Aktivismus auf Instagram

"Alles Selbstdarstellung - na und?"

Der Aktivismus hat Einzug auf Instagram gehalten. Aber taugt die Plattform wirklich als politisches Medium? Ein Gespräch mit der Aktivistin Simin Jawabreh

Vermutlich lag es an der globalen "Black Lives Matter"-Protestbewegung und dem zeitgleichen Umzug zahlreicher Lebensrealitäten ins Digitale. Jedenfalls ging gegen Mitte dieses Jahres ein politisches Beben durch Instagram. Formen des Hashtag-Aktivismus, wie man sie von Twitter schon lange kannte, machten sich vermehrt auf der Foto-Plattform breit und begegneten einem fortan sowohl in Instagram-Stories der Kardashians als auch in den Posts der eigenen Freundinnen. Schnell fand sich ein Weg, aktivistische Inhalte für die stark bildlastige Plattform aufzubereiten: Slideshow-Posts, die in leicht verdaulichen Informationshappen über politische Sachverhalte aufklären.

Knapp ein halbes Jahr später sind die hübsch gestalteten Slides zwar nach wie vor umstritten, von der Plattform jedoch kaum mehr wegzudenken. Wie gut vertragen sich Instagram und Aktivismus? Wir haben nachgefragt bei der Aktivistin und bald absolvierten Politikwissenschaftlerin Simin Jawabreh, die linkspolitische Inhalte vermittelt – sowohl bei Demos und Konferenzen als auch in ihren Posts und Stories.

Simin Jawabreh, die linke Medientheoretikerin Sarah J. Jackson beschreibt soziale Netzwerke wie Twitter als Plattformen, die Gegen-Narrative und -Öffentlichkeiten für Menschen und Anliegen ermöglichen, die in den traditionellen Medien kein Gehör finden. Funktioniert das auch auf Instagram?

Ich glaube, soziale Medien hegen großes Potential, im Sinne von Gegen-Hegemonien zu agieren, weil sie Sichtbarkeiten neuartig generieren und so auch gesellschaftlich marginalisierten Menschen potentiell eine große Plattform bieten können. Dennoch wäre ich auch hier vorsichtig: Der digitale Raum ist nicht als getrennt vom Analogen zu betrachten, gesellschaftliche Unterdrückungsmechanismen spiegeln sich natürlich auch hier wieder – und sei es allein dadurch, wer quantitativ und qualitativ mehr unter Hasskommentaren und Todesdrohungen leidet. Durch ein Mehr an Sichtbarkeit geht nach wie vor vor allem für BIPoC FLINT* people, die eine progressive Vernetzung anstreben, auch ein höheres Risiko an Bedrohungen einher, gerade weil sie alleine durch ihre Sichtbarkeit den vermeintlichen Status quo angreifen. Plattformen wie Instagram schaffen es oft, marginalisierten Menschen mehr Sichtbarkeit zu geben, dennoch folgen ihnen meistens Menschen, die auch schon ihrer Meinung sind.

Die Frage ist also auch: Wer hört marginalisierten Stimmen letztlich zu?

Instagram ist eine sehr selbst-referentielle Plattform. Ich folge den Menschen, die mein Wissen und meine Positionen bestätigen. Auch sind Algorithmen und Zensur von Instagram nicht zu unterschätzen. Ja, ich kann als marginalisierte Person eine höhere Sichtbarkeit erlangen – aber auch nur, wenn ich mich im Rahmen gesellschaftlicher Normierungen und Ideologie bewege. Alleine Aussagen wie "Abolish the police“ werden als Hassrede zensiert, während offene Todesdrohungen gegen gesellschaftlich Unterdrückte oftmals online bleiben. Wir haben hier also auch ein riesiges Gefälle zwischen dem Umgang mit progressiver, emanzipatorischer Vernetzung und dem Umgang mit durchweg ressentimentgeladener Vernetzung.


Welche Rolle spielt die Logik der Plattform bei der Generierung von Sichtbarkeit? Welche Konsequenzen hat es für politische Inhalte, dass Fotos von Menschen und ansprechend designte Text-Slides besonders gut laufen?

Ja, soziale Plattformen haben ihre eigene Logik, die jeweils beeinflussen, wie sichtbar Inhalte werden. Ich würde das aber nicht so stark verteufeln, wie es oftmals in, sag ich mal, "oberflächlicher digitaler Kritik" getan wird. Denn alle sozialen Räume haben ihre eigenen Logiken:  Wenn ich eine Rede halte, folge ich auch einem bestimmten Aufbau und starte nicht mit einer ausführlichen wissenschaftlichen Analyse, wenn ich einen Artikel schreibe, habe ich eine eigene Logik und Sprache, wenn ich Workshops gebe, transportiere ich Inhalte anders. Alle sozialen Räume haben ihre Logiken und Normierungen von Verhaltensweisen – Instagram auch. So ähnlich verhält es sich auch damit, wenn Inhalte vor allem bei einer gewissen Ästhetik angenommen werden. Das Phänomen begegnet uns überall: Bücher, die zu klein geschrieben sind, lese ich auch nicht gerne. Beides, sprich die spezielle Logik und Ästhetik, muss mensch nicht gut finden, stellt aber keine Eigenart von Instagram dar, die es deswegen besonders zu kritisieren gilt, sondern begegnet uns in jeglichen sozialen Räumen.

