Gummistiefel und Kunst klingen schnell nach Venedig-Biennale, also auch nach einem weiteren Highlight, das pandemiebedingt auf nächstes Jahr verschoben werden musste. Doch nur, weil ein verregneter Frühlingstag auf der 59. Biennale Arte noch warten muss, heißt das nicht, dass das auch für Kunst in Gummischuhen gilt. In der Berliner Ausstellung "Terrestrial Assemblage" watet man durch schlammiges Wasser von einem Kunstwerk zum anderen - zwar nicht in pittoresken Gässchen, aber immerhin in den geheimnisvollen Tiefen einer hauptstädtischen Gartenkolonie.
Die Kuratorinnen Pauline Doutreluigne und Keumhwa Kim haben dort im ehemaligen Regenrückhaltebecken des stillgelegten Flughafens Tempelhof eine begehbare Science-Fiction-Szenerie entstehen lassen. 60 Jahre lang konnte sich der künstlich angelegte Ablauf, der das angrenzende Flugfeld vor Überschwemmungen schützen sollte, von menschlichen Einwirkungen ausruhen, bevor er 2018 vom Raumlabor Berlin neu erschlossen wurde. Jetzt könnte man in dem renaturierten Ökosystem, einem dynamischen Teich, Apokalypse spielen.
Aber vielleicht muss die Welt gar nicht gleich untergehen in diesem Zukunftsspiel. Der Teich gilt in der abendländischen Symbolik nicht ohne Grund als Ort der Wiederbelebung. Auch das christliche Taufbecken referiert auf dieses Sinnbild. In der Ausstellung wird die Erlösung durch das heilige Wasser immerhin ironisch aufgegriffen. Die digitale Collage von Ines Doujak ist visueller Dreh- und Angelpunkt des Rundgangs und zeigt vor dem malerischen Hintergrund einer Grablegung Christi eine nackte Frau mit Wehrmachtshelm, die eine andere Nackte reitet.
Das verworrene Verhältnis von Natur und Grenzen
Die Verquickung von Religion, Kapitalismus und Kolonialismus, die sich wie ein roter Faden durch die Geschichte der Zerstörung der Erde zieht, klingt in diesem dichten Symbolgemenge an. Einen Paradiesgarten sucht man in dem Flughafen-Pfuhl also vergebens, auch wenn er sich trotz toxischer Kontaminationen in einen artenreichen Weiher verwandelt hat. Algen, Schilf und Gräser wuchern, und die Bäume umsäumen den tiefgelegten Tümpel mittlerweile so dicht, dass die Stadt drum herum verschwindet.
Das verworrene Verhältnis von Natur und Grenzen ist das zentrale Thema der Ausstellung. Dabei bleibt es aber nicht bei der Frage, wo Natur beginnt und Stadt aufhört. Geopolitische Grenzen und ihre Konfrontationen mit ökologischen Bedingungen werden global verhandelt. Im Film "Position exchange for two distinct, 30-meter Volumen of earth" von Santiago Sierra etwa. Der Künstler lässt unter militärischer Bewachung zwei identische Erdblöcke in der demilitarisierten Zone zwischen Nord-und Südkorea austauschen.
Die absurde Grenzziehung zwischen konfliktreichen Nachbarländern ist auch Thema in der Videoarbeit "Fiktion einer Nicht-Einreise" von Mischa Leinkauf. Der Künstler taucht die unsichtbaren Grenzen am Meeresboden zwischen Israel und Jordanien, beziehungsweise Ägypten ab. Das spekulative Potenzial der Ausstellung wird am deutlichsten in der Position von Anne Duk Hee Jordan, vielleicht sogar zu deutlich. Wie kann im Angesicht der Klimakrise die Erde neu kartografiert werden und welche Dinge und Wesen können neben dem Menschen daran beteiligt sein?
Eine Roboterkrabbe arbeitet sich durch neongrünes Wasser
Bis ans Ende des Tümpels muss man sich arbeiten, um die Installation "Making Kin 2.1." ganz zu sehen. Unter Umständen ist der Wasserstand zu hoch für die Gummistiefel. Dann stehen provisorisch zusammengebaute Flöße zur Verfügung, die wiederum nicht funktionieren, wenn der Wasserstand zu niedrig ist. Der Ausstellungsbesucher oder die -besucherin ist dem Wetter ausgeliefert.
Von Weitem lockt Anne Duk Hee Jordans Environment mit einer großen bunten Zeichnung auf einem Banner. Sie zeigt eine Multi-Spezies-Welt, die an die Visionen der Wissenschaftsphilosofin Donna Haraway erinnern. Ist da auch ein Virus zu sehen? Im Kontext der Ausstellung erscheint die Zeichnung als Pendant zu der machtkritischen Collage von Ines Doujak interessant. Versteckt hinter Schilf und Banner ist dann der zweite Teil der ortsspezifisch entwickelten Installation zu sehen: eine Roboterkrabbe, die sich ferngesteuert durch neongrün gefärbtes Wasser bewegt, angelehnt an die Meeresroboter, die Plastik aus dem Meer sammeln sollen.
Wasser und digitale Kreaturen - das waren auch Themen, die sich durch die letzte Venedig-Biennale vor zwei Jahren zogen. Wenn schon Regenrückhaltebecken und Schrebergärtchen nicht weiter weg sein könnten von einer venezianischen Grandezza, ruft doch die wässrige Umgebung im Kontext von Zukunftsszenarien Erinnerungen wach. Und ein leuchtend grün eingefärbter Canal Grande, um auf die Wasserverschmutzung aufmerksam zu machen, gab es sogar schon 1968, initiiert von dem argentinischen Künstler Nicolas Garcia Uriburu. Vielleicht bleiben Kunst und Gummistiefeln also doch immer ein bisschen mit Venedig verbunden.