Seit dem Beginn des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine sind die an Russland angrenzende Länder, die einst zur Sowjetunion gehörten, in Aufruhr. Darunter ist auch Georgien, das noch 2008 in militärische Auseinandersetzungen mit der Großmacht verwickelt war. Und obwohl das Land im Kaukasus seine eigenen Konflikte mit Russland hat und die Annexion von Gebieten im Norden des Landes fürchtet, begegnet man auf den Straßen der Hauptstadt Tiflis allerorts Zeichen der Solidarität mit der Ukraine.
Der Fotograf Andreas Hahm-Gerling ist zu Fuß durch die georgische Metropole gestreift und hat Graffiti fotografiert, die in blau-gelben Lettern "End this war!" fordern, "Fuck Putin" skandieren, oder in denen die georgische und die ukrainische Flagge im Zeichen der Freundschaft der Länder verschmelzen.
"Die Solidarität ist sehr breit", beschreibt Hahm-Gerling die Situation vor Ort. "Überall ukrainische Farben: blaugelbe Flaggen, die aus Plattenbauten genauso wie aus den größten Bankgebäuden gehängt werden, Blumentöpfe in den Farben der Ukraine, Geschäfte, die blau-gelbe Blumengebinde anbieten – und loswerden."
Bedrohung von Norden
2008 war die Situation zwischen Georgien, das im Süden und Osten an die Türkei, Armenien und Aserbaidschan grenzt, mit seinem russischen Nachbarn im Norden eskaliert: Georgische Gebiete im Südkaukasus hatten ihre Unabhängigkeit erklärt und waren in ihrem Vorhaben von Russland unterstützt wurden, das zuvor eine Annexion angestrebt hatte.
Was folgte war der sogenannte Kaukasuskrieg. Trotz des offenen Konflikts Georgiens mit dem einstigen Mutterstaat können russische Staatsbürger ohne spezielle Visa bis zu einem Jahr lang im Land bleiben – ein Angebot, das vor allem von Wehrdienstverweigerern und russischen Dissidenten, die in Georgien Zuflucht suchen, angenommen wird.
Entsprechend richtet sich die Wut auch nicht gegen die Russinnen und Russen in Tiflis, sondern gezielt gegen Putin und das russische Militär: "Was deutlich wurde: Die Georgier differenzieren zwischen Putin, Russland als Agressionsmacht und den einzelnen Menschen. Es gibt also keinen pauschalen Russen-Hass, sondern die Ablehnung ist klar gegen das Regime und die Armee gerichtet."
"Das ukrainische Beispiel gibt Mut"
Doch obwohl es vor allem Pro-Ukraine-Graffiti sind, denen man auf den Straßen Tiflis' begegnet, sind vereinzelt auch Pro-Putin-Schriftzüge zu lesen. Diese sind jedoch nach Einschätzung des Fotografen "nicht von immigrierten Russen, sondern von Kräften, die es auch hier in Deutschland im rechten Umfeld gibt."
Angesichts des Krieges in der Ukraine, der seit nunmehr neun Monaten anhält, ist den Menschen in dem Land am Schwarzen Meer die heikle Lage, in der auch sie sich befinden, bewusst. Doch statt mit Einschüchterung begegnet man in Tiflis der Bedrohung mit Trotz: "Mein Eindruck ist, dass die Georgier sich zwar Sorgen machen, ihnen das ukrainische Beispiel aber Mut gibt", erzählt Hahm-Gerling. "War früher der Respekt vor der Macht Russland groß, scheint jetzt so etwas wie Partisanen-Courage aufzukommen, verbunden mit einem wachsenden Selbstbewusstsein. Das zeigt meiner persönlichen Einschätzung nach, dass die Stimmung auch in Richtung der besetzten Gebiete Georgiens von Furcht in stolzen Widerstandswillen umschwenkt."