Monopolistische Streaming-Plattform

Wie Spotify die Musik kaputtspart

Das Unternehmen Spotify kontrolliert zunehmend, was wir hören und bezahlt Künstlerinnen und Künstler miserabel. Alles, was Musik ausmacht, wird egal – und unser Kolumnist kündigt sein Abo

Es muss 2008 gewesen sein, als ich das damals noch sehr junge Start-up Soundcloud in Berlin besuchte und eines der ersten Interviews überhaupt mit den Gründern führte. Das kleine Team saß improvisiert im Postfuhramtgebäude an der Oranienburger Straße, dort wo später auch Jonathan Meese sein Atelier haben sollte. Der Linoleumboden aus DDR-Zeiten quietschte, die grauen Flure waren stickig, und kurz bevor ich mich verabschiedete, zeigte man mir am Laptop noch ein anderes ambitioniertes Start-up aus Schweden. Spotify hieß der Laden. Das Versprechen: Jede verfügbare Musik der Welt legal streambar zu machen. George Michael, Blümchen oder Alva Noto, egal – alles auf Knopfdruck, ohne Torrent, Limewire, Angst vor Abmahnungen und sonstigem.

Das sollte also die Zukunft der Musik sein. Wie einleuchtend. Berlin war damals noch lange kein abgestandenes Start-up-Coworking-Klischee. Es ging alles erst los, es roch nach euphorischer Gründerzeit mit Nullen und Einsen. Vielleicht entwickelt sich gar eine ernstzunehmende Wirtschaft im sonst ja eher mittelmäßig gut aufgestellten Berlin?

Durch die Digitalisierung befand sich vieles in der Medienwelt im Umbruch. Man könnte auch Partystimmung dazu sagen. Die digitale Start-up-Szene war ja wirklich mal so was wie der hippe Underground. Junge, wilde Ideen, disruptiv, wie man heute sagt – Scheiß auf Konventionen, wir zeigen es den Großkopferten, wie man es fair und artist-orientiert richtig macht. Demokratisch, fair, partizipativ.

Riesiges Wachstum bei roten Zahlen

Heute hört die ganze Welt Musik über Spotify. Es ist der Standard geworden. Das Unternehmen des Gründers Daniel Ek hat sich zum Monopolisten gemausert, hatte im letzten Jahr 7,88 Milliarden Dollar Umsatz, schreibt aber von Anbeginn an rote Zahlen. Aber Wachstum wird das alles schon wieder wettmachen – das ist noch heute der Tenor vieler Unternehmen aus dem Sektor, um Investoren bei Laune zu halten.

Schon früh wurde Kritik an Spotify laut. Die Tantiemen, die an die Künstlerinnen und Künstler bezahlt werden, befinden sich seit jeher im mikroskopischen Hinterdemkommastellenbereich, und seitdem der Livesektor seit über einem Jahr brach liegt, wird noch viel deutlicher, wie wenig Geld eigentlich mit Musik zu verdienen ist, wenn man keine großen Investments, beziehungsweise Major-Labels im Rücken hat.

Ich nutze den Service auch, bezahle dafür, weiß selber aber auch, wie wenig Geld für monatelange Arbeit rumkommt, selbst wenn ein eigener Song über 200.000 Mal abgespielt wurde. Nämlich so gut wie gar nichts. Bequemlichkeit ist ja eine feine Sache, dagegen ist nicht viel einzuwenden. Zeitgleich sind Playlists wie heute "Modus Mio" konstitutiv für ganze Musikkulturen. Entweder findet man in diesen Formaten statt oder die Sichtbarkeit tendiert gen Null. Und was niemand sieht, interessiert bekanntlich auch niemanden. 

Laberformate statt Musik - das ist Kalkül

Wie Sie vielleicht mitbekommen haben, ist zur Zeit aber gar nicht Musik das große Thema bei Spotify und anderen Big Playern der Industrie, sondern Podcasts, Laberformate. Zwar wird heute immer noch viel gehört, aber immer weniger Musik. Und das ist Teil der Strategie, weil es für eine Firma natürlich schwierig und mühsam ist, einer vielfältigen internationalen Musiker:innen-Community 0,0038 Dollar pro Stream auszuzahlen, da wird jede noch so kleine Buchhaltung fuchsig. Dann doch lieber gar nicht?

