auch hat es hier bisher noch kein Sammler gekauft, in Deutschland/Europa sind schon etwa 35 prints verkauft worden. Die limitierten Auflagen gehen langsam ihrem Ende entgegen.
Herzlich
Ihr TH
Michael Diers an Thomas Hoepker, 29. März 2008
Lieber Herr Hoepker,
jetzt ist alles gut angenommen; vielen Dank für Ihre Informationen. Ich habe übrigens nie an digitale Manipulation gedacht, sondern, wie Sie, nur an technische Bearbeitung; den Kunsthistorikern wird von den Fotohistorikern, die sich oft als eigene Klasse begreifen, gelegentlich vorgeworfen, sie interessierten sich nur für Inhalte, das Dargestellte also, aber nicht für die essentiellen Dinge, darunter die technischen Aspekte ... Daher dachte ich, ich ergreife die Gelegenheit beim Schopf und frage kurzerhand den Autor des Bildes.
Ich habe irgendwo gelesen, Sie hätten Kunstgeschichte und Archäologie in Göttingen und München studiert - sympathisch! Sind Sie dann via "Jugend photographiert" zum Beruf des Fotografen gekommen?
Herzlicher Gruß
Ihr
Michael Diers
Thomas Hoepker an Michael Diers, 30. März 2008
Lieber Herr Diers,
vielleicht war es ganz gut, dass wir das Thema "digitale Manipulation" schon einmal angesprochen haben. Es wird - oder sollte - in unserem öffentlichen Gespräch in Hamburg vorkommen. Für mich sitzt es bei vielen Fotografen und ihren Bildern genau an der Demarkationslinie zwischen dokumentarischer Fotografie und Foto-Kunst.
Meine kunsthistorische Vergangenheit war eher glanzlos. Ich habe, glaube ich, sieben Semester geschafft, aber nebenher immer fotografiert, auch weil ich mir mein Studium und Leben damit finanzieren konnte. Als mir dann die "Münchner Illustrierte" 1960 einen Vertrag als Reporter anbot, war es damit schnell vorbei. Trotzdem - etwas ist hängen geblieben, zumindest der Spass, Menschen in Museen zu fotografieren...
Also bis bald
herzlich
Ihr
Thomas Hoepker
Michael Diers an Thomas Hoepker, 31. März 2008
Lieber Herr Hoepker,
vielen Dank für Ihre Zeilen. Ich denke, daß sich Ihr Studium durchaus in einigen Bildern niedergeschlagen hat, vielleicht sogar in der im Augenblick in Rede stehenden Aufnahme, in der, dies am Rande, mehr Claude Monet steckt, als man glauben sollte; ich habe gerade zum Vergleich Monets "Jardin à Sainte-Adresse" von 1867 aus dem Metropolitan Museum!! aufgeschlagen und bin von einigen Parallelen des szenischen Aufbaus, aber auch des Sujets sehr überrascht ...
Ich hoffe, Ihnen nicht auf die Nerven zu gehen, wenn ich Sie nochmals um Unterstützung bitte: Ich habe den Artikel in der Süddeutschen Zeitung über Ihre Münchner Ausstellung nicht finden können, würde aber gern einmal hineinlesen; desgleichen fehlt mir der Artikel von Richard Cohen aus der Washington Post vom 26. 9. 2006, den ich in Ihrem Dossier nicht gefunden habe und der im Netz nicht einzusehen ist. Liegt er Ihnen vielleicht vor?
Und noch ein letztes, das Wichtigste: Die Auflösung Ihres Fotos, die ich bislang zur Verfügung habe, ist für meine Begriffe (und die der technischen Projektion) leider immer noch zu schlecht (optimal für den Projektor/Beamer sind mindestens ca. 1024 x c. 760 Pixel oder sogar mehr).
Ich bin ein Freund des Details und der Blow up-Tiefenbohrung von Bildern, und freue mich immer Einzelheiten zu entdecken, die vielen entgangen sind; so meine ich zu sehen, daß das Fahrrad den Markennamen "Diamondback" aufweist, aber es gäbe noch einiges Andere, auch modische Details zu finden bzw. zu erkennen. Darüber hinaus möchte ich dem Publikum in Basel [Vortrag] Ihr Bild in seiner ganzen Qualität und Schönheit zeigen, d.h. möglichst pixelfrei, schließlich wird es den Zuhörern ungefähr eine Dreiviertelstunde lang vor Augen stehen. Läßt sich da noch etwas machen? Ich werde das Bild, wenn Sie in dieser Hinsicht Bedenken haben sollten, auf keinen Fall weiterreichen oder ungefragt publizieren -
das kann ich Ihnen versichern ...
