Die Corona-Pandemie als stille Zeit der Einkehr warzunehmen, ist ein Privileg, das nur den Menschen zuteil wird, die nicht unmittelbar in der Medizin oder im Versorgungssektor arbeiten und durch das Herunterfahren der Wirtschaft nicht existenziell bedroht sind. Während der Zeit des Lockdowns wurde sehr deutlich, was wir in einer Krise brauchen - und was eben nicht. Promi-Kultur zählte zu den Dingen, die sich während der Aussetzung von Events, Konzerten, Galas und Filmvorführungen ziemlich schwertat, sich in den veränderten Alltag der Menschen einzubringen. Das weltweite Charity-Wohnzimmer-Konzert geriet eher unangenehm schrammelig, und die Solidaritäts-Botschaften der Stars aus ihren Mega-Villen klangen insgesamt ziemlich schal und anmaßend.
Auch die US-amerikanische Fotografin Annie Leibovitz musste sich in der Corona-Pandemie neu sortieren, denn ihre Arbeit lebt zum großen Teil vom globalen Promi-Auflauf, aus dem sie intensive und glamouröse Bilder destilliert. Eindringliche Porträts von Models, Schauspielern und Denkerinnen haben die 70-Jährige weltberühmt gemacht. Den Begriff "Celebrity" mag sie jedoch gar nicht so besonders, wie sie kürzlich der "Financial Times" sagte. Die Corona-Pause hat die Künstlerin in ihrem Haus auf dem Land verbracht - wie gefühlt alle Städter, die es sich leisten können. In der einsamen Umgebung flammte ihr Interesse für Stillleben wieder auf. In einem persönlichen Projekt war Leibovitz vor zehn Jahren durch die USA und Europa gereist und hatte sich über Dinge und Landschaften historischen Persönlichkeiten genähert, die ihr etwas bedeuten. Die Serie zeigt Virginia Woolfs Schreibtisch, Emily Dickinsons Herbarium, Georgie O'Keeffes Schlangenskelett oder ein Vogelpräparat von Charles Darwin.
Auch in ihrem Corona-Refugium begann die Fotografin schließlich, Stillleben aufzunehmen. Ein Fenster mit blauer Dämmerung davor, ein Besen ohne Stiel im Schuppen, ein toter Vogel, ein halbfertiges Puzzle von John William Waterhouses "Lady Shallot". Plötzlich unterschiedet sich der Alltag einer weltberühmten Fotografin dann doch nicht mehr so gravierend von dem eines weniger kosmopoliten Menschen.
Wo die Bilder dann gezeigt werden, ist dann doch wieder ziemlich exklusiv. Die Galerie Hauser und Wirth führt die älteren Stillleben von Annie Leibovitz mit den neuesten Aufnahmen aus der Quarantäne in einer Online-Ausstellung zusammen und widmet sich auf diese Weise dem Interesse der Fotografin an Porträts ohne Menschen. Den Druck "Upstate" (Auflage 100 + 14 AP) mit einer Auswahl von Motiven aus der Corona-Isolation gibt es für 1000 US-Dollar zu kaufen. Die Erlöse werden laut Galerie zu gleichen Teilen an die Initiative "Black Lives Matter", die "Equal Justice Initiative" und den "Covid-19 Solidarity Response Fund" der Weltgesundheitsorganisation WHO gespendet.