Wie gehen Sie damit um, dass Instagram immer auch eine gewisse Selbstdarstellung-Komponente beinhaltet?

Ich finde das sehr spannend, dass das der erste schnelle Vorwurf immer an Instagram ist – alles Selbstdarstellung! Ja, ist es. Und? Ich glaube, das muss gar nicht unbedingt ein Problem sein. Ich finde es, um ehrlich zu sein, sehr spannend. Ich sehe Profile von Menschen, die mir zeigen, wie sie gerne sein würden und wie sie gerne gesehen wollen werden. Gerade diese sonst versteckten Bedürfnisse und Wünsche kommen hier zum Ausdruck, persönlicher geht’s eigentlich nicht. Die Gefahr steckt für mich also gar nicht in der Selbstinszenierung, im Gegenteil, sie steckt für mich in der neuen Hyper-Authentizität, die als Gegenstück dazu inzwischen gefordert wird.

Wie meinen Sie das?

Dass ich mich beim Chipsessen auf der Couch, in unvorteilhaften Posen oder beim spontanen Lachen mit Freunden zeigen soll, dass also alle meine Lebensbereiche kommerzialisiert und vereinnahmt werden sollen. Es würde uns gut tun, dazu zu stehen, dass das inszeniert ist. Es tut uns weniger gut, zwanghaft zu behaupten, dass wir alle so unglaublich authentisch seien. Das ist außerdem auch ein sehr unkritisches Verständnis von Authentizität. Wenn ich mit meinem Chef rede, spreche ich anders, als wenn ich mit einer Genossin rede. Bin ich in einer dieser Situationen nun weniger authentisch als in der anderen? Nein. Und genauso verhält es sich auch mit Instagram. Unsere Profile sind ein kleiner Teil von uns und spiegeln unsere Sehnsüchte nach uns selbst wieder. Sie sollten gar nicht den Anspruch haben, alles von uns darstellen zu können, und wir sollten uns auch nicht darüber aufregen, wenn wir der Meinung sind "dass das jetzt aber gar nicht so ist, wie wir eine Person kennen". Wir kennen schließlich immer nur Ausschnitte von Menschen, und Instagram ist auch nur einer davon.
 


Wie nehmen Sie die Wechselwirkung zwischen dem Teilen von politischen Instagram-Posts und Offline-Engagement gerade hinsichtlich "Black Lives Matter" und strukturellem Rassismus wahr? 

Soziale Medien sind sehr personalisierte Plattformen. Das ist gut, weil dadurch Inhalte schneller angenommen werden, es birgt aber auch das Risiko, dass systemische Unterdrückungsverhältnisse zu sehr als individuelle Geschichten erscheinen und einfach einem Personenkult verfallen. Das wahnsinnige Mobilisierungspotential, das sozialen Medien innewohnt, ist allerdings nicht zu unterschätzen. Wir haben das schon bei #MeToo erlebt und nun bei #BlackLivesMatter. Natürlich hat das nicht zur Revolution geführt. Natürlich auch nicht zur Befreiung der jeweils adressierten Gruppen. Hashtags werden das auch nicht stemmen. Aber, und das ist ein sehr großes aber, ohne sie wäre ein gesellschaftliches Bewusstsein für diese Unterdrückungsformen nicht so angekommen, wie es zum Teil nun ist. Gerade Instagram und Twitter haben da ein sehr großes Potential Menschenmassen zu mobilisieren – und zwar global. Der Kniff besteht nur darin, dass diese Menschen dann noch lange nicht organisiert sind. Wir mobilisieren immer und immer wieder in riesigen Schockwellen, aber der Output ist dann ein sehr geringer. Wir müssen also lernen, die Wut der Menschen, die darüber generiert und geteilt wird, zu kanalisieren.

Dann kann Instagram zum Ermächtigungs-Tool werden?

Wenn wir es schaffen, diese Mobilisierung mehr für uns zu nutzen, dann können wir auf jeden Fall diese Plattformen für uns progressiv produktiv machen. Das kann bedeuten, auch Hashtags wie den Black Panther Slogan "Power to the People" zu nutzen, die sich weniger einfach von liberaler Seite vereinnehmen lassen und uns einzugestehen, dass wir eine Mischung aus digitaler Mobilisierung und darauf aufbauender analoger Organisation brauchen. Es darf dabei allerdings nicht vergessen werden, dass Repressionen im Zeitalter der digitalen Datensicherung natürlich viel leichter implementiert werden können. Außerdem steht der progressiven Vernetzung auch eine ressentimentgeladene gegenüber. Rechte haben soziale Meiden viel besser für ihre Zwecke und Organisierung genutzt als wir. Die haben genau dieses Zwischenspiel von Online-Mobilisierung und Face-to-Face-Organisation hinbekommen. Rechte Online-Terrornetzwerke sind eine Gefahr, die es nicht zu unterschätzen gilt.