Wenigstens Shia LaBeouf war ergriffen. Am Ende der Premiere von "Man Down" verbarg der Star des Films das Gesicht in den Händen. Dann hob er den Kopf und man sah ein tränennasses Gesicht in der Sala Darsena. Oder war das eine Fortsetzung der Performance, vor der Leinwand? Der Film über einen traumatisierten Afghanistan-Krieger war Action-Dutzendware mit einem – zugegeben – unerwarteten Twist. Wen das rührselige Finale im zweitgrößten Kino am Lido wirklich rührte, war kaum auszumachen: Scheinwerfer und Aufmerksamkeit waren auf den aufgelösten LaBeouf gerichtet. Das muss auch so sein, denn ohne Starpower würde ein A-Festival wie das in Venedig seine internationale Ausstrahlung verlieren.
Also: Super, dass Tilda Swinton – sie badet in der Menge wie die von ihr in "A Bigger Splash" verkörperte Rock-Diva – auf dem roten Teppich steht, in Ordnung, dass ein Filmchen wie ihrer im Wettbewerb läuft. Allerdings sind in der Löwensparte dieses Jahr arg viele "Okay"-Filme aufgestellt. Einer von den besseren darunter: "A Danish Girl" um einen transsexuellen dänischen Maler in den frühen 20ern. Es handelt sich zwar um ein Mainstream-Drama, aber das Thema ist alle Aufmerksamkeit wert. Und der Hauptdarsteller fantastisch: Eddie Redmayne – der schon als Stephen Hawking in "Die Entdeckung der Unendlichkeit" Sensation machte – schafft es, zwei Charaktere plastisch zu gestalten: Den gutsituierten Künstler Einar Wegener (der wirklich gelebt hat) und die junge Lili Elbe, die in ihm steckt und raus will aus dem lästigen Männerkörper.
Kurzum: So ein Film musste in den Wettbewerb. Wohin eigentlich auch "The Childhood of a Leader" gehört hätte. Der Film über einen kleinen Jungen, der einmal ein gefürchteter Diktator werden wird, zählt zu den erstaunlichsten Entdeckungen der "Orrizonti"-Sektion. Sein Regisseur heißt Brady Corbet und hat selbst in Serien und Filmen mitgespielt ("Funny Games U.S", "Melancholia", "Die Wolken von Sils Maria"). Corbets Regiedebüt basiert lose auf einer Erzählung von Jean-Paul Sartre und hat das, was allen bisherigen Wettbewerbsfilmen fehlt, man könnte es "fiktionale Grauzone" nennen. Wo andere straight ihren Plot oder ihr Thema durchboxen und mehr oder weniger gelungene ästhetische Lösungen dafür finden, bleibt bei Corbet ein schöner Rest Ratlosigkeit, etwas Schwammiges, das einen fasziniert, man aber nicht ausdeuten kann.
Der Film spielt am Ende des Ersten Weltkriegs, die Familie eines amerikanischen Diplomaten lebt in Frankreich. Das "Dritte Reich" ist am Ende, der Familienvater ist am Versailler Vertrag beteiligt. Auf seltsame Weise scheint der kleine, egozentrische Sohn Deutschland zu personifizieren (und in einer fiktiven Zukunft eine Art neuer Hitler zu werden). Der Versuch des Vaters, ihn mit brutalen Erziehungsmaßnahmen in die Knie zu zwingen, scheitert. War das im Fall von Deutschland und den Siegermächten 1918 nicht ähnlich? Bérénice Bejo – die gefeierte Hauptdarstellerin von "The Artist" – brilliert als Mutter, die sich zwischen Strenge und Laissez-Faire nicht entscheiden kann. Statt beim Schlussapplaus zu heulen – offenbar Spezialität ihres Kollegen LaBoeuf – lächelt sie nur. Was für eine schöne Frau – und starke Schauspielerin!