Schau in London

Teatime mit Tim

In London: Eine Ausstellung über Hergé und seine Comics

Das Somerset House ist der ideale Ort für eine Hergé-Schau. Die klassizistischen Räumlichkeiten erinnern an Kapitän Haddocks Schloss Mühlenhof, einen Schauplatz der "Tim und Struppi"-Bände. "Les aventures de Tintin", wie die Comics im belgisch-französischen Original heißen, erschienen zum ersten Mal 1929 in "Le Petit Vingtième" – der Kinderbeilage einer katholischen Zeitung. Im Pseudonym Hergé stecken die (umgekehrt gesprochenen) Initialen des bei Brüssel geborenen Comiczeichners Georges Remi (1907–1983).

Die kleine, feine Ausstellung "Tintin. Hergé’s Masterpiece" in den Terrace Rooms des Londoner Kulturinstituts folgt der Entstehung und Weiterentwicklung des Comics grob chronologisch, von den ersten Skizzen bis zur Gestaltung der späteren Bände um Tim, seinen Foxterrier Struppi (Milou), den cholerischen Seebären Haddock, das überforderte Detektivpaar Schulze und Schultze (Dupont et Dupond) und viele skurrile Nebenfiguren. Mit diesen Charakteren und seiner unnachahmlichen Erzähl- und Zeichenkunst hat Hergé europäische Comicgeschichte geschrieben. Vergrößerte Motive aus den Bildergeschichten, auf gestreifte Tapeten gedruckt, prägen die Schau. Im dritten Raum ist ein großes Modell von Mühlenhof zu sehen. Pate dafür stand das Loireschloss Cheverny, das Hergé von einer Besucherbroschüre abzeichnete und um die beiden Seitenflügel stutzte. Eine Postkarte, die der Zeichner von einem Kol-legen aus dem Sommerurlaub bekam, zeigt die Inspirationsquelle für den berühmten Kronleuchter aus dem Haddock-Schloss, der aus einem maritimen Steuerruder gefertigt ist und dem Kapitän an einem feuchtfröhlichen Abend auf den Kopf fällt.

Dass der Name Hergé auch mulmige Assoziationen wecken kann, wird im Somerset House nicht unterschlagen. So sind Strips ausgestellt, die er während der deutschen Besetzung Belgiens für "Le Soir" zeichnete. "Le Petit Vingtième" war von den Besatzern eingestellt worden, Tims Abenteuer erschie-nen ab 1940 in "Le Soir", wobei Hergé in Kauf nahm, dass die Zeitung zum Sprachrohr der NS-Propagandaabteilung mutierte. Doch schon frühe "Tintin"-Geschichten gelten heute als hochproblematisch, besonders die 1930 erschienene Story "Tim im Kongo". Die schwarz-weiße Urversion und die farbige Neufassung von 1946 – beide voller rassisti-scher Klischees – dürfen in Großbritannien, den USA und Südafrika seit 2007 nicht mehr vertrieben werden.

Im Verlauf der 30er-Jahre, dank der Freundschaft zu einem chinesischen Bild-hauerstudenten und den Recherchen zum Band "Der blaue Lotos" (1934, farbig: 1946), begann Hergé den belgischen Kolonialismus kritischer zu betrachten. Er war auch kein Nazi-Sympathisant, wie ihm nach 1945 vorgeworfen wurde. Einer, der sich seinen konservativen bis reaktionären Auftrag gebern anpasste, war Hergé wohl schon. Und ein Vermarktungsgenie – das aus seinem Tintin-Kosmos ein florierendes Unternehmen machte. Sein Welterfolg gründete aber vor allem in den Figuren, den Geschichten, seinem Stil der klaren Konturen, der "Ligne claire". Noch Anfang der 80er brachte der schwer kranke Zeichner Skizzen für den posthum erschienenen Band "Tim und die Alpha-Kunst" zu Papier. In seinem Testament verfügte er, dass niemand nach ihm "Tim und Struppi" weiterführen solle. "Tim, das bin ich, wenn ich mal heldenhaft sein möchte", sagte Hergé 1971 in einem Interview, "die Schultzes, das bin ich, wenn ich mich mal blöd anstelle, und Haddock, das bin ich, wenn ich mich zu etwas äußern möchte."