Es beginnt mit "Autobahn". Das Synthesizerzischen, das das Rauschen der vorbeisausenden Motoren darstellen soll, ist kristallklar und hört sich technisch runderneuert an, gleichsam wie der Originaltrack auf Steroiden. Ähnlich das 3D-Video hinter den vier nahezu unbewegten Musikern in ihren Neonlinienkorsettanzügen. Rührend schlicht und reduziert die Retro-Formen des VW-Käfers und des Daimlers auf der grauen Teerstraße, aber die Optik ist brillant. So wird es den ganzen Abend weitergehen.
Schaut man sich um, tragen alle im Publikum weiße 3D-Brillen aus Pappe, es sieht aus wie in einem Kino der 50er-Jahre. Es wird nach jedem Lied geklatscht. Manche verwechseln den Abend mit einem Stones-Konzert, jubeln, singen mit, werfen die Arme hin und her, als sei dies hier das Burning-Man-Festival, einer schreit sogar "Rock’n’Roll". Das wirkt atavistisch. Kraftwerk liegt nichts ferner als die Gitarrensoli-Emphase prädigitaler Musik. Sie wollen vor allem durch technische Präzision beeindrucken. Ihre musikalische Darbietung ist – trotz fetter Sounds – eigentlich auf Verlangsamung, Abkühlung, Erstaunen angelegt. Zusammen mit den gezielt schlicht und auf wenige Formen reduziert gehaltenen Videos entsteht der Eindruck, die künstlerische Idee sei nicht das konzertante Erlebnis, sondern ein installatives Gesamtkunstwerk. Und das will erst einmal kontemplativ wahrgenommen, nicht durchfiebert werden.
Insofern passen Kraftwerk heute hervorragend ins Museum. Ihre konzeptuelle Redundanz macht sie kunstkompatibel. Und natürlich passt das Modell "Kraftwerk" wunderbar in Ludwig Mies van der Rohes 1968 erbaute Nationalgalerie, es ist schön zu beobachten, wie der Widerschein der Blau-, Gelb- und Rotfarben aus den Videos auf der metallenen Kassettendecke des Mies’schen Flachdaches schimmert. Einmal lassen Kraftwerk in einem Video eine fliegende Untertasse vor der Nationalgalerie schweben. Und das sieht an diesem Abend erstaunlich sinnvoll aus.
Am Ende schicken Kraftwerk ihre Plastik-Avatare auf die Bühne, wo diese Marionetten hölzern zum "Roboter"-Track mit den Armen rudern. Damit ist ihre Musealisierung sozusagen symbolisch abgeschlossen. Schade, dass ausgerechnet jetzt, wo es so spannend ist, die Neue Nationalgalerie schließen muss.