Leonardo da Vinci ist schon zu früheren Zeiten in die Mühlen der Politik geraten. Im Jahr 1911 wurde seine "Mona Lisa" aus dem Pariser Louvre gestohlen - der Dieb, ein italienischer Arbeiter, wollte das Gemälde zurück nach Italien bringen. Zu Zeiten des Faschismus wurde Leonardo zum Nationalhelden verklärt. Der Diktator Mussolini initiierte 1936 eine Da-Vinci-Schau, die die Überlegenheit und Größe des italienischen Volkes propagieren sollte. Jetzt, da in Italien eine Koalition aus populistischer Fünf-Sterne-Bewegung und der rechtsradikalen Lega regiert, wird der Künstler erneut instrumentalisiert.
Anlass ist die Schau, die der Louvre 2019 zum 500. Todesjahr des Künstlers zeigen will, der 1452 in Italien geboren wurde und 1519 in Frankreich starb. Das Museum plant eine Großausstellung, die alle Leonardo-Gemälde vereinen und einen Höhepunkt des europaweit begangenen Gedenkjahres darstellen soll. Doch genau daran scheint sich die Regierung in Rom zu stören - sie droht damit, bereits geschlossene Leihverträge mit italienischen Museen aufzukündigen.
Sie halte die Verträge für "eine der schamlosesten Handlungen unserer Vorgängerregierung in Sachen kulturellem Erbe", erklärte Lucia Borgonzoni, Lega-Politikerin und Staatssekretärin im italienischen Kulturministerium, der Londoner Zeitung "The Telegraph". "Wie könnten wir diese Da-Vinci-Werke ausleihen, ohne im Gegenzug ähnlich wichtige Arbeiten für unsere Gedenkausstellungen zu bekommen? Leonardo war schließlich Italiener. Warum leihen sie uns nicht die 'Mona Lisa'?"
Tatsächlich ist der im September 2017 noch vom sozialdemokratischen Kulturminister geschlossene Vertrag so einseitig nicht: Er sieht vor, sämtliche in italienischem Staatsbesitz befindlichen Werke Leonardos an den Louvre zu entleihen, während sich das Museum verpflichtet, im Gegenzug alle in seinem Besitz befindlichen Gemälde Raffaels im Jahr 2020 für eine Jubiläums-Schau nach Italien zu entleihen.
Dass der Louvre hingegen die "Mona Lisa", die Leonardo selbst einst dem französischen König verkaufte, aus konservatorischen Gründen niemals auf Reisen schickt, ist bekannt (die Franzosen haben ein ähnlich empfindliches Gemälde, Leonardos "Anbetung der König aus dem Morgenland", jetzt auch nicht bei den Uffizien in Florenz angefragt). Abwegig ist der Vorstoß der Kulturministerin aber auch deshalb, weil eine museale Neuausrichtung der Jubiläumsfeier so kurzfristig niemals zu stemmen wäre.
In Wahrheit steckt hinter dem Bilderstreit mehr. Seit Regierungsantritt des Rechtbündnisses in Rom befinden sich Italien und Frankreich im diplomatischen Dauerzwist, haben sich Präsident Macron und der italienische Innenminister Mateo Salvini über Fragen der Migrations- und der Finanzpolitik beharkt und beleidigt. Dieser Streit wird jetzt auf dem kulturellen Feld fortgesetzt, das zeigen nicht zuletzt die nationalistischen Untertöne in den Verlautbarungen von Lucia Borgonzoni. "Nationale Interessen haben Vorrang vor der Autonomie der Museen", verkündete die Kulturstaatsministerin. "Wir haben alles gestoppt und nehmen die Angelegenheit jetzt in unsere eigenen Hände", so Borgonzoni weiter. "Frankreich kann schließlich nicht alles haben."
Mit ihrem populistischem Gepoltere liegt Borgonzoni ganz auf Linie ihres Parteichefs Salvini. Der hat früher schon vorgeschlagen, Werke nicht-italienischer Künstler aus italienischen Museen zu verkaufen, um Steuererleichterungen zu finanzieren. Italien steuert auf eine nationalistische Kulturpolitik zu, die die Grundlagen des internationalen Museumsverkehrs missachtet, in der Vergangenheit schwelgt und das Land für die Zukunft isoliert. Dem uomo universale Leonardo hätte das nicht gefallen.