Das Rad ist ab. Erst waren die gelben, blauen, grünen und roten Gondeln dran, das konnte man noch aus der Ferne sehen. Dann wurde der restliche Metallschrott abmontiert, Speiche für Speiche, immer eine pro Stunde. Und nun ist das Riesenrad verschwunden, das gefühlt schon immer die Baumwipfel des Plänterwalds überragt hatte.
Auf der Baustelle und hinter dem Zaun schwelgt in Erinnerung, wer eben gerade zuschaut, und so ziemlich alle haben eine Geschichte parat. Vom ersten Date, damals, kurz nach der Wende, und vom Kuss im Schwanenboot. Von der großen Aufregung vor der ersten Achterbahnfahrt als Kind Ende der 1990er. Oder dem kleinkriminellen Adrenalinkick bei der letzten Fahrt in einer der Gondeln, nachts, heimlich, als der Freizeitpark längst geschlossen war und nur der Wind das Riesenrad drehte. Unauffällig werden alte Fotos und Videos herumgezeigt. Sie dokumentieren die schrittweise Verwahrlosung des legendären Vergnügungsparks.
20 Jahre ist der Spreepark im Plänterwald nun schon geschlossen. Zuvor hatte sein Betreiber Norbert Witte noch weitere knappe 20 Jahre versucht, den alten Kulturpark in ein Erfolgsmodell nach westlichem Vorbild zu verwandeln. Er hatte die Asphaltflächen in eine Wasserlandschaft umgestaltet und das Gelände mit Riesenrad und Achterbahn um etliche Fahrgeschäfte und Attraktionen bereichert. Doch nie kamen genug Besucher, um die Kassen halbwegs zu füllen, der chronische Geldmangel führte in die Insolvenz – und Witte legte seinen filmreifem Abgang hin.
Er ließ das Land Berlin und seine Gläubiger auf ein paar Hundert Millionen Mark Schulden sitzen und setzte sich nach Südamerika ab. Mitsamt seinen Fahrgeschäften. Um erst in der peruanischen Hauptstadt Lima gleich den nächsten Freizeitpark aufzubauen und an die Wand zu fahren. Und dann bei der Rückführung nach Deutschland mit ein bisschen Koks aufzufliegen. Irgendetwas zwischen 160 und 200 Kilo entdeckte der Zoll in Wittes Fahrgeschäften. Eine handelsübliche Radkappe reichte da nicht. Da musste schon so etwas wie ein Riesenrad her.
Am Ende fackelten Brandstifter das Gelände ab
Seitdem war der einst einzige Freizeitpark der DDR nur noch ein beliebter "Lost Place" für hippe Fotoblogger und Influencerinnen, um das gespenstisch quietschende Riesenrad zu filmen, ein Selfie aus dem Kaffeetassenkarussell zu posten oder die Fassade des Englischen Dorfs und ein paar Pappmaché-Dinos zu bemalen. Oder um sich bei der Flucht vor der Security über den Zaun einen Finger abzureißen. Der Kulturpark Plänterwald: ein medientauglich vermoosender Mythos unserer Popkultur.
2014 kaufte Berlin das Areal zurück und ließ es verstärkt bewachen. Half aber nicht so richtig. Während immer wieder von einer Neueröffnung oder neuen Investoren die Rede war, nahmen nächtliche Besucher über die Jahre hinweg den Park auseinander. Erst demolierten sie die elektrische Pferdereitbahn, dann hackten sie das stolze Mammut klein. Am Ende fackelten Brandstifter bald das gesamte Gelände ab.
Vergangene Woche baute eine Firma nun das Riesenrad ab. Nicht etwa, um es endgültig zu verschrotten. Die einzelnen Bauteile werden tatsächlich gesichtet, magnetpulvergeprüft, ultrabeschallt und geröntgt. Denn für den Kulturpark Plänterwald gibt es ein neues Konzept. Bis 2026 soll Berlin nach und nach um eine neue Freizeitanlage bereichert werden. Eine familientaugliche Mischung aus Kunst und Kultur zwischen Wald und Spree.
Residency im Ausflugslokal
Neue Flächen für Kunst, die nicht als Zierde für schicke und ergo teure Investorenviertel dienen, sind in Berlin gerade rar, deshalb werden die Pläne für das Areal von der lokalen Kulturszene genau beäugt. Die Initiatoren der Wiederbelebung des Parks versichern, dass die Kunst hier nicht nur ein Image-Sahnehäubchen auf dem Vergnügungskonzept sein soll, sondern von Anfang an mitgedacht werde. So wird gerade das sogenannte "Eierhäuschen" saniert, ein ehemaliges Ausflugslokal, das ab 2022 nicht nur die Gastronomie wieder aufnehmen, sondern auch Räume für Künstler-Residencies und Ausstellungen beherbergen soll. "Die alten Fahrgeschäfte werden zu Plattformen für Installationen und Skulpturen, Performances und Interventionen. Relikte aus der Geschichte des Spreeparks werden zu Bühnen seines zukünftigen Programms. Lebendige Kunst zum Anfassen verbindet sich wie selbstverständlich mit der Natur, wird zum unaufdringlichen, allgegenwärtigen Begleiter aller Besucher*innen", heißt es vollmundig auf der Website.
Wie viel konzeptuellen Ehrgeiz das Projekt tatsächlich entwickelt, damit die Kunst nicht als gefällige Foto-Deko endet, muss sich noch zeigen. Zumindest kann man sich vorstellen, dass es für eine Residency in einem Ausflugslokal einiges an Trubel-Toleranz braucht. Daneben soll eine Event-Halle entstehen.
Auch das alte Riesenrad soll als Kunstwerk neu gedacht werden und in neuer Gestalt schon in drei Jahren wieder befahrbar sein. Sofern es die 220 Tonnen Altmetall durch den TÜV schaffen. Auch das 360-Grad-Kino und die Parkbahn sollen im Geiste einer vergangen Vergnügungsära wieder wiederauferstehen. Das Morbide soll dem funkelnden Neuen weichen. Mit den fancy Fotos von einem der wohl unwirklichsten Orte überhaupt ist es jedenfalls für immer vorbei.