Korruption, große Armut trotz Wirtschaftswachstum, Gewalt: Es muss etwas passieren in Mexiko – und vielleicht kommt jetzt der Wandel in einem Land, in dem sich Drogenkartelle bekriegen und Morde an der Tagesordnung sind. Der Linke Andrés Manuel López Obrador, der am Sonntag bei den Parlamentswahlen mit deutlich über 50 Prozent gewonnen hat, verspricht den Mexikanern – unter anderem – ein Ende des Drogenkriegs.
Noch ist das Land mittendrin in der Gewaltspirale. So sollen während des Wahlkampfes mindestens 145 (!) Politiker getötet worden sein, noch am Sonntag fiel eine Aktivistin der Arbeitspartei PT im Bundesstaat Michoacán einem Mordanschlag zum Opfer.
Die Künstlerin und Aktivistin Teresa Margolles, 1963 in Mexiko geboren, trägt bei ihrer Ausstellungseröffnung in der Berliner DAAD-Galerie im Juni eine tief ins Gesicht gezogene Basecap. Margolles muss sich schützen. Ihr Gesicht soll auf möglichst wenig Fotos auftauchen. Denn auch sie stellt sich der Drogenmafia entgegen, die buchstäblich über Leichen geht. Wie gefährlich lebt Teresa Margolles? "Davon will ich mich nicht lähmen lassen", sagt die Künstlerin knapp. In ihren minimalistisch anmutenden Objekten zeigt sie die Wunde eines von Gewalt zermürbten Landes. Zum Abschluss ihres Aufenthaltes beim Berliner Künstlerprogramm des DAAD präsentiert sie ein blutgetränktes Stück Stoff und eine Reihe von Wandfliesen.
Auf die Frage nach dem Minimalismus in ihrem Werk antwortet die Künstlerin ausführlich. Die von Männern dominierte Minimal-Art habe ihr wichtige Impulse gegeben, sagt Margolles. Aber als sie im texanischen Marfa die Skulpturen des berühmten Minimalisten Donald Judd sah, vermisste sie doch etwas – "die Anwesenheit von Menschen".
Marfa liegt keine 300 Kilometer von Ciudad Juárez entfernt, der mexikanischen Grenzstadt, in der Margolles heute lebt und in der sie die Wandfliesen für ihre Installation "La Gran América" produzieren ließ. Die rund 1000 Tonfliesen an der DAAD-Wand erinnern an die Migranten, die beim Versuch, den Rio Grande zu überqueren, umgekommen sind. Der Lehm für die Fliesen stammt aus dem Flussbett. Sie habe sich, erzählt Margolles, am Format der "Stolpersteine" aus Messing orientiert, mit denen in Deutschland an Opfer des NS-Regimes erinnert wird.
Ihre umstrittene Ästhetik verdankt sich Margolles' Ausbildung als Gerichtsmedizinerin. In Europa wurde die Mexikanerin 2002 schlagartig bekannt, nachdem sie für eine Gruppenschau eine Wand der Berliner Kunst-Werke goldglänzend eingefärbt hatte. Was oberflächlich an die Murales, die mexikanischen Wandmalereien erinnerte, war aus sieben Kilo menschlichem Fett hergestellt, das bei Schönheitsoperationen abgesaugt worden war. Anderswo ließ Margolles Seifenblasen auf dem Publikum zerplatzen, die Leichenwaschwasser enthielten. Oder sie schloss einen totgeborenen Fötus in einen Betonblock ein. Vielen geht ihr Spiel mit Entsetzen und Ekel zu weit. Aber was ist erschütternder als die Erkenntnis, dass Tod und Unrecht Teil der menschlichen Existenz ist?
In Berlin fiel Margolles auf, dass viele Mexikaner – und Frauen und Männer anderer lateinamerikanischer Länder – hier eine Heimat gefunden haben. In der Ausstellung ist eine Gratisbroschüre erhältlich, die ein Dutzend anonymisierter Zeugnisse dieser Wahlberliner enthält. Was die Menschen aus ihren Herkunftsländern erzählen, klingt wie von einem anderen, lebensfeindlichen Stern. Leitmotiv der Texte sind eine frauenverachtende Kultur und die erschreckend hohe Zahl an Femiziden. Eine 33-jährige Mexikanerin, die seit zehn Jahren in Berlin lebt, erzählt vom Tod ihrer Freundin. Deren Ex-Freund hatte sie vergewaltigt und erschlagen. "Warum passiert so etwas in Mexiko?“, fragt die Frau, „Weil sie es können. Weil man kann. Weil du es kannst."
Gewalt erleben diese Menschen auch in Deutschland, so der ernüchternde Tenor der Auskünfte, die in der Galerie auch über in den Wänden eingelassene Lautsprecher zu hören sind. Außerdem haben sich die von Margolles Angesprochenen mit Nadel und Faden an der Arbeit "Sutura" beteiligt, jenem blutgetränkten, in der Galerie auf einen schrägen Rahmen gelegten Stoff aus Guadalajara, durch den sich inzwischen 14 neue Fäden ziehen. Es sind Spuren von Hilflosigkeit vielleicht, aber auch von Anteilnahme.
Noch am Eröffnungsabend nähte eine in Berlin lebende Mexikanerin einen Faden in das Tuch hinein. Der löchrige Stoff ist mit dem Blut einer Frau getränkt, die in Guadalajara, der zweitgrößten Stadt Mexikos, ermordet wurde. Mit dem sinnlosen Sterben will Margolles sich nicht abfinden. Sie spricht für die Mehrheit der Mexikaner – die inständig hoffen, dass die Politik einen Wandel herbeiführt.