Ein Raum mit hohen Betonsäulen, kühle Luft, künstlicher Nebel und nur wenig Licht von draußen. Die Umgebung füttert die Illusion, selbst Spielerin oder Spieler auf einer persönlichen Mission zu sein. Rundherum ein dumpfes Dröhnen. Monotone, hallende und computergeneriert klingende Stimmen vermischen sich mit teils melodischen, teils harten Klängen von verschiedenen Videospielen. In Kombination mit den intensiven rot-grünen Scheinwerfern entsteht eine mystische Atmosphäre.
"The Soul Station" von Danielle Brathwaite-Sherley ist die dritte Ausstellung der LAS Art Foundation in der Halle am Berghain. Die Initiative hat sich der Verschmelzung von Kunst, Wissenschaft und neuen Technologien verschrieben - und die Location mit ihrer Verbindung zu Nachtleben und Subkultur könnte nicht passender sein. Brathwaite-Shirley kreiert virtuelle Welten, die das Leben Schwarzer trans Personen in den Mittelpunkt rücken. Kernelemente der Schau sind die beiden Auftragsarbeiten "You can’t hide anything" (bis 8. September) und "Are you soulless, too?" (12. September bis 13. Oktober), die das Programm bis in den Herbst in zwei Phasen aufteilen.
Zwei Bildschirme, die besagten "Soul Stations", fragen schon am Eingang nach meinem "Seelencode". Über einen QR-Code erhalte ich diesen und gebe ihn ein, worauf meine Seele laut der Screens hochgeladen und gescannt wird. Die Auswertung soll ein Bild meines Inneren generieren. "Wut. Reue. Depression. Fehler." Unruhig animierte Schlagwörter, die nacheinander auf dem Display erscheinen, und dann: "Deine Seele braucht eine gründliche Reinigung". "Du musst deine Seele reinigen." Diese dringliche Maßnahme ist jedoch nur nach dem Entschlüsseln eines Sprachsystems mit Hinweisen in der ganzen Ausstellung möglich. Brathwaite-Shirley selbst beschreibt die Schau als eine gemeinsame menschliche Erfahrung: "Nur in einer Gruppe von Menschen besteht vielleicht die Möglichkeit, etwas zu ändern." Insbesondere das Werk "You can’t hide anything", das im Zentrum der Ausstellung in Form eines Amphitheaters mit einem mittig platzierten Gamingsessel installiert ist, macht das deutlich.
"Soll der transphobe Arzt gecancelt werden?"
Das Spiel lässt sich als eine Art moralischer Test beschreiben: Es geht um die einschneidenden Ereignisse in einer Parallelgesellschaft, in der nach der Revolution gegen die Sklaverei die Herrschenden gestürzt wurden. Vor dem Start werden diesmal die Augen und die Vergangenheit der Spielenden gescannt. "Korrupte Moral gefunden" lautet das wenig erbauliche Ergebnis. Daraufhin erhalten wir als Gemeinschaft elf Minuten Zeit, um sechs Personen in einem immersiven und etwas unheimlichen Universum zu finden und diese zu retten. Zwar wählen die Spielerinnen und Spieler, welcher Person sie im Game folgen, doch mit dem integrierten Voting-System ist es dem Publikum möglich, bei Schlüsselmomenten mit abzustimmen. "Soll der transphobe Arzt gecancelt werden?". "Ja."
Im Gegensatz zum Hyperrealismus, der in den meisten kommerziellen Videospielen angestrebt wird, entwickelt Brathwaite-Shirley eine einzigartige, experimentelle Sprache und verleiht so Fragen nach postkolonialen und genderfluiden Identitäten eine Form. Die Ästhetik erinnert an die alten und eher grafisch groben "Low Poly PlayStation 2"-Games aus den frühen 2000er-Jahren.
"Into the Storm", "No Space for Redemption", "Invasion Pride" und "Pirating Blackness" gehören zu den Werken aus Brathwaite-Shirleys Sammlung, die in der Halle jeweils zwei mal Platz gefunden haben. Letztgenanntes spielt inmitten der Routen des transatlantischen Sklavenhandels und übergibt den spielenden Personen die Verantwortung für die Gewalttaten oder das Leid der Charaktere. Vier Buttons, vier Auswahlmöglichkeiten bei jedem Schlüsselmoment. "No Space for Redemption" hingegen erzählt von den Fallstricken der Bürokratie und dem Erleben von Traumata an öffentlichen Orten. Im Szenario am Flughafen müssen die beiden Hauptcharaktere, Mutter und Kind, dem Zollbeamten ihre Pässe vorzeigen.
Ohne Teilnahme kein Spiel
Der Pass der Mutter zeigt ihren alten Namen und ihr altes Gesicht. "Mein früheres Leben treibt immer noch sein Unwesen in diesem Dokument." Der Pass des Kindes ist ungültig. Aufgrund meiner Entscheidungen eskaliert die Situation. Ein Schuss fällt. Der Bildschirm färbt sich rot, und eine Nachricht erscheint: "Alle sind tot." Die direkten Fragen an die spielende Person verstärken das Gefühl von Schuld und Hilflosigkeit. "Ist das deine Schuld? Ist es nicht, sagst du dir selbst."
Die Interaktivität ist Hauptbestandteil der Ausstellung. Ohne Teilnahme kein Spiel. Besucherinnen und Besucher müssen auf jeden Fall Zeit mitbringen, um die digitalen Welten ausgiebig zu erkunden und sich den moralischen Entscheidungen sowie deren Folgen zu stellen. Weiter fordert die Ausstellung eine Auseinandersetzung mit sich selbst, seinem eigenen Handeln sowie dem Handeln als Community. Danielle Brathwaite-Shirley vermittelt die politische Botschaft, dass nicht weggeschaut werden darf. Zu viel steht auf dem Spiel.