Bitten Stetter, der Markt für Neugeborene boomt, Eltern geben jedes Jahr Milliarden für Anschaffungen rund ums Baby aus. Wie sehen die Produkt- und Designangebote am Lebensende aus?
Genau das ist die große Frage, die ich mir selber gestellt habe. Da zeigt sich nämlich ein absolutes Vakuum, vor allem im privaten Bereich am Lebensende. Es ist erstaunlich, dass, wie Sie sagen, von der Geburt an eigentlich jeder Bereich segmentiert und ausgestaltet ist. Und dann entsteht in der letzten Lebensphase eine Leerstelle, und wir können eigentlich nur auf Pflege-Onlineshops zurückgreifen. Von Nachhaltigkeit, von schönen Materialien oder Individualisierung ist da wenig zu spüren. Unser gesamtes Leben ist auf Individualisierung getrimmt, aber das Sterben als Lebensphase wird von uns als Gesellschaft komplett ausgeklammert. Selbst der Tod ist gestaltet, von nachhaltig gestalteten oder ökologisch abbaubaren Urnen bis zur Auswahl der Blumen auf der Trauerfeier. Da gibt es Tausende Angebote, für die Zeit davor sieht es ästhetisch aber mau aus. Mit ästhetisch meine ich einen hautsinnlich wahrnehmbaren Zugang zur Welt. Dabei sind ja Geburt wie Sterben ähnlich fragile Phasen, in denen wir auf andere Menschen und Hilfsmittel angewiesen sind.
Hat sich der Umgang mit dem Sterben geschichtlich betrachtet verändert? Waren wir früher besser darin, mit Alter und Sterben umzugehen?
Ja, weil wir mit der Fragilität des Lebens viel früher in Berührung gekommen sind. Schon die Geburt war ein gefährlicher Akt, für die Kinder wie für die Mütter. Und auf der anderen Seite sind die Menschen natürlich auch zu Hause gestorben. Das Sterben war noch nicht ausgelagert in Heime, Krankenhäusern oder Hospize, sondern es stand im Mittelpunkt des Lebens. Die kranke Großmutter hat im Wohnzimmer gelegen und war für alle sichtbar. Auch die Nachbarschaft ist gekommen und hat Abschied genommen, zu Lebzeiten. In der Antike hat man sogar davon geredet, vom Sterben zu lernen – als Praxis für das Leben. Das hat sich durch die Institutionalisierung des Sterbens komplett verändert. Wir wissen eigentlich gar nichts mehr über diese Lebensphase. Als ich auf der Palliativstation arbeitete, wurden mir Fragen gestellt wie: Darf ich den Menschen noch berühren? Das zeigt eine totale Entfremdung.
Und dieser Entfremdung wirken Ihre Designobjekte entgegen?
Ich denke, dass wir eine neue Sterbekultur entwickeln müssen, in denen es um Würde, Wohlbefinden und (Selbst-)Fürsorge geht. Alter oder Krankheit schränken den Handlungsradius der Patienten ein, aber es gibt schon noch Dinge, über die sie entscheiden können. Ein einfaches Beispiel: Wenn wir nur die Farbe des Patientenhemdes auswählen könnten, gäbe uns das schon ein Gefühl von Autonomie. Der eine Ansatz ist es also, durch neue Produkte in die Institutionen hineinzuwirken. Darüber hinaus habe ich mir aber auch die Frage gestellt, wie wir den Umgang mit Sterben oder Fragilität lernen können, wenn sie uns nicht im Alltag begegnen. Indem ich Designprodukte schaffe, die außerhalb des medizinischen Fachhandels oder der Institutionen erhältlich sind, kann ich in die alltägliche Lebenswelt hineinwirken. Wenn wir im Supermarkt oder im Designgeschäft eine Babyflasche sehen, verstehen wir intuitiv: Das Baby kann noch nicht allein trinken, es braucht Hilfsmittel. Und wenn wir dort mit der gleichen Selbstverständlichkeit auch Objekte für Sterbende sehen, beginnen auch diese Objekte mit uns zu kommunizieren.
Zum Beispiel?
Nehmen wir Mundpflegestäbchen, die man braucht, weil man am Lebensende kaum noch isst, die Mundflora aber trotzdem gereinigt werden muss. Das ist für Angehörige oder Pflegende nicht nur ein medizinisches, sondern eigentlich ein soziales Objekt – wie ein Streicheln. Aber niemand kennt es, man kann es nur im Hunderterpack im Fachhandel kaufen, es ist als Produkt quasi unsichtbar.
