Wie ein Damoklesschwert hängt eine historische Bluttat über der Handlung von Quentin Tarantinos neuem Film. Für Gewaltorgien ist der Regisseur berühmt, Brutalität sieht man in "Once Upon A Time in ... Hollywood" aber auch da, wo eine ganz andere, weniger spektakuläre Geschichte erzählt wird. Als ob die Story im Kopf des Zuschauers Amok liefe. Unerbittlich steuert der Plot auf die Nacht des 9. August 1969 zu, als die hochschwangere Schauspielerin Sharon Tate und vier Besucher des Hauses am Cielo Drive in Los Angeles von Mitgliedern der Manson Family ermordet wurden. Tates Ehemann war der Regisseur Roman Polanski, der in der Blutnacht nicht anwesend war. Die Tat schockierte Hollywood. Bisher hat sich niemand getraut, das Massaker als Filmstoff zu verwenden.
Dabei lebt Hollywood von Gewalt – die im amerikanischen Kino ästhetisiert wird. Vor dem ungefilterten Blick in die Abgründe der US-Gesellschaft ist man im Filmgeschäft eher zurückgeschreckt. So haben sich – bis auf Gus van Sant und Michael Moore – erstaunlich wenige Regisseure kritisch mit den durch US-Waffengesetze beförderten Massakern an Schulen und anderen öffentlichen Orten auseinandergesetzt.
Auch vor 50 Jahren steckte ein Psychopath hinter den Morden: der Rassist Charles Manson, der auf einer Ranch bei Los Angeles eine sektenartige Hippie-Kommune gegründet hatte und seine Jünger zu den Verbrechen aufhetzte. Bis zu seinem Tod im Gefängnis 2017 blieb Manson für rechtsextreme Gruppen eine Kultfigur. Blutig verlor das Flower-Power-Narrativ seine Unschuld. Auch diese Bildstörung passte bisher nicht recht ins Hollywood-Schema.
Degradierter Schurke vom Dienst
"Once Upon a Time in ... Hollywood" – der Titel huldigt Sergio Leone, dem König der Italowestern und Slow-Motion-Massaker – erzählt vor allem von zwei Männern, für die Gewaltdarstellung das tägliche Brot bedeutet. Beide sind fiktive Figuren. Leonardo Di Caprio spielt den zweitklassigen Serienhelden und nun zum Schurken vom Dienst degradierten Rick Dalton, Brad Pitt gibt Daltons Stunt-Double Cliff Booth. Der Film ist zunächst ein Buddy-Movie, das Tarantino immer wieder mit den historisch verbrieften Ereignissen verknüpft und so mit Spannung auflädt.
Während Cliff irgendwo am Rand eines Drive-In-Kinos in einem Wohnmobil lebt, kann sich Rick von seiner Seriengage immerhin ein üppiges Haus am Cielo Drive leisten – in direkter Nachbarschaft zu Polanski und Tate. Sowohl Roman Polanski als auch Charles Manson kommen nur als Nebenfiguren vor. Stuntman Cliff hält auch in schlechteren Tagen zu seinem Freund, den das Saufen seinen Führerschein gekostet hat. Cliff chauffiert Rick in Hollywood herum oder repariert dessen Fernsehantenne.
Der Flirt mit einer Hippie-Frau am Straßenrand bringt Cliff einmal gefährlich nah an Mansons Hippie-Ranch, die Tarantino als Verwahrlosungs-Hölle zeichnet. In der Szene, in der Cliff versehentlich ins Epizentrum des Sekten-Terrors eindringt, passiert eigentlich wenig – verglichen mit den Schrecknissen, die sich in den Zuschauerköpfen abspielen. Das Publikum hinhalten, mit Erzählmustern jonglieren – das hat Tarantino von Hitchcock gelernt.
Alternative Fakten für den Showdown
Seine Darsteller, inklusive zahlreicher Nebenfiguren einer verästelten Handlung, sind großartig. Di Caprio brilliert als weinerlicher, aber sympathischer Hollywood-Absteiger, der gegen seine dümmlichen Drehbuchtexte rebelliert. Pitt verkörpert mit unnachahmlicher Lässigkeit den heimlichen Helden, der mit liebevoller Hingabe seinen Kampfhund füttert, für den abgehalfterten Star den Kopf hinhält und sich für seine Ideale mit Stunt-Kollegen prügelt.
Überraschend wird Sharon Tate (stark: Margot Robbie) zur dritten Protagonistin. Ein Unschuldsengel, der sich in die eigenen Filme setzt und sich kindlich über die erhofften Publikumsreaktionen während der Vorstellung freut. Natürlich möchte man nicht, dass diese reine Seele am Ende ihr Leben lässt. Wer Tarantino-Filme wie "Inglorious Basterds" – in dem Hitler einen gerechten Filmtod in einem brennenden Kino stirbt – oder "Django Unchained" mit seinem finalen Fegefeuer gesehen hat, weiß immerhin, dass der Kult-Regisseur nicht davor zurückscheut, historische Tatsachen für einen effektvollen Showdown zurechtzubiegen.
Auge um Auge, Zahn um Zahn
Was hinsichtlich des Schlusses nicht überrascht, so viel Spoiler muss sein, ist die Tarantino-übliche Brutalität der Darstellung. Trotzdem ist die Gewalt in "Once Upon a Time In ... Hollywood" überraschend knapp dosiert. Auf eine kritische Auseinandersetzung mit der Sucht des Kinos nach Gewalt, mit einem Filmwesen, das sich mit voyeuristischen Schaueffekten auch selbst in der Gewaltspirale suhlt, wartet man allerdings vergeblich.
Solche Filme existieren, Michael Haneke hat sie gedreht. Man findet sie auch bei amerikanischen Independent-Regisseuren. Aber Tarantino will immer nur – spielen. Am Ende bleibt die schlichte, sogar reaktionäre Western-Moral: Auge um Auge, Zahn um Zahn. Falls das ein Kommentar zu zeitgenössischen Exzessen in der Trump-Ära sein soll – ist es viel zuwenig.