2019 war im Zuge der Nolde-Ausstellung im Hamburger Bahnhof die NSDAP-Mitgliedschaft des Kurators, Kunsthistorikers und Gründungsdirektors der Berliner Neuen Nationalgalerie Werner Haftmann publik geworden. Nun schreiben der Soziologe Heinz Bude, Direktor des neu entstehenden Documenta-Instituts in Kassel, und die Autorin Karin Wieland in der Wochenzeitung "Die Zeit", dass Haftmann ab 1933 mutmaßlich auch Mitglied der SA, der paramilitärischen Kampfeinheit der NSDAP, war. Als "Kopf" und Kurator der ersten drei Ausgaben prägte Haftmann (1912 - 1999) die Documenta maßgeblich. Mit seiner Rehabilitierung der von den Nationalsozialisten verfemten Moderne prägte er außerdem die Disziplin Kunstgeschichte in der Nachkriegs-BRD. Seine Verstrickungen in den Nationalsozialismus hatte er stets relativiert.
Als Beleg nennen Bude und Wieland in ihrem Artikel nun Studienkarten aus den Archiven der heutigen Humboldt-Universität in Berlin und der Universität Göttingen. Auf denen hatte der damalige Student angegeben, SA-Mitglied zu sein. Dabei dürfte es sich jedoch um eine Selbstauskunft handeln. Wie Bude und Wieland schreiben, wurden SA-Männer bis 1934 nicht einheitlich erfasst.
Die erste Documenta 1955 in Kassel gilt als Gründungsmanifest einer neuen demokratischen Moderne in Deutschland. Doch dieser Mythos wird zunehmend hinterfragt. Neuere Forschungen haben enthüllt, dass es mehr Kontinuitäten mit der NS-Zeit gibt als bisher angenommen. So waren neben Haftmann auch andere wichtige Ausstellungsmacher um den Documenta-Gründer Arnold Bode NSDAP-Mitglieder (einen ausführlichen Artikel dazu können Sie in Monopol 2/2020 nachlesen).
Die weitere Erforschung der NS-Verstrickungen soll laut der Documenta auch das neugegründete Institut prägen, dem Bude vorsteht. Mit dem Artikel präsentieren Bude und Wieland nun erste Ergebnisse zu diesem Thema. Das Documenta-Institut, über dessen Standort in Kassel noch gestritten wird, soll ein unabhängiges Forschungsinstitut werden. Zunächst wird es jedoch unter dem Dach der Documenta gegründet, erst mittelfristig soll es als eigenständige Einrichtung fortgeführt werden. Daher gab es bereits Stimmen aus der Wissenschaft, die eine externe und unabhängige Forschung zum Thema Documenta und NS-Zeit gefordert haben.
Zwei Interviews zum NS-Ballast der Documenta lesen Sie hier und hier.