Selbst der Major-Platzhirsch Universal hat kürzlich eine eigene Audio-Division gegründet, und in der letzten Zeit machte Spotify eher damit Schlagzeilen, dass gigantische Podcast-Deals abgeschlossen wurden, wie beispielsweise mit dem reaktionär-weißbrotigen Superstar-Podcaster Joe Rogan, der über 100 Millionen Dollar für die Exklusivrechte erhalten haben soll. Prince Harry und Meghan Markle sollen einen Deal mit Spotify über 21 Millionen Euro eingetütet haben, und auch die Firma von Michelle und Barack Obama, Higher Ground, arbeitet mit dem Unternehmen zusammen.

Blöd rumlabern ist ja keine Musik, ergo können Musikverlage, Labels und Co. schön draußen bleiben und in die verschwitzt milchige Röhre gucken. Dass Musiker:innen (wesentlich) besser vergütet werden, steht nicht im Businessplan, sonst wäre es auch kein Businessplan. Stattdessen verkündete Spotify im vergangenen November, dass man artists nun anbietet, algorithmisch bevorzugt in Playlist-Platzierungen berücksichtigt zu werden. Dafür müsse man nicht mal Geld bezahlen, dafür wird dann in etwa nur die Hälfte der 0,0038 Dollar pro Stream ausbezahlt. Ist ja auch ein ziemlicher Value, der da einem angeboten wird. Vielleicht taucht der eigene Track nun doch mal neben Drake oder Cardi B auf? So richtig garantieren kann das aber niemand. 

Die Diskrepanz zwischen Verantwortung und Realität wächst weiter

Nun mögen einige anmerken, dass Spotify auch gar kein Musikunternehmen sei, sondern eine Firma, die mit Daten und Software handelt. Aber dennoch ist das Gros aller Künstler:innen abhängig von dieser Plattform, und mit fortlaufender Zeit wird die Diskrepanz zwischen der sozialen Verantwortung solcher Unternehmen und der Realität immer größer. Das Vermögen des CEOs Daniel Ek wird heute auf 4,5 Milliarden Dollar geschätzt. Und um die großen Investitionen im Podcast-Sektor wieder reinzukriegen und die roten Zahlen Richtung schwarze Null zu dengeln, wurden kürzlich Erhöhungen der Abo-Preise angekündigt. Sollen die Kund:innen doch dafür aufkommen.

Damit nicht genug. Erst vor einigen Tagen sorgte Ek für Erstaunen, als er ernsthaft anbot, den angeschlagenen englischen Traditions-Fußballverein Arsenal London zu kaufen. Von Kind an sei er doch ein so großer Fan des Vereins gewesen. Einfach mal so einen Verein kaufen, so wie einst Roman Abramowitsch Chelsea London, Nasser bin Ghanim Al-Khelaifi aus Katar Paris Saint-Germain oder der frühere Microsoft-Chef Steve Ballmer den NBA-Club Los Angeles Clippers. Ist ja auch ein schönes Milliardärs-Hobby so ein Sportverein. Wer hätte das nicht gern?

Schlichtweg schwer zu ertragen

Für die Welt der Musik und Kunst ist das aber ein Schlag ins Gesicht. Ach was, eher ein 40-Tonner, der in den Geburtstag ihrer Kinder im Garten reinbrettert, ihr Haus en passant zerstört und unschuldig mit Fahrerflucht davonkommt und einfach weiterfährt – schlichtweg schwer zu ertragen. Die digitale Plattformökonomie lässt uns aber kaum noch passable Alternativen. Soll das Abo-Geld von Spotify nun zu Apple, Google oder Amazon wandern? Was haben diese monopolistischen Firmen mit Subkulturen, Soundkunst und Underground zu tun? Mindestens genauso wenig.

Eines weiß ich aber, ich werde mein Spotify-Abo kündigen. Keine Ahnung, was ich stattdessen wähle. Musik zum Hören habe ich zuhause eigentlich genug. Vielleicht mache ich gar selber einfach wieder mehr Musik. Ist ja auch eine schöne Sache. So schaffe ich wenigstens für mich wieder Werte für eine der schönsten Dinge der Welt.

Denn was Musik eigentlich ist und sein kann: Therapie und Seelenfrieden, das Gefühl von Glück und Geselligkeit, Freude und Tanz, eine florierende Musiker:innen-Szene. Das alles ist Daniel Ek und Spotify offenbar egal. Uns sollte das aber alles andere als wurscht sein, denn sonst gibt es bald wirklich keine Musik mehr. Selbst wenn die Clubs und Festivals irgendwann wieder aufmachen.