Mit der großen Bitte um freundliches Verständnis für meine Petition,
wie immer herzlich grüßend
Ihr
Michael Diers
Thomas Hoepker an Michael Diers, 1. April 2008
… nun hatte ich Ihnen ein grösseres Bild geschickt und jetzt nimmt Ihr mail-server das nicht an. Ich probiere es jetzt mit kleineren Auflösungen.... Hoffe, es klappt
TH
Thomas Hoepker an Michael Diers,1. April 2008
Lieber Michael Diers, tut mir leid, ich bin nicht so recht fündig geworden - ich bin ziemlich schlampig beim Aufbewahren von Belegen usw. Der Artikel in der Washington Post ist aus meinem Folder verschwunden und ich konnte ihn auch auf der website nicht wieder finden. Von der Süddeutschen gibt es eigentlich keinen bemerkenswerten Beitrag zum 9/11-Bild, da
war die FAZ sehr viel gründlicher. Ich schicke Ihnen hier drei Kopien von SZ und FAZ.
Tut mir leid, die Datei vom Foto war in der mail-software automatisch stark verkleinert worden, hier schicke ich Ihnen eine höhere Auflösung. Darauf sollten Sie alle Details gut sehen können.
Danke auch für die Entdeckung der Parallelen zum Monet, sie sind erstaunlich (die rauchenden Schiffe), aber natürlich der reine Zufall. Trotzdem glaube ich, dass es für Fotografen gut ist, viele Bilder, gemalte oder fotografierte, im Hirn gespeichert zu haben. Da gibt es beim Fotografieren unbewusste Anreize.
Herzliche Grüsse
Ihr
TH
Thomas Hoepker, 9. September 2011 an Michael Diers, Stephan Erfurt, Felix Hoffmann und Michael Schirner anlässlich der Eröffnung der Ausstellung "Terrorbilder" bei C/O Berlin, in der auch Hoepkers "Blick von Williamsburg" zu sehen war:
"Ich bin traurig, dass ich [bei der Eröffnung heute] nicht dabei sein kann. Hatte gestern ein live-Interview mit CNN zum 9/11-Bild und am Sonntag, dem 11. 9., interviewt mich Al Jazeera am Schauplatz an der Brooklyn waterfront. Alles Gute und bis bald,
Thomas"
Thomas Hoepker, Vortrag "50 Jahre Bildjournalismus" (Transkription, Auszug), HfbK Hamburg, 14. Mai 2008, in der Reihe "spiel/raum:kunst", moderiert von Michael Diers, Videoaufzeichnung hier
"Dies ist ein Foto aus New York, vom dem Tag 2001, als der Terror über New York kam. Ich hatte an dem Tag Probleme, ins südliche Manhatten herunter zu gelangen. Ich wohne im Norden von Manhattan und die U-Bahn fuhr nicht mehr. Ich musste das Auto aus der Garage holen, aber die Straßen waren verstopft. Ich bin schließlich am East River entlang nach Süden gefahren, parallel zu Manhattan, und habe das Spektakel sozusagen aus dem Auto erlebt. Bei dieser Gelegenheit ist auch dieses Foto entstanden, das inzwischen bekannt geworden ist und viel diskutiert wurde. Es ist kaum zu glauben, aber ein bekannter Kunsthistoriker hat sich in letzter Zeit mit dem Bild sehr beschäftigt. Michael Diers hat einen größeren Vortrag über das Bild gehalten –den ich noch nicht gehört habe, aber von dem er mir eine Abschrift zuschickt. Er hat sich mit dem Foto bis ins Detail auseinandergesetzt.
Das Bild ist unendlich viel diskutiert worden. Es ist durch die Zeitungen, durchs Internet, durch die Blogs gegangen. Viele Leute haben sich gefragt: Was ist da eigentlich los? Da passiert die 'Mother of all Catastrophies' im Hintergrund und diese Leute sitzen davor im Sonnenschein, als wäre es ein Picknick und haben noch gar nicht kapiert, was eigentlich passiert ist.
Das Foto ist zweideutig, sogar vieldeutig. Man könnte lange darüber reden und wir können auch gern nachher weiterdiskutieren. Es war sozusagen ein Schnappschuss: Ich bin aus dem Auto ausgestiegen, habe die Szene gesehen, bin hingegangen, habe dreimal auf den Auslöser gedruckt und bin weitergefahren. Anschließend habe ich das Bild eigentlich vergessen. Denn ich wollte ja nach Ground Zero kommen, was mir nicht gelungen ist, weil die Straßen schon gesperrt waren. Auch nachher, bei der Auswertung, habe ich die Aufnahme zunächst gar nicht beachtet. Ich dachte, das ist 'B-Auswahl', ist gar kein richtiges Bild geworden. Ich habe es auch absichtlich nicht veröffentlicht, weil ich sah, dass es so diffus und vieldeutig ist, dass es eben falsch verstanden werden kann.