Im Lebenszyklus sind die Kindheit und Alter in vielerlei Hinsicht komplementäre Phasen, aber während beim Kind alles in Richtung Zukunft geht, ist man beim Alter mit Verfall konfrontiert. Das verursacht bei vielen Angehörigen vielleicht ein Gefühl von Angst oder auch Ekel.
Sicherlich, aber darum ist es ja auch meine Hoffnung, dass man solche Gefühle durch fürsorgliches und nachhaltiges Design überwinden kann. Das Windelwechseln bei Kindern ist ja auch nicht eben die schönste Sache der Welt, aber dennoch umspielt das Ganze ein ganz anderes Setting, eine ganz andere Atmosphäre, die von den Produkten ausgesendet wird. Das besagte Mundpflegestäbchen muss ich aus so einer Plastikhülle herausnehmen, was medizinisch, denken wir an Zahnbürsten, gar nicht zwingend notwendig wäre. Dadurch wirkt alles schon so antiseptisch und irgendwie fremd, und das prägt unseren Zugang zur Fürsorge am Lebensende.
Können Sie einige Produkte nennen, die Sie entworfen haben?
Anfangs war meine Perspektive auf das Lebensende gerichtet, also nicht auf Fragilität, sondern auf das Sterben. Dabei habe ich aber gemerkt: Es geht gar nicht um das Lebensende, sondern es geht um eine Lebensreise, auch durch fragile Zeiten. Denn es handelt sich ja um einen Prozess: Wir kommen ins Krankenhaus, gehen wieder nach Hause, kriegen dann vielleicht mal die Spitex, müssen dann wieder ins Krankenhaus. Es ist eine Reise. Wir sind viel unterwegs, und dementsprechend sind jetzt immer mehr meiner Produkte so gestaltet, dass sie an verschiedenen Orten ihre Wirkung entfalten. Ein Produkt ist ein Baldachin den ich gemeinsam mit Pflegenden im Co-Design entwickelt habe, er referenziert auch auf den Lebensanfang, verändert die Atmosphäre in Raum und sorgt für ein Gefühl von Geborgenheit. Neben dem Baldachin habe ich auch eine textile Betttasche entworfen, die man am Bett festmachen kann und darin Sachen wie Brille, Handy, Buch, Notizbuch, Stifte verstauen kann. Sie ist weich wie ein Kissen und gleichzeitig funktional. Alle Produkte ist eine kleine Anleitung beigelegt, um Wissen zu vermitteln und Anregungen zu geben. Meine Forschung im Rahmen des Forschungsprojektes Sterbesettings, gefördert vom Schweizer National Fonds, hat ergeben, dass der Nachttisch als Aufbewahrungsort viele Probleme verursacht. Er ist entweder auf Grund von körperlicher Schwäche nicht erreichbar oder zu weit weggeschoben. Oder er ist voll mit Arzneimitteln oder mit Essen. Man weiß gar nicht, wo man seine Sachen lässt, wie man seinen Lebensraum auf zwei Quadratmeter Bett organisiert. Das kann für alle Beteiligten zu schlechter Stimmung, Gereiztheit, Stress führen.
Klingt nützlich. Haben Sie bitte noch ein Beispiel?
Ein zweites Produkt heißt Travelwear. Das ist ein Kleidungsstück, was ich auch in gesunden Zeiten tragen kann, als Kimono oder als Morgenmantel. So gewöhne ich mich an das Stück, verbinde damit positive Erinnerungen, wenn ich es zum Beispiel mal am Strand anhatte. Dreht man das Stück um, hat es alle Eigenschaften eines Pflegehemdes. Was viele Patienten beklagen, ist die Kontrolle über den Popo zu verlieren, wenn sie ein typisches Spitalhemd tragen, daher hat mein Modell mehr Stoff, und man kann die Öffnung am Popo auch verschließen. Wir versuchen bewusst, dieses Produkt mit dem Lebensanfang in Verbindung zu bringen, denn man kann es auch bei der Geburt des Kindes mit ins Spital nehmen. Es ist ein Lebensbegleiter, auch im Sinne der Nachhaltigkeit. Wir nehmen ihn zu uns, wenn wir in benötigen und verstauen ihn in einer Nackenrollen-Tasche, für den Transport.
Wie sind Sie als Modedesignerin dazu gekommen, sich mit den Themen Tod und Sterben auseinanderzusetzen?
