Wenn man jetzt zum Beispiel den Inbegriff von einer neuen Generation von Musikerinnen sucht, dann ist man bei Slimgirl Fat richtig. Wobei, da fängt es eigentlich schon an, Slimgirl Fat ist nicht nur Slimgirl Fat, das ist nämlich nur ein Alias von ihr, denn Identität ist ja heutzutage ähnlich fluide, wie Genre und Herkunft.
Als Slimgirl Fat legt sie zumindest auf. Im Tresor oder auf dem CTM-Festival in Berlin, auf dem Fusion Festival in Mecklenburg-Vorpommern, in der Frankfurter Schirn, beim Internet-Radio HÖR, das aus einer Berliner Nasszelle per Video streamt und wo Auftritte heute karriereentscheidender sind als im Berghain. Ihre Soundsammlung reiche von zeitgenössischem Pop, Hip-Hop, UK Jungle & Hardcore bis hin zu Dancehall und Reggaeton, heißt es in ihren Presse-Infos. Nur kein Techno, erzählt sie. Ihr Sound sei "verwirrend, dystopisch, lecker." Was aber auf Englisch besser klingt: "Disorienting, dystopian, delicious." Und mit SLIC unit ist sie Teil eines DJ-Netzwerks in Berlin und Hamburg, weitere Mitglieder: Nissa, Jenu oder JAXX TMS. Ein Management hat sie nicht. Weil sie lieber selbst bestimmen möchte.
Als Nalan schreibt sie Songs, singt sie. Das wird mal als Neo R&B bezeichnet, mal als Trip Hop. Das Album "I'm Good-The Crying Tape" erschien 2021 und fand bei den Kritikern großen Anklang, wie man so schön sagt. Sie spielte auf dem İç İçe, dem Festival für neue anatolische Musik in Berlin Kreuzberg. Aber auch mal im ZDF-Frühstücksfernsehen. Oder sie tritt als Support-Act der niederländisch-iranischen Sängerin Sevdaliza auf. Und sie vertont Filme.
Mindestens eine Träne verlieren
Aber dann ist sie auch noch Mitglied der Band Gaddafi Gals – zusammen mit der Rapperin Ebow und dem Produzenten Walter P99 Arke$tra. Und von den Gaddafi Gals denkt man immer, gleich hat die ganze Welt verstanden, wie gut sie sind, weil sie so zeitgeistig und – ja – auch ziemlich hip klingen. Zumindest traten sie beim South by Southwest Festivals im texanischen Austin auf. Sie veröffentlichten ein Album und diverse EPs, machen nur Musik, wenn sie Zeit dafür finden, so Nalan. Es sei ihr Luxusprojekt.
Also mindestens drei Identitäten. "Ich finde den Mix cool. Auflegen und Musik zu machen, erfüllt mich beides und ich kann beides nicht loslassen. Das Hauptaugenmerk liegt aber auf dem Musik schreiben und in Alben zu denken." Zwar sind es nicht unbedingt Konzeptalben, die sie schreibt, aber sie haben durchaus ein Thema, an dem sie sich beim Schreiben orientiert.
Das erste Nalan-Album "I'm Good - The Crying Tape" entstand währen der Pandemie. Und ihr Ziel war: Die Hörerinnen und Hörer sollen mindestens eine Träne verlieren. Es ging also "viel um Emotionen, Erinnerungen, Sehnsucht." Das neue Album werde ein bisschen anders klingen, sagt Nalan. Daran schreibt sie gerade. Da wird es viel um das Smartphone gehen. Eine etwas poppigere Produktion ist angedacht. Aber Genres, lösen die sich nicht eh mehr und mehr auf? "Ja, das ist auf der einen Seite so", sagt Nalan. "Mit dem Internet und den Social-Media-Kanälen vermischt sich alles viel schneller. Für mich ist es so, ich mache das, worauf ich Bock habe." Aber auf der anderen Seite werde sie in Interviews oder in Gesprächen schon noch oft gefragt, was sie denn für Musik machen.
Nicht zu enge Boxen
Zumindest keine, die man im deutschen Formatradio gerne unter "deutsch" verpackt. Mit dem deutschen Musikmarkt sei das für englischsprachige Künstlerinnen und Künstler so eine Sache, sagt Nalan. Denn die Plattformen, über die Musik heute vertrieben wird, die Musik vor allem über Playlisten sichtbar machen, ordnen unter deutsche Musik nur die ein, in denen auch deutsch gesungen wird.
Und sowieso Herkunft, das ist eben auch so eine fluide Sache. Nalan lebt in Berlin. Aber hat ihr Netzwerk weiter ausgespannt als nach Neukölln und Wedding. Sie bewegt sich in kreativen Freundeskreisen, in denen viele Menschen sind, die man fragen kann, wenn man Videos drehen möchte, Fotos braucht, Co-Produzenten. Sie ist als Nalan Karacagil in München geboren, hat Familie in der Türkei, dreht dort auch schon mal Musikvideos. In München hat sie Kunstgeschichte studiert und ein Kuratorenkollektiv gegründet, das auch Ausstellungen in München organisiert hat, die eine faire Verteilung des Geldes zum Ziel hatte. Sie hat dort auch Nikolaus Graf kennengelernt, mit dem sie 2014 erste Tracks veröffentlichte. Hipster-Pop nannte das damals die "Süddeutsche Zeitung". Verglich sie mit Lana del Rey. Zola Jesus. Süße Synthies. Verträumte Entrücktheit. So klingt Nalan immer noch. Nur mit etwas mehr Berliner Kante.
Aber als Gesamtkunstwerk möchte man sie tunlichst nicht in zu enge Boxen packen. Damit sie genügend Platz hat, all diese Identitäten zu vertonen.