Videokunst-Ausstellung im MoMA

Mehr als ein Medium

Eine Ausstellung im New Yorker MoMA erhebt Videos aller Art endgültig zu einer eigenständigen Kunstform. Sie macht deutlich, dass das Medium die dominante Kommunikationsform unserer Zeit ist

Manchmal hat ein Handyvideo mehr politische Sprengkraft, als man es seiner wackeligen Kameraführung zutrauen würde. In der aktuellen Video-Ausstellung des Museum of Modern Art (MoMA) in New York flimmern derzeit unter anderem Szenen der Proteste in Hongkong 2019 über den Bildschirm. Das Stück "Rest/Unrest" von Tiffany Sia zeigt eine Gruppe von Menschen, die sich in einem Einkaufszentrum versammelt. Schriftbänder werden ausgerollt. Die Handlung ist so unaufgeregt wie die Smartphone-Ästhetik, und doch zeigt es eine der größten Protestbewegungen in der chinesischen Geschichte. 

Die Dramatik von Fernseh- und Pressebildern, in denen die oft gewalttätigen Auseinandersetzung zwischen Demonstranten und der Polizei im Vordergrund standen, fehlt den Aufnahmen völlig. Stattdessen bleiben die Szenen - wie der Titel andeutet - ruhig. Man wird in das private, meist unspektakuläre Erleben dieser Tage durch die Künstlerin mitgenommen. Gerade deshalb ist sie klug als Auftakt für die Ausstellung "Signals - How Video transformed the world" gewählt. Es ist eine der wohl umfangreichsten Zusammenstellungen, die je dem Medium Video gewidmet wurde. Wie das Werk von Sia stellt sie grundsätzliche Fragen dazu, wie Video - laut Katalog ein "zeitbasiertes Medium, das Spuren der Realität transportieren kann" - in unserer Zeit auch so etwas wie Bedeutung oder Sinn zu vermitteln vermag.

Mit Sia beginnt die Ausstellung trefflicherweise in der Gegenwart, einer Zeit, in der laut Kurator Stuart Comer Video "überall und nirgends" zugleich ist. "Es umgibt uns als Signal oder Welle oder Datenfluss, bleibt aber flüchtig, verstreut, ort- und formlos."

Radikale Bildbotschaften
 
"Rest/Unrest" ist nur einer der Versuche, Video-Botschaften dem endlosen Strom des Immer-Selben zu entreißen, das jede vorgängige Realität verflacht. So setzt etwa der Künstler American Artist den Videos von Polizeigewalt gegen Afroamerikaner (die laut dem afropessimistischen Theoretiker Frank Wilderson letztlich darin versagen, echte Empathie zu erwecken und den Machtstrukturen gefährlich zu werden) ein Werk entgegen, das die Gewalt zeigt, indem sie sie nicht zeigt. "My Blue Window" ist ein Blick aus einem New Yorker Polizeiwagen durch eine "Augmented Reality"-Kamera. Wie bei Sia passiert nichts Dramatisches. Doch der Betrachter wird in einen unbequemen Perspektivwechsel gezwungen.
 
Bei solchen zeitgenössischen Arbeiten tritt zutage, womit sich das Medium seit seinen Anfängen herumplagt. Der Videokunst ging es schon immer darum, die Macht der Bilder den Mächtigen zu entwenden. So wie sie heute versucht, das allgegenwärtige Smartphone-Video gegen den Strich zu bürsten, hat die frühe Medienkunst gegen das Fernsehen rebelliert.
 
So haben Richard Serra und Carlota Fay 1973 mit einer unumwundenen Polemik die Debord‘sche Botschaft über einen Bildschirm flimmern lassen, dass das Fernsehen nichts anderes produziert als ein Publikum für die Werbung. Zur gleichen Zeit tauchten in den USA, Japan und Westeuropa Dutzende illegaler Piratensender auf, die mit radikalen politischen Botschaften versuchten, den gefräßigen Konsumzusammenhang des kommerziellen sowie den propagandistischen Zusammenhang staatlichen Fernsehens zu durchbrechen. Im Jahr 1985 legte Martha Rosler mit ihrem Werk "If it’s too bad to be true it could be disinformation" die Propaganda der US-Nachrichten in der Berichterstattung über die Konflikte in Lateinamerika bloß.

Ein Medium der Wahrheit?
 
Als einen Höhepunkt solcher Demokratisierung des Fernsehens bietet die Ausstellung die Besetzung des staatlichen Fernsehens durch die rumänischen Revolutionäre im Jahr 1989 an. Die Ereignisse der folgenden Tage, inklusive des Prozesses gegen den Diktator Nicolae Ceaușescu und dessen Exekution liefen live über den Äther. Aus diesen Bildern schnitten Harun Farocki und Andrej Ujica das 106 Minuten lange "Videogramm einer Revolution" zusammen, das in New York in voller Länge zu sehen ist.

Doch auch dieses Werk stellt, wie die Installation von Sia oder jene von Dara Birnbaum zu "Tiananmen 1990", in Frage, was da eigentlich zu sehen ist. Alle drei Werke problematisieren den vermeintlichen Evidenz-Charakter des Mediums sowie die Bedeutung von Begriffen wie "Zeitzeugenschaft" oder gar Geschichte selbst.
 
Trotz allem verharrt die New Yorker Ausstellung nicht in einem simplen Antagonismus zwischen Video und Fernsehen oder Video und der alles verschlingenden Welt der sozialen Medien. Kunst wird nicht bloß als Opposition präsentiert. Es kommen ebenso Künstler zu ihrem Recht, die das utopische Potenzial der Technologie feiern. So rekonstruiert die Ausstellung etwa die Aktion "Good Morning Mr. Orwell" von Nam June Paik aus dem Jahr 1984, bei der sich namhafte Künstler von Laurie Anderson über John Cage bis Merce Cunningham zu einer globalen Simultan-Live Übertragung zusammenfanden. Ganz ähnlich angelegt ist das Werk "Simultaneidad in Simultaneidad" der argentinischen Künstlerin Marta Minujin aus dem Jahr 1966.
 
Was von der monumentalen Schau am MoMA übrig bleibt, ist nicht alleine eine Nobilitierung des Mediums. Das Museum kürt Video nicht nur zu einer vollwertigen Kunstform. Die Ausstellung macht viel mehr deutlich, dass seine Sprache die dominante Kommunikationsform unserer Zeit ist. Wenn die Kunst heute mitreden möchte, kommt sie gar nicht umhin, sich ernsthaft damit auseinanderzusetzen.