Abwesenheitsnotiz: Amélie Esterházy

St Ives, ich komme wieder!

Was machen Künstler im Sommer? In unserer Serie "Abwesenheitsnotiz" bitten wir um ein Lebenszeichen. Amélie Esterházy findet in Cornwall Hobbits, Kobolde und Elfen

An einem grauen Berliner Herbstabend sitze ich in Neukölln im Nathanja und Heinrich. Kerzen erleuchten die Bar. Von draußen klatscht der Regen an die Fenster. Mein Handy leuchtet Blau auf, eine Email von Anne Schwanz und Johanna Neuschäffer, den Gründern von Office Impart. Die beiden hatten mich zu einer Residency vorgeschlagen und nun plötzlich die Nachricht: Es hat tatsächlich geklappt! 

Fünf Monate später. Ich öffne die Fenster, um die Wärme des vergangenen Tages raus- und das Rauschen des Meeres herein zu lassen. In einem leeren Studio nehme ich auf dem Sofa Platz, lese, denke nach, schaue hinaus auf den Atlantik und lasse den Blick in die Endlosigkeit schweifen. Über drei Monate stapeln sich Bücher, Materialien, und es entstehen neue Arbeiten. Ein Traum ist zu meiner Realität geworden. Ein Studio direkt am Atlantik in den Porthmeor Studios and Cellars in St Ives, Cornwall, auf Einladung des Borlase Smart John Wells Trust

 

Cornwall ist der westlichste Zipfel Englands und liegt als Halbinsel mitten im Atlantik. Neben dem Meer ist der Wind das dominierende Element. Flora und Fauna scheinen sich davor zu verneigen, die Bäume und Sträucher in der kargen Landschaft krümmen sich Richtung Küste. Ihre bizarre Form ist einzigartig und zugleich so charakteristisch für diesen Küstenstrich des Vereinigten Königreichs.

 

Hier in meinem Studio haben schon Francis Bacon, Patrik Heron, Ben Nicholson und Wilhelmina Barns-Graham (durch deren Nachlass mein Stipendium finanziert ist) eben diese Wärme aus ihren Ateliers gelassen – und beim Arbeiten auf die gleiche Horizontlinie geschaut.

Ich stelle mir vor, wie Barbara Hepworth von ihrem Studio die wenigen Meter durch die verschlungenen Gassen von St Ives hinuntergeht, um ihren damaligen Mann, Ben Nicholson, in den Porthmeor Studios zu besuchen, wie sie sich aufs Fensterbrett setzt, ihren Blick auf den Atlantik richtet. Hepworth war die Grande Dame von St Ives. Ihr damaliges Studio kann bis heute im Originalzustand besichtigt werden

Außerhalb von St Ives bevölkern wild aussehende Kühe hügeliges Weideland. Auf schmalen, von uralten moosbewachsenen Steinmauern gesäumten Straßen, haben Kühe in Cornwall stets Vorfahrt. Hobbits, Kobolde und Elfen feiern  bei Neumond hier zwischen Monolithen (von unbekannten Mächten aufeinandergetürmte Steine) wilde Partys. Irgendwo mitten in der Landschaft lässt sich sogar ein prähistorisches Meme finden: LOL. Der Instagram-Post muss allerdings warten. Mobiles Netz ist zumeist rar. 

 

Manchmal liegt der Nebel schwer auf dem Land und die Sonne wirft gespenstisch lange Schatten, bevor sie im Meer untergeht und alles in feuerrotes Licht taucht.

 

Das ist die perfekte Zeit für einen Sundowner im Studio mit Veronica Ryan und Jonathan Michael Ray. Veronica ist Britin, lebt aber in New York und hat als sogenannte "Established Artist" auch eine Residency hier. Sie hat das vermutlich ansteckendste Lachen zwischen St Ives, Berlin und New York. Jonathan ist mit seiner Frau Hannah nach Jahren in Kanada und Kalifornien gerade hier hergezogen und ebenfalls auf Einladung der Porthmeor Studios in St Ives. Zusammen mit Lucy Frears und Chris Hibbert, Herz und Seele des Residency Programs und der Studios, kutschieren wir in einem leicht verbeulten Auto alle zusammen durch die Kunstwelt Cornwalls. 

Ausstellungen, Lesungen, Vorträge und Workshops. Dieser äußerste Zipfel Englands bietet ein kulturelles Programm von Weltrang. Hier ein paar Beispiele:  in der Newlyn Gallery & The Exchange stellt der Kurator Blair Todd die Malerin Rose Wylie aus. Die 84-Jährige wird für ihren expressiven Duktus gefeiert. Ihre wahnsinnig coolen und humorvollen Bilder beeindrucken mich so sehr, dass ich kurz mit dem Gedanken spiele, selbst Malerin zu werden (aber nur sehr kurz). 

Teresa Gleadowe holt mit ihrer Ausstellungsreihe "Groundworks International Art in Cornwall" echte Hochkaräter in die Region und präsentiert diese an den kuriosesten Orten: Simon Starlings Film "Black Drop" läuft im Schatten riesiger, rostender Satellitenschüsseln auf dem ehemaligen Hochsicherheitsgelände der  Goonhilly Earth Station. Bei Gezeitenwechsel lässt Rosemary Lee auf dem Par Beach 50 Frauen tanzen. Janet Cardiff zeigt ihre Soundinstallation "Forty Part Modet" in einer verlassenen Kapelle in Pencance. 

Die Tate besitzt in St Ives ihr eigenes Museum, gerade einmal zwei Minuten zu Fuß von meinem Studio. Ihrem damaligen Direktor Marc Osterfield habe ich unter anderem mein Stipendium zu verdanken. Die Sammlung der Tate zeigt alle bedeutenden, vormals in St Ives tätigen Künstler – sowie die wichtigsten Vertreter der Moderne. Zeitgenossen werden in wechselnden Ausstellungen präsentiert. Erst dieses Jahr nahmen die beiden Leiter der Tate, Marc Osterfield und Anne Barlow, dafür den Preis für das Art Fund Museum of the Year 2018 entgegen. Ich wünschte, ich könnte für immer hier bleiben. Doch in Berlin bin ich zu Hause.  

Drei Monate später.

An einem strahlenden Sommertag sitze ich im Nolas, im Weinbergspark in Mitte. Der Sommer die Stadt bereits seit Monaten fest im Griff. Anne und Johanna sitzen mir gegenüber, wir trinken Eiscafe und schmieden gemeinsame Pläne: Im Februar eröffnet die Tate/St. Ives das Kunstjahr 2019. Gemeinsam mit Jonathan Michael Ray und Office Impart planen wir eine eigene Ausstellung. In den Porthmeor Studios, parallel zum Start in der Tate. Und mir wird klar: St Ives, I’ll be back!