Ich bin Modedesignerin und habe eine Professur an der Züricher Kunsthochschule im Bereich Trends & Identity. Mode ist ein Seismograf für gesellschaftlichen Wandel und auch für die persönliche Auseinandersetzung mit Fragen der Identität, und ich denke, dass in diesem Zusammenhang die Auseinandersetzung mit Endlichkeit zwingend notwendig ist. Hinzu kamen für mich private Gründe. Ein Mensch in meinem engen Umfeld ist verstorben, und ich habe diesen Prozess über vier Jahre begleitet. Dabei habe ich mich oft in Krisen-Situationen wiedergefunden, wo ich als Designerin gedacht habe: Das könnten wir doch jetzt anders gestalten! Warum guckt hier keiner genau hin? Natürlich sprechen wir von einer Zeit, die vielleicht auch Scham behaftet ist, wo es vielleicht auch mal stinkt oder ein bisschen unkomfortabel ist. Aber es ist dennoch eine Zeit, die uns verbindet, schon weil wir sie alle erleben werden – und bestenfalls in sozialen Kontexten.
Die Pflege eines Angehörigen verursacht oft auch ein Gefühl der Unsicherheit. Man vertraut auf die Expertise der Pflegeeinrichtungen, die ja auch eine gewisse Autorität haben, während man selbst sich der Situation nicht gewachsen fühlt.
Diese Unsicherheit habe ich in vielen Stunden des Am-Bett-Sitzens gespürt, und sie hat mich sehr belastet, gerade weil sie oft auf Nichtwissen beruht. Der Patient oder die Patientin ist verunsichert, weil vieles nicht mehr klappt, was vorher normal war. Der Angehörige ist unsicher, weil er mit der Hilfsbedürftigkeit nicht umgehen kann. Die einzigen, die wissen wo es langgeht, sind die Pflegenden, die aber aufgrund von Personalmangel und Überarbeitung oft nur in Krisensituationen reagieren können und gar nicht die Zeit haben, diese verängstigten Angehörigen auch noch vollumfänglich zu umsorgen. Das ist kein Vorwurf an das Pflegepersonal, sondern das gibt unser System einfach nicht her. Dabei ist auch zu beobachten, wie sich Angehörige und Betroffene gegenseitig schützen wollen und dieser vermeintliche Schutz zur absoluten Sprachlosigkeit führt. Der Betroffene weiß, wie es um ihn steht, er spürt ja seine Vergänglichkeit, will aber den Angehörigen nicht belasten. Der Angehörige wiederum will dem Betroffenen nicht sagen, dass es keine Hoffnung auf Heilung gibt, und dann ist kein Gespräch möglich. Vor diesem Hintergrund habe ich auch ein Würfelset mit Fragen entwickelt – einfach, damit man ins Gespräch kommt. Dieses wurde nun gemeinsam mit Palliative Vaud schon für die französische Schweiz übersetzt, was mich sehr freut.
Was für Fragen sind das zum Beispiel?
Das reicht von Fragen, die zum Gespräch über Erinnerungen anregen sollen, über Themen wie Patientenverfügungen bis hin zu weltanschaulichen, spirituelle Fragen. Oder eben organisatorische Fragen, welche Menschen ich überhaupt bei mir haben möchte, in welchen Atmosphären ich mich bewegen möchte und was für jeden ganz persönlich Lebensqualität und Selbstbestimmung bedeuten.
Sie sprachen vorhin schon die Mängel unserer Gesundheitssysteme an. Ist ein besseres Sterbedesign auch eine Frage des Geldes?
Mit Sicherheit, aber die Kosten hängen ja immer auch mit den Stückzahlen zusammen und bei einer großen Auflage wäre vieles sicherlich finanzierbar für die Institutionen. Ich glaube, da kommt noch etwas anderes dazu, und das ist die Sorge vor Veränderungen. Es ist ja schon absurd, dass wir global das gleiche Pflegehemd kriegen. Wir sehen das ja nicht nur in der Schweiz, wir sehen es im Tatort, bei CSI, in jeder dieser Serien, dass im Krankenhaus jeder das gleiche Hemd mit dem gleichen Muster anhat. Wenn wir uns die Menüpläne in den Krankenhäusern anschauen, wo man jetzt auch etwas Veganes bestellen kann, sieht man, dass der Druck zu Veränderungen möglicherweise von unten kommen muss. Vielleicht sind es also einfach wir als Patienten und Patientinnen und Angehörige, die ihre eigenen Sachen mitbringen müssen. Genauso, wie wir uns eine Jogginghose kaufen, um Sport zu machen und damit gesünder zu leben, sollten wir uns auch mit Dingen, die uns Wohlbefinden schenken, auf die letzte Phase unseres Lebens vorbereiten. Mit finally. wollen wir dafür sensibilisieren und dazu anregen, Sterben als Teil unserer Natur zu betrachten.