So habe ich es zur Seite gelegt und dann erst wieder 'ausgegraben', als ich meine Ausstellung vorbereitete, die in München war und im Katalog festgehalten ist. Daraufhin ist es allerdings das berühmteste meiner Bilder geworden, über das immer noch viel geredet wird, weil man sich keinen richtigen Eindruck machen kann. Ich habe auch wenig Antworten und kann nur spekulieren. Zwei der Leute auf dem Bild haben sich gemeldet, nämlich rechts der Mann und die Frau in der Mitte. Sie ist seltsamerweise sogar Fotografin. In einem Internet-Blog hat sie dann sinngemäß gesagt, der Fotograf Thomas Hoepker hätte uns eigentlich fragen sollen, ob er uns fotografieren darf. Das ist für mich eine ganz absurde Forderung. Denn hätte ich sie gefragt, gäbe es das Bild nicht. Dann hätten sie entweder 'Nein' gesagt, wenn sie nicht fotografiert werden wollen, oder sie hätten sich in Position gesetzt. Das Foto wäre also eine Lüge geworden, wenn ich es überhaupt gemacht hätte
So ist eben eine kleine Moment-Aufnahme aus der Wirklichkeit, aus der Realität entstanden. Man kann darüber spekulieren, was da passiert ist oder nicht . Die beiden, die sich gemeldet haben, sagen, sie hätten natürlich gewusst (und ich bin da auch ganz sicher), was da hinter ihnen passiert. Sie hätten darüber gesprochen und sie wären verwirrt gewesen wie alle –nur sah es eben nicht so aus. Das hat auch mit der wunderschönen Septemberwoche zu tun. Die Sonne schien. Es war blauer Himmel. Die Blumen blühten. Alles war idyllisch. Gerade das, finde ich, ist das Thema des Bildes: wie das Grauen in so eine Idylle einbrechen kann und für einen Moment mit Schönheit und Friedlichkeit koexistiert."
Zwischenfrage aus dem Publikum: "Sie sind an diesem Tag ohne einen Auftrag aus eigener Intuition heraus losgezogen , weil sie dort auch leben. Wie ging es Ihnen dabei?"
"Ich war auch total überfordert. Ich bekam morgens um neun, halb zehn einen Anruf von einem Magnum-Kollegen. Der sagte, "ich sehe aus meinem Fenster in Brooklyn, dass da irgendetwas brennt, wahrscheinlich das World Trade Center." Man wusste gar nicht was los ist. Im Fernseher sah man auch auch nur die ratlosen Kommentatoren, die ebenso wenig wussten, was los ist, nur, dass ein Flugzeug in das World Trade Center geflogen ist. Erst als das zweite Flugzeug auch da einschlug, hat man verstanden, dass es ein Anschlag ist. Ich habe lange überlegt, was ich mache und hatte auch Hemmungen, dorthin zu fahren. Aber letzten Endes muss man als Profi, als Fotograf dabei sein. So habe ich versucht, irgendwie da herunter zu kommen - aber ich habe es, wie gesagt, nicht ganz geschafft.
Meine Kollegen von Magnum hatten zufällig ein Treffen am Vortag. Es waren also zwölf Fotografen von Magnum in der Stadt, die alle, jeder auf seine Faust, losgefahren sind und versucht haben hinzukommen. Diejenigen, die sowieso in der Nähe wohnten, hatten es leicht und waren schnell dort. Einer von uns, Steve McCurry, konnte alles von seinem Dachgarten auf dem Haus aus sehen - die ganzen Phasen des Zusammenbruchs der Türme und so weiter. Ich hatte aber Schwierigkeiten und habe es nicht dorthin geschafft. Es war also das Gegenteil von dem, was mein berühmter Kollege Robert Capa gefordert hat. Der Magnum-Mitbegründer hat mal den klassischen Satz gesagt, "wenn Dein Bild nicht gut genug ist, dann warst Du nicht nah genug dran". Nun war ich nicht genug dran, aber seltsamerweise hat dieses Bild Bestand und wird wahrscheinlich eher diskutiert als die Bilder der Fotografen, die es an den Ort des Geschehens geschafft haben. Und das eben gerade wegen dieser Distanz. Das macht das Foto wahrscheinlich so rätselhaft.
In so einem Moment laufen einem tausend Dinge durch den Kopf. Man versucht, Leute anzurufen. Das Telefon funktionierte nicht mehr. Die U-Bahn fuhr nicht mehr. Ich musste mein Auto herausholen, aber die Brücke war verstopft. Man kämpft dann einfach um die Möglichkeit, zum Ort des Geschehens zu kommen und hat so gewisse Instinkte, die man natürlich im professionellen Leben angesammelt hat. Im Nachhinein war es ein entsetzlicher Tag. In dem Moment, als ich dort ankam, hörte ich im Radio, dass der zweite Turm eingestürzt war. Es war die Rede – glaube ich – von 30.000 Opfern. Das hat Gott sei Dank nicht gestimmt. Es waren 'nur' 3.000 Opfer. Aber man war verwirrt und die Informationen überschlugen sich."