Stephen Shore ist einer der bedeutendsten lebenden Fotografen. Das kann man mit allerbestem Gewissen sagen, ohne dabei zu übertreiben. Seine Biographie liest sich wie eine dieser Geschichten, die man nur glaubt, weil man weiß, dass sie wahr ist. Als er 14 Jahre alt war, kaufte das New Yorker Museum of Modern Art drei seiner Fotografien. Weil der junge Shore sich dachte, er könne ja mal dem damaligen Kurator Edward Steichen, seine Arbeiten zeigen. Mit 17 Jahren lief er Andy Warhol über den Weg und dokumentierte schon bald das Leben in der Factory. Mit nicht einmal 24 Jahren dann hatte Shore eine Einzelausstellung im Metropolitan Museum of Art, als erster lebender Fotograf wohlgemerkt.
Wer jetzt denkt, ach, eine dieser Bilderbuchkarrieren begünstigt durch ein paar glückliche Zufälle – weit gefehlt! Shore ist dort, wo er heute ist, aktuell mit einer Retrospektive im Museum of Modern Art, weil er sich nie mit dem zufrieden gab, was er schon erreicht hat. Nachdem er sich als einer der Pioniere der amerikanischen Farbfotografie in den 70er-Jahren neben William Eggleston, Joel Sternfeld und Joel Meyerowitz einen Namen gemacht hatte, hätte er sich zurücklehnen können. Das kam für ihn nicht in Frage.
Seit 2014 ist er aktiv auf Instagram, dafür musste er einiges an Kritik einstecken. Was tut er da? Will er cool sein? Hat er Angst, den Anschluss zu verlieren? Zuletzt wurde diese Kritik in der New York Times formuliert. Spät im Leben, mit 70 Jahren quasi im 5. Akt, mische sich Shore unter die Instakids, sei voll dabei: "do it for the 'gram", wie man so schön sagt, steht dort. Und wer das hinterfragt, so der Autor, muss sich als technologiefeindlich betrachten? Shore lässt sich von Kritik nicht irritieren und postet einfach weiter fast jeden Tag ein Bild.
Instagram, sein Account, das betont er seit Jahren immer wieder, ist sein neues Werk. Nach über drei Jahren aber, in Internetjahren eine halbe Ewigkeit, könnte langsam, besser wäre natürlich schnell, etwas Neues kommen. Grasbüschel haben wir langsam wirklich genug gesehen.
Von seinen Hunden und Katzen bekomme zumindest ich nicht genug, aber das ist ein anderes Thema.
Und wir haben auch verstanden, dass seine Bilder auf Instagram aussehen sollen, wie von irgendwem gemacht. Wie damals, als er in den 70er-Jahren auf seinen Roadtrips durch Amerika jedes Essen, jede Toilette und jedes Bett fotografierte und Fehler einbaute, damit der Eindruck entstehe, ein Amateur sei am Werk, ein Tourist vielleicht. Shore sprach von snapshotness, also Schnappschüssen, nur gab er sich damit besonders viel Mühe.
Auf Instagram kann er inhaltlich und stilistisch an sein Projekt "American Surfaces" anschließen. Er dokumentiert wieder Alltägliches und Banales. Das besonders gern, wenn er mit seinen Hunden Gassi geht und sein Blick unten bei ihnen am Boden ist. Er macht sich visuelle Notizen, teilt sie auf Instagram, wie sein Nachbar oder meine Mutter. Zack, beiläufig mit dem iPhone etwas einfangen und unbearbeitet posten. Aber, wie auch Jörg M. Colberg, Assistant Professor für Fotografie an der Hartford Art School/University of Hartford, über den normalen Instagram-Nutzer sagt: "Irgendwie besser. Sieht echter aus. Überzeugender."
Zum Beweis: Nicht @stephen.shore, sondern die Mutter der Autorin, @ga_mei auf Instagram.
Shore hat wahnsinnigen Spaß im sozialen Fotonetzwerk. Auf der Website des MoMa erzählt er erneut, warum er es so mag:
"But also, in Instagram, I'm fascinated by the visual communities that develop. I find it very satisfying that they're a group of people who look at each other's work every day, and they're all over the world. And when I do meet people that I look at regularly on Instagram, I have a feeling that we're friends, that I know them well."
Das alles ist natürlich unglaublich reizend. Er antwortet auf Instagram ja auch wirklich auf Kommentare oder schaut sich andere Accounts an, wenn er irgendwo darüber stolpert und kommentiert dann mit Sternchen-Emojis.
Shore sagte einst: "Ich unterscheide zwei Gruppen von Fotografen: diejenigen, die von einer einzigen Idee über Jahrzehnte vorangetrieben werden, wie Atget oder die Bechers. Und andere, die sich in unterschiedlichen Stilphasen immer wieder neu erfinden." Man muss also gar nicht technologiefeindlich sein, man muss nur an den "restless reformer" denken, wie er in der NYT genannt wird. Es ist an der Zeit, dass er sich wieder neu erfindet, gerne auch auf Instagram.